Frühkindlicher Stress erhöht die Anfälligkeit für psychische Probleme wie ADHS, Depressionen, Ängstlichkeit und Suchtentwicklung.
Frühkindlicher Stress bewirkt Veränderungen der Cortisolkonzentrationen und des Cortisolstoffwechsels.
- Bei Mädchen mit einer Vorgeschichte sexuellen Missbrauchs wurde ein höherer Cortisolspiegel sowie veränderte Cortisolkonzentrationen im Speichel gefunden.
- Frühkindlicher Stress (insbesondere, wenn chronisch) kann zu erhöhten Cortisolkonzentrationen im Blut führen.
- Früh von der Mutter getrennte oder weniger gepflegte Ratten zeigen noch als Erwachsene einen erhöhten basalen Cortisolspiegel, eine gesteigerte Cortisolausschüttung auf akuten Stress, eine erhöhte Aktivität der HPA-Achse (Stressachse) und mehr Stress-Symptome.
Frühkindlicher Stress verursacht verschiedene Veränderungen im Gehirn, die lebenslang anhalten können. Dies betrifft insbesondere die Bereiche des Gehirns, die für die Stressreaktion und die emotionale Verarbeitung zuständig sind. Der Hippocampus, der für das Gedächtnis und die Regulierung des Stresshormons Cortisol verantwortlich ist, zeigt durch frühkindlichen Stress eine veränderte Rezeptordichte. Epigenetische Veränderungen des Glucocorticoid-Rezeptor-Gens NR3C1 können zu einer verringerten Anzahl von Cortisolrezeptoren und dadurch zu dauerhaften erhöhten Cortisolspiegeln im Gehirn führen.
Das dopaminerge System, das für die Belohnungsverarbeitung zuständig ist, wird durch frühkindlichen Stress verändert. Die Motivation, Belohnungen zu verfolgen, kann zusammen mit dem Dopaminspiegel im Striatum sinken. Der Serotoninhaushalt im Gehirn kann gestört werden, was die neuronale Entwicklung und die Emotionsregulation beeinträchtigt. Frühkindlicher Stress kann den Sympathikus des vegetativen Nervensystems herunterregulieren.
Pränataler mütterlicher Stress beeinflusst die Wanderung und die Reifung von GABAergen Zellen und reduziert die Anzahl von GABA-A- und Benzodiazepin-Rezeptoren, was kortikale Funktionen beeinträchtigt. Eine hohe mütterliche Zuwendung kann diese Veränderungen wieder rückgängig machen.
Früher Stress bewirkt weiter
- eine erhöhte Anfälligkeit für oxidativen Stress
- ein veränderte immunologische Stressantwort
- epigenetische Veränderungen, die die Genexpression beeinflussen
- Verkürzte Telomere und eine verringerte Telomerase-Aktivität
- ein verringertes Gehirnvolumen im Erwachsenenalter
- Veränderungen der Blut-Hirn-Schranke
- eine veränderte Empfindlichkeit auf sedierende Hypnotika
- erhöhter Startle-Reflex.
Stress in früher Kindheit und Jugend (Pubertät) kann auch die Remission von ADHS beeinflussen, wobei eine starke Stressbelastung mit einem schwereren Verlauf von ADHS ins Erwachsenenalter einhergeht.
1.1. Stress während bestimmter Gehirnentwicklungsphasen besonders schädlich¶
Während der
- pränatalen Entwicklung
- Säuglingsalter
- Kindheit
- Adoleszenz (Pubertät)
sind Menschen besonders vulnerabel für Stressoren. Während dieser kritischen Perioden können Stressoren Auswirkungen haben, wie etwa eine anhaltende Kakostase (Dyshomöostase), die lebenslänglich anhalten. In diesen Phasen sind Individuen zugleich besonders empfänglich für ein günstiges Umfeld, das eine Hyperstase auslösen und zur Entwicklung von Resistenz gegen Stressoren im Erwachsenenalter führen kann.
Daher besteht ein erheblicher Unterschied, ob Stress während einer Entwicklungsphase einer Gehirnregion oder außerhalb dieser (insbesondere nach dem Ende der Gehirnentwicklung, beim Menschen mit ca. 24 Jahren) erfolgt.
Beispiele:
- Die epigenetische Demethylierung des FKPB5-Gens, das die Empfindlichkeit der Glucocorticoidrezeptoren moduliert wird nur durch Stress während der Differenzierungs- und Proliferationsphase der Neuronen vermittelt, nicht mehr dagegen bei ausgereiften Neuronen.
- Tritt während der Entwicklungsphase der HPA-Achse übermäßiger Stress auf, erhöht dies die Empfindlichkeit der HPA-Achse, indem die Schwellwerte für den Eintritt der Stressreaktion dauerhaft verringert werden. Dies verschlechtert die Fähigkeit zu angemessener Stressreaktion und kann zu pathologisch veränderten Reaktionen auf Stressoren im späteren Leben führen (unter anderem Angststörungen, Depressionen, Autismus, Schizophrenie).
Ein Beispiel aus der Tierwelt: Eine bestimmte Vogelart lebt davon, Nüsse zu sammeln und zu verstecken. Für ein Jahr benötigt ein Tier rund 10.000 Nüsse, deren Verstecke es sich merken muss. Diese Gedächtnisprozesse erfolgen mittels des Hippocampus. Diese Vögel haben einen überdurchschnittlich großen Hippocampus. Der Hippocampus der Vögel erlebt einen Entwicklungsschub zwischen dem 60. und dem 100. Lebenstag. Tiere, die in diesen Tagen nur mit Nussmehl gefüttert wurden, konnten den Entwicklungsschub nicht nutzen. Der Hippocampus blieb bei ihnen kleiner als bei anderen Exemplaren. Zudem waren sie lebenslang nicht in der Lage, die Fähigkeit zu entwickeln. die erforderliche Zahl an Nüssen zu verstecken und wiederzufinden, auch wenn sie ab dem 100. Lebenstag mit Nüssen gefüttert wurden.
Die für Aufmerksamkeit, Motorik und Stressresistenz besonders wichtigen dopaminergen und noradrenergen Systeme entwickeln sich insbesondere in den ersten Lebensjahren (von Zeugung bis ca. 3 Jahren) sowie nochmals in der mittleren Jugend. Daher sind negative Umwelteinflüsse (Stress) in dieser Zeit besonders schädlich für die dopaminergen und noradrenergen Systeme.
Dies erfolgt auf mehrere Weisen, unter anderem:
- Früher Stress bewirkt eine fehlerhafte Entwicklung der dopaminergen Pfade des Nucleus accumbens.
- Kinder, die in den ersten 6 Lebensjahren einer belastenden Umgebung oder unsicherer Bindung ausgesetzt waren, erleiden dauerhafte Schäden in dopaminergen und serotonergen Gehirnregionen.
Anhand der Beschreibung von Rensing et al. zum Two-Hit-Modell, nach dem psychische Störungen wie Angststörungen, Depressionen, Autismus, Schizophrenie auf Schädigungen im Jugendalter zurückgehen, die auf bereits vorgeschädigte Stresssysteme treffen, wäre es vorstellbar, ADHS als das Ergebnis des First Hit zu betrachten.
Gegen die Annahme von ADHS als First Hit für weitere Störungsbilder spricht möglicherweise eine Untersuchung, die keine erhöhte Spezifität von Symptomen eines Störungsbilds bei zunehmender Störungsschwere feststellen konnte.
Stressbelastungen in der Pubertät eine Potenzierung von frühkindlichen Stressbelastungen bewirken können. Eine weitere Studie belegt, dass Erwachsene, die mehr als fünf ADHS-Symptome aus ihrer Kindheit berichteten, überdurchschnittlich häufig psychischen Störungen oder Sucht entwickelten.
1.2. Alter bei Stresseinwirkung bestimmt Art der psychischen Störung¶
Nicht nur die Art und die Intensität der frühkindlichen Stressbelastung, sondern auch der Zeitpunkt der Belastung entscheidet über das spätere Störungsbild. Dies ergibt sich daraus, dass die Entwicklung des Gehirns von Säugetieren einem bestimmten zeitlichen Ablauf folgt. Die einzelnen Gehirnregionen entwickeln sich nicht gleichzeitig, sondern in jeweils eigenen Zeitfenstern. In einer Phase der Entwicklung sind die jeweiligen Gehirnregionen erheblich anfälliger für externe Störungen.
- Eine Cortisol-Behandlung in der Schwangerschaft verringerte bei neugeborenen Affen die Empfindlichkeit der Corticoidrezeptoren im PFC, wobei der Zeitpunkt der Cortisolgabe darüber entschied, in welchen Teilen des PFC dies auftrat. Bei erwachsenen Affen war eine verringerte Rezeptorempfindlichkeit aufgrund von Cortisolgabe nicht mehr zu beobachten.
- Starke Angst der Mutter in der Schwangerschaft während der 12. bis 22. Woche nach der letzten Regel erhöhte das Risiko für ADHS-HI signifikant, während starke Angst in der 32. bis 40. Woche das Risiko nicht erhöhte. Dagegen fand eine Studie bei Kindern von Frauen, die einem einmonatigen wiederholten Raketenbeschuss der Zivilbevölkerung im Libanonkrieg 2006 ausgesetzt waren, keine erhöhten psychiatrischen Störungen im Alter von 9 Jahren. Möglicherweise ist einmonatiger wiederholter Stress kein ausreichend intensiver Stressor.
- Die entwicklungsgeschichtlich ältesten Gehirnregionen im Hirnstamm, die die grundlegenden Lebensmechanismen steuern, und die sich zuerst entwickeln, sind anfällig für sehr frühzeitige Störungen, die dann häufig tödlich enden.
Kortikale Gehirnbereiche, die nicht überlebensnotwendig sind, und die sich zeitlich später entwickeln, sind für Störungen anfällig, die in etwas späterer Entwicklungsphasen erfolgen.
- Die spezifischen Auswirkungen einer lang anhaltenden Stressexposition auf Gehirn, Verhalten und Kognition hängen von dem Zeitpunkt und der Dauer der Stresseinwirkung sowie teilweise von einer Wechselwirkung zwischen Geneffekten und frühkindlicher Stresseinwirkung ab. Diese Unterschiede können erklären, warum Stress zu unterschiedlichen Lebenszeitpunkten zu unterschiedlichen psychischen Störungen führt.
- Traumatische Erfahrungen vor dem 12. Lebensjahr (wie z.B. Verlust eines Elternteils durch Tod oder dauerhafte Trennung) erhöhen die Risiken einer späteren depressiven Erkrankung, während traumatische Erfahrungen danach das Risiko einer PTSD erhöhen
- Traumatische Erfahrungen vor dem 6. Lebensjahr zeigten andere Dexamethason-/CRH-Testergebnisse als traumatische Erfahrungen in späterem Alter.
- Langanhaltende emotionale Misshandlung in der Kindheit korrelierte (als einzige Art der Misshandlung) mit einer abweichenden (hier: verringerten) Cortisolantwort auf akute Stressoren mit zunehmendem Erwachsenenalter.
- Sexueller Missbrauch im Alter von 3 bis 5 oder im Alter von 11 bis 13 verringerte das Volumen des Hippocampus, während sexueller Missbrauch im Alter von 14 bis 16 das Volumen des PFC verringerte.
- Eine umfangreiche und langjährige Begleitung von 733 Betroffenen mit verschiedenen Persönlichkeitsstörungen zeigte, dass auch die unterschiedliche Intensität und der Zeitpunkt der frühkindlichen Stressbelastung zur Differenzierung der Störungsbilder beiträgt. Alle Betroffenen waren Opfer frühkindliche Stressbelastungen: 73 % der 733 Teilnehmer berichtete von frühkindlichem Missbrauch, 82 % von frühkindlicher Vernachlässigung.
- Durch Stress und hohe Glucocorticoid-Konzentrationen vorgeburtlich und in den ersten Lebensjahren verursachte Veränderungen der dopaminergen Transmission in den mesolimbischen, mesokortikalen und nigrostriatalen Systemen werden wahrscheinlich durch den ontogenetischen Entwicklungszustand dieser Gehirnregionen zum Zeitpunkt der Stressbelastung bestimmt.
- Art und Zeitpunkt frühkindlicher Stresseinwirkung dürften beispielsweise die umweltbedingte Entstehung von ADHS und Borderline unterscheiden.
Die Hauptentwicklungszeiten, in denen die jeweiligen Gehirnregionen besonders vulnerabel (verletzlich) sind, sind (in Lebensjahren)
-
Amygdala links: 0,5 bis 2 Jahre
-
Hippocampus: 3-5 und 11-14 Jahre
-
dorsaler anteriorer cingulärer Cortex: 7-9 und 17-x Jahre
- Interiorer langer Fasciculus: ab 7 Jahre
- Thalamus: 7-9 und 13-15 Jahre
-
Corpus callosum: 9-10 Jahre
- ventromedialer PFC: 8-10 und 14-16 Jahre
-
Amygdala rechts: ab 10 Jahre
-
viszeraler Cortex: ab 11 Jahre
-
PFC (Volumen): 8-15 Jahre 14-16 Jahre
Dabei waren geschlechtsspezifische Unterschiede zu berücksichtigen. Bei Mädchen entwickelte sich die Amygdala wesentlich früher als bei Jungen, bei denen noch im Erwachsenenalter eine Zunahme des Amygdalavolumens beobachtet werden konnte.
1.3. Frühkindlicher Stress¶
Früher Stress erhöht das Risiko für psychische Störungen. Kindliche emotionale, körperliche oder sexuelle Misshandlung wie auch Traumata bewirken eine lang anhaltende (über die Zeit der Misshandlung hinausgehende) tiefgreifende Störung der Stressregulation. Es spricht einiges dafür, dass Kinder, deren Mutter während der Schwangerschaft einer besonderen Stressbelastung ausgesetzt waren, eine persistierende erhöhte Vulnerabilität für psychische Störungen haben.
Bei Kindern von Frauen, die im Libanonkrieg 2006 innerhalb eines Monats einem wiederholten Raketenbeschuss der Zivilbevölkerung ausgesetzt waren, wurden keine erhöhten psychiatrischen Störungen im Alter von 9 Jahren festgestellt. Dies deutet darauf hin, dass einmonatiger wiederholter Stress kein ausreichend chronischer Stressor ist, um das ungeborene Kind zu schädigen..
Früh von der Mutter getrennte Rattenbabys haben langanhaltend eine erhöhte physiologische und verhaltensmäßige Stressreaktion auf weitere Stressoren. Der Schwellwert für den Eintritt der Stressreaktion ist verringert. Gleiches gilt für Rattenbabys, deren Mütter ein schwaches Pflegeverhalten zeigten.
Eine Studie an adoptierten ADHS-Betroffenen beschäftigt sich ebenfalls mit der Frage, wie viel von ADHS vererbt und wie viel anerzogen wird.
Auch bei frühkindlichem Stress kommt es auf das Maß an, ob dieser vorteilhaft ist oder nachteilig wirkt. Ein sehr kurzes Handling (entfernen von Rattenbabys von der Mutter durch in die Hand nehmen) ist ein vorteilhafter Stimulus, vor allem weil es die Rate des mütterlichen Leckens und Pflegens erhöht. Längere Perioden der Trennung neugeborener Ratten von der Mutter sind belastend, vor allem, weil sie das mütterliche Lecken und Pflegen abschwächen, das mit Oxytocinausschüttung verbunden ist.
1.3.1. Verhaltensänderungen durch frühen Stress¶
Frühkindliche Belastungen beeinträchtigen Gehirn und Körper ein Leben lang. So bewirkt z.B. früher körperlicher oder sexueller Missbrauch lebenslängliche Verhaltens- und pathophysiologische Probleme. Ebenso führen kalte und gleichgültige Familien oder Chaos in der häuslichen Umgebung zu dauerhaften emotionalen Problemen bei Kindern.
1.3.1.1. ADHS und PTSD häufigste Störungen bei kindlichem Stress¶
ADHS und PTSD / PTBS sind die am häufigsten diagnostizierten Störungen bei sexuell missbrauchten Kindern. Es gibt ein hohes Maß an Symptomüberlappung und Komorbidität zwischen ADHS, PTSD und sexuellem Missbrauch.
Frühkindlicher Stress, insbesondere ungünstige Betreuungserfahrungen wie Kindesmisshandlung (MALT), sind ein Risikofaktor für ADHS, aber auch andere Psychopathologien wie ASS, Angst, Depression und Sucht. Bei kindlichem Missbrauch fand sich ein verdreifachtes ADHS-Risiko.
1.3.1.2. Depressionsrisiko durch frühen Stress erhöht¶
Frühkindlicher Stress verändert die Gehirnstruktur und Gehirnfunktion und erhöht das Risiko für spätere Depressionen.
1.3.1.3. PTSD-/PTBS-Risiko durch frühen Stress erhöht¶
Früher Stress erhöht das Risiko für spätere posttraumatische Belastungsstörungen,
1.3.1.4. Adipositas- und Herz-Kreislauf-Erkrankungs-Risiko durch frühen Stress erhöht¶
Früher Stress erhöht das Risiko für Fettleibigkeit und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
1.3.1.5. Stressunverträglichkeits-Risiko durch frühen Stress erhöht¶
Früher Stress erhöht die Wahrscheinlichkeit für eine erhöhte subjektive Stressempfindlichkeit im Erwachsenenalter, was mit einem erhöhten Risiko von Angststörungen und Depressionen einhergeht.
Die Entwicklung einer erhöhten Stressempfindlichkeit scheint dabei genabhängig zu sein. Frühkindlicher Stress erhöht die Stressresilienz, die Exploration und ein weniger ängstliches Verhalten bei männlichen Cdh13 + / + – und Cdh13 +/- -Mäusen. Bei Mäusen mit Cdh13 – / – bewirkte frühkindlicher Stress dagegen eine verzögerte Gewöhnung, keine Reduktion von angstähnlichem Verhalten und eine verringerte Angstlöschung.
1.3.1.6. Aufmerksamkeits- und Lernprobleme-Risiko durch frühen Stress erhöht¶
Durch frühkindliche (nichtsexuelle) Misshandlung wird die Aufmerksamkeit im Alter von 14 wie von 21 Jahren beeinträchtigt.
Beeinträchtigtes latentes Lernen und Aufmerksamkeitsdefizit aufgrund frühkindlichen Stresses korreliert mit Veränderungen im cholinergen System in Bezug auf den muscarinischen und nikotinischen Rezeptor.
Räumliches Lernen und Gedächtnisprobleme aufgrund frühkindlichen Stresses korrelieren mit neurophysiologischen Veränderungen im
- NMDA Rezeptor
-
GABA-A Rezeptor
- serotonergen System
-
Hippocampus: Beeinträchtigung der Neurogenese
1.3.1.7. Aggressionsstörungs-Risiko durch frühen Stress erhöht¶
Die soziale Isolierung von Nagetieren in den ersten Tagen nach der Entwöhnung bewirkt eine erhöhte Aggressivität, verknüpft mit verschiedenen neurophysiologischen Korrelaten:
-
noradrenerges System, Beta-2-Adrenozeptor
- Neurosteroid-System
-
GABAerges System
- serotonerges System
- glutamaterges System
1.3.1.8. Hyperaktivitäts-Risiko durch frühen Stress erhöht¶
Die soziale Isolierung von Nagetieren in den ersten Tagen nach der Entwöhnung bewirkt eine erhöhte Motorik, verknüpft mit verschiedenen neurophysiologischen Korrelaten:
-
dopaminerges System
-
PFC
-
Nucleus accumbens
- verringerter Dopaminspiegel im Gewebe, erhöhter Dopaminumsatz
-
Striatum
- verringerter Dopaminspiegel im Gewebe, erhöhter Dopaminumsatz
- serotonerges System
-
Nucleus accumbens
- verringerter basaler Serotoninumsatz
- glutamaterges System
1.3.1.9. Angststörungs-Risiko durch frühkindlichen Stress erhöht¶
Frühkindlicher Stress verursacht Defizite des Angstgedächtnisses,, die neurophysiologisch verknüpft sind mit
- cholinerges System
- mit Neuroplastizität verknüpften Signalsystemen
- Egr-1 System
1.3.1.10. Beeinträchtigtes Sozialverhalten und frühkindlicher Stress¶
Frühkindlicher Stress verursacht Defizite des Sozialverhaltens, die neurophysiologisch verknüpft sind mit dem dopaminergen System und dort mit dem D1-Rezeptor.
1.3.2. Neurophysiologische Veränderungen durch frühen Stress¶
Die Exposition gegenüber frühkindlichem Stress
- aktiviert die Stressreaktionssysteme und verändert ihre molekulare Organisation, was ihre Empfindlichkeit in Bezug auf Ansprache und Reaktion verändert
- beeinflusst die Myelinisierung, die neurale Morphologie, die Neurogenese und die Synaptogenese
- verursacht bleibende funktionelle Konsequenzen, wie
- abgeschwächte Entwicklung der linken Hemisphäre
- verminderte Rückkoppelung zwischen rechter und linker Hemisphäre
- erhöhte elektrische Reizbarkeit innerhalb der Schaltkreise des limbischen Systems
- verminderte funktionelle Aktivität des Kleinhirnwurms (Vermis).
- erhöhtes Risiko für die Entwicklung von z.B.
-
PTBS
- Depression
- Borderline
- dissoziativer Identitätsstörung
- Drogenmissbrauch.
Die verschiedenen Hirnregionen unterscheiden sich dabei in ihrer Empfindlichkeit, die zum Teil von Genetik, Geschlecht, Zeitpunkt, Entwicklungsrate und Dichte des Glucocorticoidrezeptors abhängt.
1.3.2.1. Früher Stress macht HPA-Achse (Stressachse) empfindlicher¶
Frühkindlicher Stress “programmiert” die HPA-Achse lebenslänglich, mittels epigenetischer Mechanismen.
Eine umfassende Metaanalyse von 210 Untersuchungen zu biochemischen Stoffen (Biomarkern) bei ADHS wies darauf hin, dass bei ADHS (neben dem Monoaminsystem des Gehirns) die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HPA-Achse) betroffen bzw. fehlreguliert ist.
Pränataler mütterlicher Stress beeinflusst das Gehirn und das Verhalten des Kindes. Stressige Lebensereignisse, Naturkatastrophen, mütterliche Angst oder Depression erhöhen das Risiko emotionaler, verhaltensbezogener und/oder kognitiver Probleme des Kindes, wie z.B. Depressionen, Angstzustände, ADHS der Verhaltensstörungen. Studien über die biologischen Korrelate und Vermittler dieser Befunde legen nahe, dass die HPA-Achse bei der Vermittlung der Auswirkungen von mütterlichem Stress auf das fetale Gehirn eine Rolle spielt und dass mütterlicher Stress mit Veränderungen in den limbischen und frontotemporalen Netzwerken und den funktionellen und mikrostrukturellen Verbindungen, die diese verbinden, assoziiert ist. Mütterlicher Stress korreliert mit einem dünneren Cortex und vergrößerte Amygdala der Kinder. Pränataler mütterlicher Stress erhöht das Risiko von Frühgeburten und verkürzten Telomerlängen.
1.3.2.1.1. Früher Stress verändert endokrine Stressantworten der HPA-Achse¶
Dauerhafte Veränderungen der HPA-Achse im Ungeborenen könnten der Schlüsselmechanismus sein, der die Verbindung zwischen vorgeburtlichem Stress, nachteiligen Geburtsergebnissen (insbesondere niedrigem Geburtsgewicht) und einer erhöhten Anfälligkeit für verschiedene Krankheiten im späteren Erwachsenenalter erklärt.
- Stress vor der Geburt bis ins frühe Kindesalter hat potenziell einen lebenslangen Einfluss auf die HPA-Achsenreaktionen in psychologischer und pharmakologischer Hinsicht.
- Im Erwachsenenalter bestehen signifikante Zusammenhänge zwischen Kindheitstraumata, psychiatrischen Symptomen im Erwachsenenleben und HPA-Achsen-Reaktionen auf psychologischen und pharmakologischen Stress.
- Unterbrechungen in der Betreuung im Kleinkindalter sowie chronischer Stress verändern die spätere Stressreaktion der HPA-Achse und bewirken eine erhöhte Vulnerabilität für psychische Störungen.
- Bei Menschen führen frühe Stresserfahrungen ebenfalls zu dauerhaften Schäden der Stressregulationssysteme und machen dadurch in der Folge für psychische Störungen besonders anfällig.
1.3.2.1.2. Veränderung der CRH-Systems¶
Früh von der Mutter getrennte oder von der Mutter weniger gepflegte Ratten zeigten
- mehr als verdoppelte CRH-Spiegel auf Entzündungen
- verringerte Dichte der CRH-Rezeptorbindung im Hypophysenvorderlappen
- Veränderungen in extrahypothalamischen CRH-Systemen
- Zunahme der CRH-Rezeptor-Bindungsstellen in den Raphe-Kernen um 59 %
- Anstieg der immunreaktiven CRH-Konzentrationen im Parabrachialkern um 86 %
Junge Affen, die unter frühem Bindungsstress aufwuchsen, hatten im Alter von 4 Jahren erhöhte CRH und erniedrigte Adrenalinwerte.
Die soziale Isolierung von Nagetieren in den ersten Tagen nach der Entwöhnung bewirkt funktionelle Veränderungen im CRH-System.
1.3.2.1.3. Veränderung der ACTH-Stressantwort¶
In einer Studie wurden bei sexuell missbrauchten Mädchen verringerte basale ACTH-Werte sowie verringerte ACTH-Antworten auf eine CRH-Stimulation gefunden, während die Cortisolantwort unauffällig war.
Bei frühen Stresserfahrungen können Störungen der ACTH-Rezeptorsysteme entstehen, die eine Löschung der Angsterfahrung verhindern und so langfristige Stressbelastung verursachen. Dies kann durch ACTH-Gabe verbessert werden. Die Veränderung der ACTH-Rezeptorsysteme könnte unserer Auffassung nach möglicherweise eine Folge einer Down-/Upregulationsreaktion sein. ⇒ Downregulation / Upregulation
Früh von der Mutter getrennte oder von der Mutter weniger gepflegte Ratten zeigen
- erhöhte ACTH-Spiegel basal
- erhöhte ACTH-Spiegel auf akuten Stress
- mehr als verdoppelten CRH-Spiegel auf Entzündungen
- verringerte Dichte der CRH-Rezeptorbindung im Hypophysenvorderlappen
- Veränderungen in extrahypothalamischen CRH-Systemen
- Zunahme der CRH-Rezeptor-Bindungsstellen in den Raphe-Kernen um 59 %
- Anstieg der immunreaktiven CRH-Konzentrationen im Parabrachialkern um 86 %
- Verhaltensauffälligkeiten wie
- erhöhte Ängstlichkeit
- Anhedonie
- erhöhte Alkoholpräferenz
- Schlafstörungen
- kognitive Beeinträchtigungen
- erhöhte Schmerzempfindlichkeit
1.3.2.1.4. Veränderungen in Bezug auf Cortisol durch frühkindlichen Stress¶
1.3.2.1.4.1. Veränderungen der Corticoidrezeptoren durch frühen Stress¶
-
Ratten, die früh länger von ihren Müttern getrennt wurden, hatten eine erhöhte Messenger-RNA-Dichte des Hippocampus-Mineralocorticoid-Rezeptors, während die Glucocorticoid-Rezeptor-Messenger-RNA-Dichte im PFC sowie im Hippocampus verringert war. Diese Verschiebung bewirkt eine verschlechterte Abschaltung der HPA-Achse durch Cortisol an den GR am Ende der Stressreaktion. Dies bestätigt, dass frühkindlicher Stress den Mechanismus der Downregulation in Bezug auf die für Reaktionen auf akuten Stress relevanten Cortisolrezeptoren auslöst, während die diurnale Feedback-Regulation der HPA-Achse (die den basalen Cortisolwert außerhalb einer akuten Stressreaktion über die Mineralocorticoidrezeptoren reguliert) kaum verändert wird.
-
Intensive Stresserfahrungen in der Kindheit bewirken epigenetische Veränderungen (Methylierungen) am Glucocortioid-Rezeptor-Gen NR3C1. Diese Veränderungen sorgen für eine verringerte Anzahl von Andockstellen für das Hormon Cortisol im Gehirn. In der Folge ergibt sich ein dauerhaft erhöhter Cortisolspiegel im Gehirn, weil das vorhandene Cortisol nicht andocken kann. Das Gehirn befindet sich dadurch in einer andauernden Alarmbereitschaft.
-
Frühkindlicher Stress verändert die Expression von Cortisolrezeptoren im Hippocampus und die Reaktion der HPA-Achse auf akuten und chronischen Stress permanent.
-
Desensibilisierte Corticoidrezeptoren haben darüber hinaus Einfluss auf andere Reaktionsketten, u.a. auf das noradrenerge und das adrenerge System.
-
Epidemiologische und präklinische Untersuchungen haben gezeigt, dass die Störung der HPA-Achse bei ADHS aus einer übermäßigen Cortisol-Exposition in der fetalen und frühen postnatalen Phase (frühkindlicher Stress) resultieren kann. Die Verabreichung von Glucocorticoid in diesem Lebensabschnitt kann die Glucocorticoidrezeptoren im Gehirn dauerhaft verändern und dadurch eine Dysregulation der HPA-Achsenaktivität, Störungen in der Biosynthese der Neurotransmitter und ihrer Rezeptoren und Veränderungen der intrazellulären Wege hervorrufen. Glucocorticoide (Cortisol) verstärken die Aktivität des dopaminergen Systems. Eine verringerte Expression von Glucocorticoiden könnte dadurch die Unterfunktion des dopaminergen Systems verursachen.
-
Früher Stress verändert die Funktionalität der Glucocortioid-(Cortisol)-Rezeptoren (hier: im Hippocampus). Dadurch wird die Hemmung der HPA-Achse nach einer Stressreaktion beeinträchtigt. Die Expression von Glucocortioid-(Cortisol)-Rezeptoren wird durch höhere Serotoninspiegel verstärkt, was wiederum durch höhere cAMP-Spiegel moderiert wird. Dies bewirkt Veränderungen der HPA-Achse bis ins Erwachsenenalter.
-
Frühkindlicher Stress verändert bei Mäusen das Stressbewältigungsverhalten im Erwachsenenalter und bei erwachsenen männlichen Nachkommen. Die Verhaltensänderungen werden von einer erhöhten Glucocorticoidrezeptor (GR)-Expression und verringerter DNA-Methylierung des GR-Promotors im Hippocampus begleitet. DNA-Methylierung ist auch in Spermien von exponierten Männchen im Erwachsenenalter vermindert. Wachsen Tiere mit genetischer Belastung ohne frühkindlichen Stress in einer sicheren Umgebung mit vielen sozialen Kontaktmöglichkeiten (Enriched environment) auf, werden keine Verhaltensveränderungen beobachtet. Zugleich werden die genannten Veränderungen in der GR-Genexpression und der DNA-Methylierung im Hippocampus der männlichen Nachkommen umgekehrt.
-
Fürsorgliche Brutpflege bei Rattenjungen in der ersten Woche bewirkt eine Methylierung von Promotoren, die an der Expression von Genen beteiligt sind, die die Stressreaktionen und das Verhalten lebenslänglich beeinflussen (hier positiv).
Bei genetisch identischen Ratten zeigte allein eine unterschiedliche Brutpflege eine unterschiedliche Ausprägung der Stresssysteme:
- Rattenjunge, die wenig Fellpflege und körperliche Zuwendung durch die Mutter erhielten, entwickelten einen geringeren Spiegel des Transkriptionsfaktors NGFI-A (auch EGR1 genannt) im Hippocampus. Dies bewirkte eine erhöhte Methylierung und dadurch eine geringere Expression des Glucocorticoidrezeptor-Gens (GR-Gen) im Hippocampus.
Ein niedrigerer GR-Expressionsgrad im Hippocampus korreliert im Erwachsenenalter mit
- erhöhtem basalen Glucocorticoidspiegel (bei Mäusen: Corticosteron, bei Menschen: Cortisol)
- erhöhter Glucocorticoid-Stressantwort
- ängstlicherem Verhalten
- bei Weibchen: geringere Brutpflege der eigenen Kinder
- Rattenjunge, die viel Fellpflege und körperliche Zuwendung durch die Mutter erhielten, entwickelten einen höheren Spiegel des Transkriptionsfaktors NGFI-A (EGR1) im Hippocampus. Dies bewirkt eine verringerte Methylierung und dadurch eine höhere Expression des Glucocorticoidrezeptor-Gens (GR-Gen) im Hippocampus.
Ein höherer GR-Expressionsgrad im Hippocampus korrelierte im Erwachsenenalter mit
- niedrigerem basalen Glucocorticoidspiegel (bei Mäusen: Corticosteron, bei Menschen: Cortisol)
- niedrigerer Glucocorticoidstressantwort
- weniger ängstlichem Verhalten
- bei Weibchen: erhöhte Brutpflege der eigenen Kinder
-
Bei erwachsenen Ratten, die im Alter von 6, 9 oder 12 Tagen einmalig für 24 Stunden von der Mutter getrennt wurden, war die durch die GR vermittelte Cortisolrückkopplung mangelhaft und beeinträchtigt. Neben einer gleichzeitigen Erhöhung der MR und Verringerung der GR im Hippocampus trat ausserdem eine erhöhte Aktivierung der Nebenniere als Folge eines erhöhten ACTH-Spiegels auf.
-
Intensive Stresserfahrungen in der Kindheit bewirken epigenetische Veränderungen (Methylierungen) am Glucocortioid-Rezeptor-Gen NR3C1. Diese Veränderungen sorgen für eine verringerte Anzahl von Glucocorticoidrezeptoren (GR) im Gehirn. In der Folge ergibt sich ein dauerhaft erhöhter Cortisolspiegel, weil das vorhandene Cortisol nicht andocken kann. Das Gehirn befindet sich dadurch in einer andauernden Alarmbereitschaft.
-
Mütterliche Vernachlässigung und chronischer Stress hemmen die Entwicklung von Glucocorticoid-Rezeptoren im Hippocampus. Dies
- vermindert die stressdämpfende Wirkung von Cortisol am Ende der Stressreaktion der HPA-Achse
- erhöht die CRF- und Vasopressin-mRNA-Spiegel im Hypothalamus
- war Produktion der Stresshormone ACTH und Corticosteron erhöht.
Die Autoren schließen daraus, dass früher Stress die Stressregulation programmiert und das Säugetiergehirn darauf vorbereitet, ängstlicher zu sein und eine erhöhte noradrenerge, Corticosteroid- und Vasopressinreaktion auf Stress zu haben.
1.3.2.1.4.2. Veränderungen der Cortisolstressantwort durch frühkindlichen Stress¶
- Ratten, die nach der Geburt von den Müttern getrennt wurden, zeigten als erwachsene Tiere eine überaktive Stresshormonantwort der HPA-Achse auf akute Stressoren, während die Reaktion der HPA-Achse außerhalb akuter Stresssituationen keine abweichenden Stresshormonwerte zeigte.
- Ein niedriges Geburtsgewicht korreliert mit abweichenden Speichel-Cortisolreaktionen auf akuten psychosozialen Stress bei männlichen Jungen und Erwachsenen.
- Speichel- und Plasma-Cortisolreaktionen auf pharmakologische Stimulation sind mit Geburtsgewicht und Gestationsalter assoziiert.
- Intensive familiäre Probleme im frühen Kindesalter korrelieren mit der Cortisolantwort auf unbekannte Situationen. Dies wird als Hinweis auf eine Gen-Umwelt-Interaktion verstanden.
- Es bestehen signifikante (wenn auch nur geringfügige) Zusammenhänge zwischen kindlichen Bindungsstilen und Speichel-Cortisolreaktionen auf akuten Stress im Erwachsenenalter sowie zwischen Bindungsverhalten im Erwachsenenalter und Speichel-Cortisolreaktionen in Beziehungskonfliktsituationen.
- Kinder, deren Mutter während der Schwangerschaft Kokain konsumierte, zeigten eine veränderte (meist abgeflachte) Cortisolreaktion auf Stress. Traten Gewalterfahrungen hinzu, verstärkte sich dieser Effekt.
- Frühkindlicher Stress bewirkt dauerhafte Veränderungen der HPA-Achse, die sich in veränderten basalen und stressinduzierten Cortisolspiegeln zeigen. Kinder mit internalisierenden Problemen zeigen häufig erhöhte Cortisolwerte auf akute Stressoren, während Erwachsene, die frühkindlichen psychischen Stress erlitten haben, häufig erniedrigte basale Cortisolwerte und erhöhte ACTH-Antworten auf akuten Stress zeigen.
- Affen, die in Gruppen Gleichaltriger ohne Mutter aufwuchsen, zeigten auf mehrfache 4-tägige Isolation als Stressor stärker erhöhte Cortisolspiegel als Affen, die bei ihrer Mutter aufgewachsen waren. Sie zeigten zudem eine grössere Suchtaffinität.
1.3.2.1.4.3. Früher Stress verändert basale Cortisoltagesspiegel¶
- Kinder, die in einem Waisenhaus aufwuchsen, zeigten eine Cortisolspiegelentwicklung über den Tag, die fast keine Änderungen aufwies. Im Vergleich zu in Familien aufgewachsenen Kindern fehlte die morgendliche Erhöhung des Cortisolspiegels (CAR) genauso wie eine Abnahme des Cortisolspiegels über den Tag. Je ausgeprägter die Veränderungen der Cortisolwerte über den Tag waren, desto größer war die Resilienz gegen psychische Störungen.
- Ein flacherer Tagescortisolspiegelverlauf war mit einem erhöhten Risiko für psychische Störungen verbunden. Eine höhere Amplitude des Cortisolverlaufs über den Tag war mit einer verbesserten Stressbewältigung assoziiert.
- Pränataler Stress erhöhte den Cortisolspiegel der Ungeborenen für das gesamte Leben.
- Kindesmisshandlung führte bei Makaken zu auffälligen Veränderungen der HPA-Achse in den ersten sechs postnatalen Monaten:
- höhere Plasmacortisolwerte
- höhere Cortisolakkumulation in den Haaren
- erhöhte HPA-Aktivität
- verlängerte Aktivierung der HPA-Achse
- erhöhtes Maß an emotionaler Reaktivität
1.3.2.1.5. Veränderungen in Bezug auf Vasopressin (AVP) durch frühkindlichen Stress¶
Frühe Stresserfahrung bei Mäusen (am 10. Lebenstag) bewirkte eine DNA-Hypo-Methylierung, die die Vasopressin-Ausschüttung des hierfür zuständigen Gens lebenslang verringerte und eine dauerhafte Hyperaktivierung der HPA-Achse unterstützte.
1.3.2.2. Dopaminsystem - dauerhafte Schädigung durch frühkindlichen Stress¶
Frühkindlicher Stress (z.B. postnatale Deprivation, mütterliche Trennung) führte bei erwachsenen Ratten und Affen zu einer verminderten Motivation, Belohnungen zu verfolgen und einem verringerten mesolimbischen Dopaminspiegel im Striatum. Bei Affen mit frühkindlicher Stresserfahrung zeigte sich ebenfalls ein verringertes Interesse an Belohnungen. Der Belohnungskonsum blieb jedoch unverändert. Es fanden sich erhöhte Noradrenalinabbaustoffe im Urin.
Auch bei Menschen ist frühkindlicher Stress mit einer verringerten Aktivität in Bezug auf Belohnung im ventralen Striatum verbunden, was mit verstärkten Symptomen von Anhedonie einhergeht, wobei die Daten nicht zwischen Belohnungserwartung und Belohnungserhalt differenzierten. Es wäre denkbar, dass insbesondere eine verringerte Reaktivität auf erhaltene Belohnungen mit Anhedonie bzw. Depression korreliert.
Misshandelte Jugendliche zeigten eine verringerte dopaminerge Aktivierung des Pallidums (Teil des Striatums) bei Belohnungserwartung bei zugleich stärkeren Depressionssymptomen.
Weitere Studien bestätigen, dass frühkindlicher Stress (ohne direkte Verknüpfung zu Depression) mit einer verringerten Aktivierung des Striatums während der Belohnungserwartung, nicht aber während des Belohnungserhalts korreliert. Dies deckt sich mit den Veränderungen bei ADHS sowohl in Bezug auf Belohnungserwartung als auch Belohnungserhalt. ⇒ Neurophysiologische Korrelate von Belohnung bei ADHS
Stress und hohe Glucocorticoidspiegel vorgeburtlich und in den ersten Lebensjahren scheinen Entwicklungsprogramme zu verändern, die die dopaminerge Transmission in den mesolimbischen, mesokortikalen und nigrostriatalen Systemen sicherstellen. Die induzierten Veränderungen werden wahrscheinlich durch den ontogenetischen Entwicklungszustand dieser Gehirnregionen zum Zeitpunkt der Stressbelastung bestimmt und ihre Stabilität ist offenbar mit einer erhöhten Lebenszeitanfälligkeit für psychiatrische Störungen, einschließlich Drogenabhängigkeit, verbunden. Auch in Bezug auf Schizophrenie wird eine durch chronischen (sozialen) Stress ausgelöste Veränderung des mesolimbischen Dopaminsystems als Ursache diskutiert. Frühkindliche Vernachlässigung korrelierte mit einer erhöhten mesolimbischen Dopaminausschüttung im ventralen Striatum auf akuten Stress.
In Bezug auf ADHS wurden bei Kindern, deren Mütter in der Schwangerschaft länger mit Cortisol behandelt wurden, eine lebenslange Veränderung des dopaminergen Systems und der HPA-Achse nachgewiesen (Änderungen der Menge der MR- und GR-Rezeptoren, die Aktivität und Abschaltung der HPA-Achse steuern). Die bei diesen Kindern beschriebenen ADHS-Symptome stehen somit mit Veränderungen der HPA-Achse in Verbindung.
- Eine frühe Exposition mit Cortisol führte zu langfristigen Veränderungen der Dopaminsynthese durch Anpassungsreaktionen. Ein Cortisolrezeptor-Agonist (hier: Dexamethason) förderte die PACAP-mRNA-Transkription, Zellproliferation und DA-Synthese, während ein Cortisolrezeptor-Antagonist dies hemmte.
- Früher Stress bewirkte eine fehlerhafte Entwicklung der dopaminergen Pfade des Nucleus accumbens.
- Kinder, die in den ersten 6 Lebensjahren einer belastenden Umgebung und unsicherer Bindung ausgesetzt waren, erlitten dauerhafte Schäden in dopaminergen und serotonergen Gehirnregionen.
- Frühzeitiger Stress in Verbindung mit entsprechenden Genvarianten bewirkte eine Sensibilisierung des Dopaminsystems, sodass es für akuten Stress anfälliger ist, was zu fortschreitender Dysregulation führt.
- Sozialer Stress in der Adoleszenz erhöhte bei Mäusen die Anzahl der Dopamintransporter. Erhöhte DAT sind bei ADHS typisch.
- Mäuse, die als Neugeborene von der Mutter getrennt wurden, zeigten eine verringerte Anzahl an DAT im Nucleus accumbens und Striatum sowie weitere Veränderungen des Dopaminsystems.
- Eine veränderte Funktion des DAT ist bei ADHS und ASS involviert. Innerhalb der ersten Lebensmonate können Umwelteinflüsse die Expression der DAT epigenetisch verändern.
- Frühkindliche Trennung von der Mutter führte bei Ratten zu lebenslänglichen Veränderungen des dopaminergen Systems.
Die soziale Isolierung von Nagetieren in den ersten Tagen nach der Entwöhnung von der Mutter bewirkt reproduzierbaren, langfristigen Veränderungen
- Verhalten:
- Neophobie
- gestörtes sensomotorisches Gating
- Aggression
- kognitive Rigidität
- Neurophysiologisch:
- reduziertes PFC-Volumen
- verminderte synaptische Plastizität
- Hyperfunktion des mesolimbischen dopaminergen Systems im Nucleus accumbens
- verstärkte präsynaptische Dopaminfunktion
- verstärkte Serotoninfunktion
- Hypofunktion des mesokortikalen Dopaminsystems
- abgeschwächte Serotoninfunktion in
- funktionelle Veränderungen dopaminergen Systems in
-
Amygdala
- erhöhter basaler Dopaminumsatz
- infralimbischer mPFC
- verringerter basaler Dopaminumsatz
Rhesusaffen, die ohne Mutter und nur mit Peers aufwuchsen, zeigten als Reaktion auf soziale Trennung erhöhte Werte des Dopamin-Metaboliten Homovanillasäure (HVA).
1.3.2.3. Noradrenalinsystem - dauerhafte Schädigung durch frühkindlichen Stress¶
Trennung von Rattenjungen von der Mutter erhöhte bei SHR-Ratten (einem Modell für ADHS-HI und ADHS-C) die durch GABA-Rezeptoren vermittelte Ausschüttung von Noradrenalin, während diese bei Wystar-KyotoRatten (die als Kontrollmodell für Nicht-ADHS gelten) verringert wurde.
Frühkindliche Trennung von der Mutter führte bei Ratten zu lebenslänglichen Veränderungen des noradrenergen und dopaminergen Systems.
Stress der Mutter (Restriktion für 1 h pro Tag am 15-21. Tag der Schwangerschaft) führte bei Ratten zu einer Abnahme der hypothalamischen Noradrenalin- und der Blutplasma-Corticosteron-Reaktion auf akuten Stress bei erwachsenen männlichen Nachkommen.
Frühkindlich von der Mutter getrennte Affen zeigten einen verringerten basalen Noradrenalinspiegel in der Hirnflüssigkeit. Dies korrelierte mit gestörtem Sozialverhalten, Impulsivität, erhöhter Aggression und verringertem Interesse an schmackhaften Belohnungen.
Bei anderen Affen mit frühkindlicher Stresserfahrung zeigte sich ein verringertes Interesse an Belohnungen. Der Belohnungskonsum blieb jedoch unverändert. Es fanden sich erhöhte Noradrenalinabbaustoffe im Urin. Erhöhte Abbaustoffe im Urin deuten auf einen verringerten Spiegel im Gehirn hin.
Rhesusaffen, die ohne Mutter und nur mit Peers aufwuchsen, zeigten als Reaktion auf soziale Trennung verringerte Werte des Noradrenalin-Metaboliten 3-Methoxy-4-Hydroxyphenylglykol (MHPG).
Epigenetische Umweltfaktoren wie pränataler Stress scheinen die Entwicklung des noradrenergen Systems beeinträchtigen zu können. Dies kann das ASS-Risiko erhöhen.
Das katalytische Enzym HSD11B2 (11 β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase-2), das Cortisol inaktiviert, wird in der Mitte der Schwangerschaft in der Plazenta herunterreguliert. Dies erhöht die Empfänglichkeit des fötalen Gehirns für Cortisol. Während Stress und Nahrungsmangel die HSD11B2-Expression durch erhöhte Methylierung verringern können, verringert Hypoxie die HSD11B2-Expression über andere Mechanismen. Dadurch können erhebliche Veränderungen im noradrenergen System entstehen.
Ein weiterer, möglicherweise aber nicht kausaler Zusammenhang zwischen Stress und Noradrenalinsystem ergibt sich über MeCP2.
Im MeCP2-Mutanten-Mausmodell des Rett-Syndroms ist die HPA-Achse überaktiviert, vermutlich aufgrund einer erhöhten Expression des CRH-Gens, was zu abnormalen Stressreaktionen führt. MeCP2 bindet den CRH-Promotor, der normalerweise mit methylierten CpG-Dinukleotiden angereichert ist. Ein MeCP2-Mangel beeinträchtigt das noradrenerge System und verursacht Atembeschwerden. Eine Noradrenalin-Gabe verbesserte diese.
Bei 11 von 14 ASS-Betroffenen und bei 2 von 2 ADHS-Betroffenen fand sich eine verringerte MECP2-Expression. Eine Case Study berichtet ebenfalls eine Verbindung mit ADHS. SHR sowie mit PCB kontaminierte Ratten zeigten Veränderungen des MECP2-Gens. Nachkommen von Rattenmüttern, denen Alkohol verabreicht worden war, zeigten eine verringerte MECP2-Expression. Alkohol in der Schwangerschaft erhöht das ADHS-Risiko massiv.
1.3.2.4. Serotoninsystem - dauerhafte Schädigung durch frühkindlichen Stress¶
Serotonin beeinflusst das sich entwickelnden Gehirn. Während bestimmter Gehirnentwicklungsphasen reguliert 5-HT in Verbindung mit anderen Transmittern die Gehirnzytoarchitektur und die Knotenkonnektivität durch Modulation einer Vielzahl von Entwicklungsprozessen, einschließlich neuronaler Progenitorzellproliferation, Migration und Differenzierung, Reifung postmitotischer Neuronen und Apoptose. Umweltfaktoren, die die serotonerge Modulation während der Entwicklung oder Variation von Genen, die an der 5-HT-Signalübertragung beteiligt sind, verändern, können Störungen verursachen, die mit fehlerhafter Innervation, Schaltungsbildung und Netzwerkkonnektivität verbunden sind.
Akuter und chronischer Stress beeinflusst die serotonerge Kommunikation:
-
Akuter Stress erhöhte die Genexpression des 5-HT7-Rezeptors in der CA1-Region des Hippocampus, während die Genexpression des 5-HT1A-Rezeptors abnahm
- Corticosteron beeinflusst dosisabhängig 5-HT1A-Rezeptor-vermittelte Reaktionen im Hippocampus der Ratte in vitro und in vivo: Die Aktivierung nur des hochaffinen Mineralocorticoidrezeptors unterdrückt die 5-HT1A-Rezeptor-vermittelten Reaktionen, während die zusätzliche Aktivierung von Glucocorticoidrezeptoren mit niedrigerer Affinität die Wirkung von 5-HT verstärkt.
- Durch Glucocorticoide vermittelter chronischer Stress regelte bei Tieren die 5-HT1A-Rezeptoren im Hippocampus herunter.
Rhesusaffen, die ohne Mutter und nur mit Peers aufwuchsen, zeigten
- ohne Stresseinwirkung
- niedrigere 5-HIAA-Konzentrationen im Liquor
- als Reaktion auf soziale Trennung
- höhere 5-HIAA-Konzentrationen im Liquor
1.3.2.5. Veränderungen des Vegetativen Nervensystems (Sympathikus / Parasympathikus)¶
Frühkindliche Stresserfahrungen sind mit einer Herabregulierung des Sympathikus assoziiert, jedoch wohl nicht mit einer Veränderung der parasympathischen kardiovaskulären Stressreaktivität im Erwachsenenalter.
1.3.2.6. Veränderungen im Cortex / PFC¶
- Erwachsene mit frühem emotionaler Misshandlung wiesen ein verringertes Volumen des mPFC auf.
- Durch Tierexperimente konnte gezeigt werden, dass durch das emotionale Erleben in den ersten Lebensjahren strukturelle neuronale Veränderungen (Verschaltungsmuster in den präfrontal-limbische Schaltkreise) im Gehirn verursacht werden, die lebenslang erhalten bleiben.
- Misshandelte Kinder und Jugendliche weisen strukturelle Entwicklungsschäden auf, in
-
Cortex
- orbifrontaler Cortex (verringertes Volumen bei Heimkindern)
Die Störungen der Amygdala und des orbifrontalen Cortex korrelieren mit sozialen und emotionalen Regulationsstörungen (u.a. erhöhter Ängstlichkeit).
Die neuronale Emotionsverarbeitung und Emotionsregulation bleibt bis ins Erwachsenenalter verändert.
- Nach Stress an neugeborenen Ratten zeigten diese Entwicklungsstörungen der neuronalen Systeme des PFC. Diese Tiere hatten im Alter ein deutlich höheres Stressreaktionsverhalten mit erhöhter Ängstlichkeit und Orientierungsschwierigkeiten.
- Früher sexueller Missbrauch bewirkte einen dünneren Cortex in den Regionen, die den Genitalbereich repräsentieren.
- Pränataler mütterlicher Stress korreliert mit einem dünneren Cortex der Kinder. Eine Verzögerung des ersten Cortexdickemaximums wird als Kennzeichen von Entwicklungsstörungen betrachtet.
1.3.2.7. Frühkindlicher Stress verändert Konnektivität des Thalamus¶
Die räumliche Verteilung der globalen Konnektivität ist am höchsten in den Regionen der Salienz- und Default-Mode-Netzwerke, und der Schweregrad der frühkindlichen Stresserfahrung prognostizierte eine erhöhte globale Konnektivität des linken Thalamus.
Frühkindlicher Stress verändert die Adressierung der Amygdala durch den Thalamus.
1.3.2.8. Frühkindlicher Stress verändert Amygdala¶
Misshandelte Kinder und Jugendliche weisen strukturelle Entwicklungsschäden auf, u.a. in:
-
Amygdala (vergrößertes Volumen bei Heimkindern)
Die Störungen der Amygdala und des orbitofrontalen Cortex korrelieren mit sozialen und emotionalen Regulationsstörungen (u.a. erhöhter Ängstlichkeit).
- Die neuronale Emotionsverarbeitung und Emotionsregulation bleibt bis ins Erwachsenenalter verändert.
- Pränataler mütterlicher Stress korreliert mit einer vergrößerten Amygdala der Kinder.
1.3.2.9. Hippocampus¶
- Früher Stress verringert die Amplitude der Langzeitpotenzierung im Hippocampus.
Nagetiere, die frühem Stress ausgesetzt waren, zeigten dendritische Atrophie in Hippocampuszellen und eine verringerte Amplitude der Langzeitpotenzierung im CA3-Bereich des Hippocampus, was zu Defiziten in der Gedächtnisbildung führte.
- Eine lang anhaltende Stressexposition veränderte Gehirnstrukturen, die an Kognition und psychischer Gesundheit beteiligt sind. In der pränatalen Zeit und den ersten Lebensjahren sind Hippocampus (bis 2 Jahre) und Amygdala (bis 8 Jahre) besonders verletzlich durch lang anhaltenden Stress.
- Ratten, die früh länger von ihren Müttern getrennt wurden, hatten eine erhöhte Messenger-RNA-Dichte des Hippocampus-Mineralocorticoid-Rezeptors, während die Glucocorticoid-Rezeptor-Messenger-RNA-Dichte im PFC sowie im Hippocampus verringert war. Diese Verschiebung bewirkt eine verschlechterte Abschaltung der HPA-Achse durch Cortisol an den GR am Ende der Stressreaktion. Dies bestätigt, dass frühkindlicher Stress den Mechanismus der Downregulation in Bezug auf die für Reaktionen auf akuten Stress relevanten Cortisolrezeptoren auslöst, während die diurnale Feedback-Regulation der HPA-Achse (die den basalen Cortisolwert außerhalb einer akuten Stressreaktion über die Mineralocorticoidrezeptoren reguliert) kaum verändert wird.
- Die Exposition gegenüber Glucocorticoiden (Stresshormonen) während der Entwicklung des Hippocampus in der Schwangerschaft beeinflusst den Startpunkt der Stressreaktion durch epigenetische Veränderungen mittels mRNA und Methylierung.
- Eine weitere Studie beschreibt ebenfalls epigenetische Veränderungen im Hippocampus aufgrund frühkindlichen Stresses.
1.3.2.10. Corpus callosum¶
Misshandelte Kinder und Jugendliche wiesen strukturelle Entwicklungsschäden u.a. im Corpus callosum auf.
Das Corpus callosum ist wie alle myelinisierten Regionen potenziell anfällig für frühkindlichen Stress, da hohe Konzentrationen von Stresshormonen die für die Myelinisierung kritische Gliazellteilung unterdrücken. Die Größe des Corpus callosum wird geschlechtsspezifisch durch frühe Erfahrungen stark beeinflusst. Handling führte bei männlichen Ratten zu einer signifikant größeren Breite des Corpus callosum.
Werden männliche Affen isoliert aufgezogen, schwächt dies die Entwicklung des Corpus callosum und bewirkt eine4 verminderte Größe, die mit Defekten bei bestimmten Lernaufgaben korreliert.
Kindheitstraumata wie starke Vernachlässigung oder Missbrauch scheinen mit einer deutlichen Verringerung der mittleren Anteile des Corpus callosum zu korrelieren, insbesondere bei Jungen. Das Corpus callosum soll bei Jungen eher für Vernachlässigung anfällig sein, bei Mädchen stärker für sexuellen Missbrauch.
1.3.2.11. Frühkindlicher Stress und GABA¶
Pränataler mütterlicher Stress verzögert die Wanderung der GABAergen Zellvorläufer von ihrem Entstehungsort in der medialen ganglionären Eminentia (im Vorderhirn) zu ihrem Ziel im Cortex. Diese GABAerge Zellwanderung ist entscheidend für die spätere kortikale Funktion, z.B. bei Schizophrenie. Die anschließende Reifung von GABAergen Zellen wird durch pränatalen Stress ebenfalls beeinflusst und korreliert mit verändertem sozialen und angstähnlichen Verhalten nach pränatalem Stress. Ein IL-6-Antagonist konnte bei Mäusen eine durch mütterlichen Stress verursachte Verzögerung der Wanderung der GABAergen Zellvorläufer vermeiden.
Die soziale Isolierung von Nagetieren in den ersten Tagen nach der Entwöhnung bewirkt funktionelle Veränderungen im GABAergen System
Frühkindlicher Stress durch längere Trennung von der Mutter, Endotoxine oder Vernachlässigung (z.B. durch weniger aufmerksames Stillen) verändert die molekulare Zusammensetzung des supramolekularen Komplexes aus Gamma-Aminobuttersäure (GABA)-Benzodiazepin und Benzodiazepin. Dies bewirkte:
- verringerte (hochaffinen) GABA-A-Rezeptoren in Amygdala und Locus coeruleus
- verringerte Benzodiazepin-Rezeptoren in der Amygdala zentral und lateral, im PFC, im Locus coeruleus und im Nucleus tractus solitaricus
- reduzierte mRNA-Spiegel für den GABA-A-Gamma-2-Rezeptor, der hochaffin an Benzodiazepin bindet, in den Amygdala-Kernen, im Locus coeruleus und Nucleus tractus solitaricus.
Handling (kurzes in die Hand nehmender Neugeborenen) erhöhte dagegen alle drei Werte. Bekannt ist, dass kurzzeitiges Handling zu erhöhter mütterliches Pflege und Zuwendung führt, was erhöhte (statt wie durch starken Stress verringerte) Oxytocinwerte verursacht.
Auch hier zeigten Nachkommen von Müttern, die hohe Zuwendung aufbrachten, als Erwachsene:
- mehr Benzodiazepin-Rezeptoren in Amygdala (zentral, lateral, basolateral) und Locus coeruleus
- mehr Alpha2-Adreno-Rezeptoren im Locus coeruleus
- dies verringert Rückkopplungshemmung der noradrenergen Neuronen
- weniger CRH-Rezeptoren im Locus coeruleus
- eine wesentlich geringere Ängstlichkeit auf neue Reize
Angst und Furcht werden durch eine verringerte GABEerge Hemmung der Amygdala vermittelt. Die GABAerge Hemmung der Amygdala wird unter anderem beeinflusst durch
-
noradrenerge Projektionen vom Locus coeruleus zum PFC
-
CRH-Projektionen von der Amygdala an den Locus coeruleus (angststeigernd)
-
endogene Benzodiazepine (anxiolytisch)
Die Autoren schließen daraus, dass die mütterliche Fürsorge während des Säuglingsalters dazu dient, Verhaltensantworten auf Stress bei den Nachkommen zu “programmieren”, indem die Entwicklung der neuronalen Systeme, die Ängstlichkeit vermitteln, verändert wird.
1.3.2.12. FKBP5¶
Der Glucocorticoidrezeptor (GR) kommt in nahezu allen Zellen vor und ist ein Corticosteroid-abhängiger Transkriptionsfaktor. Im hormonfreien Zustand liegt er in der Zelle im Komplex mit dem Hitzeschockprotein 90 und einer Reihe weiterer Helferproteine wie zum Beispiel FKBP51 vor, durch die die Steroidsignaltransduktion beeinflusst wird.
- Stress in der Entwicklungsphase der HPA-Achse erhöht die Aktivität des Gens FKBP5 durch eine epigenetische Veränderung (Methylierung). Bei Erwachsenen bewirkten Traumata indes keine Methylierung dieses Gens. FKBP5 soll auch bei Aggressionen eine Rolle spielen. Die epigenetisch veränderte Variante des FKBP5 bewirkt eine dauerhaft verschlechterte Stressregulation der Betroffenen.
- Träger der FKBP5-Genotypen rs1360780 oder rs3800373 haben ein deutlich erhöhtes Depressionsrisiko, wenn sie traumatisierenden Ereignissen, etwa körperlicher Gewalt, sexuellem Missbrauch oder schweren Unfällen, ausgesetzt waren. Ohne derartige belastenden Ereignisse ist die Depressionswahrscheinlichkeit unverändert. Bei einer solchen Belastung ist die normalerweise am Ende der Stressreaktion durch Cortisol ausgelöste Abschaltung der HPA-Achse beeinträchtigt. Die HPA-Achse wird dadurch nicht sauber heruntergefahren und bleibt dauerhaft aktiviert.
Diese Wirkung ist eine phänotypische Beschreibung von ADHS-HI (mit Hyperaktivität).
1.3.2.13. Erhöhte Anfälligkeit für oxidativen Stress¶
Früher wie lang anhaltender Stress erhöht die Vulnerabilität für oxidativen Stress.
1.3.2.14. Veränderung der immunologischen Stressantwort (Kindling-Effekt)¶
Mittelschwere und schwere Misshandlung im Kindesalter (MAL) korreliert positiv mit der Gesamtveränderung der Stressantwort des Zytokins IL-6 sowie der maximalen IL-6-Konzentration während des TSST.
Traumatische Erfahrungen im Kindesalter bewirken erhöhte CRP-Werte.
Dies könnte auf dem Kindling-Effekt beruhen. Eine frühere Aktivierung von Zytokinen (Proteine, die Entzündungen bekämpfen) führt bei einer erneuten Aktivierung zu einer intensiveren Zytokinantwort.
⇒ Kindling-Hypothese der Depression. Da Zytokine die Neurotransmittersysteme beeinflussen können, bewirken frühkindliche Zytokinintoxikationen lang anhaltende Veränderungen der Katecholaminsysteme (Dopamin, Noradrenalin, Serotonin).
So bewirkten bereits geringe Dosen des Zytokins IL-2 bei neugeborenen Mäusen dauerhaft verringerte Dopaminspiegel im Hypothalamus im Erwachsenenalter.
1.3.2.15. Epigenetische Veränderungen durch frühen Stress¶
Epigenetische Veränderungen beschreiben Mechanismen, mittels der die Expression von Genen und damit ihre Aktivität beeinflusst werden. Die Auswirkung einer epigenetischen Veränderung kann mithin in jeder der bisher beschriebenen Weisen eintreten, z.B. eine Veränderung der Cortisolrezeptoren oder eine Veränderung des dopaminergen Systems.
1.3.2.15.1. Veränderungen der DNA-Methylierung¶
Frühkindliche Stresserfahrungen können über eine Methylierung der DNA zur Entstehung von ADHS beitragen. Dabei scheinen die mit externalisierende Verhaltensweisen korrelierenden DNA-Methylierungen eher die Folgen problematischer Verhaltensweisen zu sein, die durch frühkindliche Stresserfahrungen verstärkt werden, als die epigenetische Grundlage solcher Verhaltensweisen darzustellen. Externalisierende Verhaltensweisen-Methylierungs-Risikoscores korrelierten mit kleineren Volumina der grauen Substanz in medialen orbitofrontalen und anterioren/mittleren cingulären Cortices. Diese Hirnregionen stehen mit ADHS in Verbindung.
Kinder, die im Heim aufwuchsen, zeigen gegenüber Kindern, die in Familien aufwuchsen, signifikante Veränderungen der DNA-Methylierung. Diese Veränderungen der DNA-Methylierung können etwa 7 bis 14 % der Verhaltensveränderungen erklären.
1.3.2.15.2. Verkürzte Telomere, verringerte Telomerase¶
Stress in den ersten 4 Lebensjahren, also in der Zeit, in der das Gehirn sich am schnellsten entwickelt, führt zu verkürzten Telomeren, den DNA-Wiederholungen an den Chromosomenenden. Cortisol und oxidativer Stress erhöhen die Telomerverkürzung und behindern die Telomerase (das Enzym, das Telomere repariert). Verkürzte Telomere bewirken veränderte Verhaltensweisen. Es ist dagegen unwahrscheinlicher, dass bestimmte spätere Verhaltensweisen Einfluss auf die Telomerlänge haben, da eine Verkürzung der Telomere vornehmlich in den ersten Lebensjahren erfolgt und bei Erwachsenen kaum noch auftritt. Die Länge von Telomeren beeinflusst die Expression von Genen erheblich. Eine umfassende und erhellende Darstellung findet sich bei Bateson, Nettle. Pränataler mütterlicher Stress korreliert mit verkürzten Telomerlängen der Kinder.
- Verhaltensweisen, die durch verkürzte Telomere gefördert werden, sind
-
Impulsivität
- Ungeduld
- Abwertung entfernter Belohnungen
- Risikobereitschaft
- Essen
- höheres BMI
- Menge
- Häufigkeit
- Suchtverhalten
- Stressreaktivität
- höherer Blutdruck
- höherer basaler Cortisolspiegel (bei gesunden Kindern)
- höhere Cortisolstressantworten
- mehr internalisierende Symptome
- Neurotische Persönlichkeitseigenschaften
- Pessimistische Persönlichkeitseigenschaften
- Vermeidung physischer Aktivität
- Verhaltensweisen, die durch längere Telomere gefördert werden, sind
1.3.2.16. Verringertes Gehirnvolumen im Erwachsenenalter durch frühe Deprivation¶
Deprivation in den ersten Lebensjahren (hier: bei rumänischen Heimkindern) bewirkte ein verringertes Gehirnvolumen im Erwachsenenalter. Dies ist auch durch ein enriched Environment (hier: Adoption) nicht reversibel.
1.3.2.17. Veränderte Entwicklung der Blut-Hirn-Schranke¶
Frühkindlicher Stress führte bei Ratten zu einer veränderten Entwicklung der Blut-Hirn-Schranke durch Erhöhung des Caveolae-vermittelten Transports in Hirnendothelzellen.
1.3.2.18. Weitere neurophysiologische Veränderungen durch frühkindlichen Stress¶
- Verringerte Empfindlichkeit auf sedierende Hypnotika
(verkürzter Verlust des Righting Reflexes)
-
CRH-System
-
noradrenerges System
-
GABAerges System
- Allopregnanolon
- Erhöhte Anfälligkeit für Picrotoxin-induzierte Krämpfe
-
GABAerges System
- Allopregnanolon
- erhöhter Startle-Reflex
- beeinträchtigte Prepuls-Inhibition
- erhöhtes Futtersammelverhalten (Food Hoarding)
- verminderte Anfälligkeit für GABAerge Medikamente
- wie Pentobarbital und Diazepam
- histochemische Veränderungen in der Oligodendrozytenreifung und Myelinisierung und der dendritischen Spine-Dichte im mPFC
- Downregulierung des Biosynthesewegs von Allopregnanolon
- Allopregnanolon ist ein Neurosteroid mit einer positiven allosterischen modulatorischen Aktivität gegen den GABA-A-Rezeptor.
1.4. Stress in Kindheit und Jugend verhindert Remission von ADHS¶
Eine Untersuchung der Stressbelastung von Kindern mit ADHS fand, dass starke Stressbelastung in der Kindheit und Jugend mit einem schwererem ADHS-HI- bzw. ADHS-I-Verlauf bis ins Erwachsenenalter einherging, während Kinder mit einer schwachen Stressbelastung häufig ein remittierendes ADHS zeigten.
Dass die Jugend ein sehr verletzliches Alterssegment ist, zeigt sich umgekehrt bei Untersuchungen über die altersabhängige Wirkung von Enriched Environments bei Nagetieren. Zwar zeigen sich bereits in der Kindheit positive Wirkungen. Der größte Vorteil wurde jedoch in der mittleren Jugend beobachtet. Enriched Environment bewirkte eine verbesserte selektive und auditive Daueraufmerksamkeitsleistung, erhöhtes Erkundungs- und Nahrungssammlungsverhalten sowie einen signifikanten Rückgang des Corticosteronspiegels sowie reduzierte Angstwerte.