AD(H)S gibt es weltweit in allen Kulturen und Staaten.
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1. Bevölkerungsprävalenz
1.1. Weltweit
Als Gesamtschnitt wurde 2007 aus Studien von 1978 bis 2005 eine Prävalenz von 5,29 % ermittelt.(1) Dabei wurden wenig Unterschiede zwischen Nordamerika und Europa festgestellt, während sich für Afrika und den Mittleren Osten abweichende Werte fanden.
2018 ermittelte eine Studie eine Prävalenz von rund 5 % bei Kindern und Jugendlichen sowie weitere 5 %, die knapp unter dem Cutoff für eine Diagnose lagen.(2) 2012 ermittelte eine Metaanalyse aus 86 Studien mit n = 163,688 Kindern und Jugendlichen einen Prävalenzschnitt von 5,9 bis 7,1 % nach DSM IV sowie aus 11 Studien mit n = 14.112 Erwachsenen von rund 5 %.(3)
1.2. Europa
1.2.1. Deutschland
Die erste KiGGS-Studie 2006 fand, dass knapp 5 % der Kinder und Jugendlichen in Deutschland von 3 – 17 Jahren bereits einmal eine ärztliche ADHS-Diagnose erhalten hätten. Daneben seien weitere 5 % als Verdachtsfälle einzustufen.(4)
Die zweite KiGGS Studie von 2017 spricht von 4,4 % der Kinder und Jugendlichen, die bereits einmal eine ärztliche Diagnose erhalten hätten.(5)(6) Es handelt sich um Berichte der Erziehungsberichtigten. Die Aussage, dass einmal ein AD(H)S-Diagnose erfolgt sei, bedeutet nicht, dass diese Diagnose zum Studienerhebungszeitpunkt noch fortbestehen müsste.
Die Gesamtprävalenz von AD(H)S bei Kindern und Jugendlichen wurde in der Bella-Studie von 2007(7) mit 2,2 % festgestellt (was wir für zu niedrig erachten). Eine Bella-Teilstudie mit n= 2500 Probanden zwischen 7 und 17 Jahren(8) benennt die Prävalenz in der Elternbeurteilung mit rund 5 %. Beide Darstellungen bestätigen ein starkes Auseinanderfallen der Prävalenz nach sozialen Schichten. Nach der Bella-Studie 2007 ist die mittlere Schicht mit der Durchschnittsprävalenz belastet, während die untere soziale Schicht mit 3,9 % eine vier mal so hohe Prävalenz hat wie die obere Schicht.(9) Die Bella-Teilstudie berichtet in der unteren sozialen Schicht (mit 7,2 %) eine ca. 2,3 mal so hohe Prävalenz von AD(H)S als in der oberen Schicht mit 2,8 % (bei 3 Schichten).(8)
33,3 % aller Deutschen und 38,8 % aller EU-Bürger leiden (innerhalb von 12 Monaten) an einer psychischen Störung. Männer und Frauen sind ungefähr gleich häufig betroffen, jedoch mit unterschiedlichen Störungsbildern. Am häufigsten ist die Altersgruppe von 18 bis 34 Jahren betroffen.(10)
Von diesen 33,3 % leiden wiederum 1/3 (also insgesamt 11,1 % aller Deutschen) an mehr als nur einer Störung. In diesen Fällen besteht eine offene Komorbidität von mehreren Störungen aus verschiedenen Diagnosegruppen. Die Komorbidität hinsichtlich verschiedener Einzeldiagnosen aus der selben Gruppe ist nochmals deutlich höher.
Komorbiditäten nehmen mit dem Alter zu.(10)
Die Lebenszeitprävalenz von AD(H)S in Deutschland entspricht in etwa der von Diabetes.(11)
Weiterführend zur Prävalenzverteilung von AD(H)S: http://www.adhs.info/fuer-paedagogen/allgemein-stoerungsbild/praevalenzraten.html
1.2.2. Dänemark
Eine Kohortenstudie in Dänemark ergab bei Jungen unter 18 Jahren ein Prävalenz von 5,9 % nach ICD 10.(12) Eine andere Studie unter allen von 1990 bis 199 geborenen Kindern fand eine Prävalenz von 3,68 %.(13)
1.2.3. Finnland
In Finnland beobachtete eine nationale Kohortenstudie einen Anstieg der Gabe von AD(H)S-Medikamenten bei Kindern von 1,26 % in 2008 auf 4,42 % in 2018 und bei Jugendlichen von 0,93 % in 2008 auf 4,21 % in 2018. Zugleich stieg der Anteil von medikamentierten Frauen an.(14)
1.2.4. Frankreich
Die AD(H)S-Prävalenz bei Kindern von 6 bis 12 Jahren wurde mit 3,5 % bis 5,6 % angegeben. Eine andere Studie nennt einen Wert von 0,3 %,(15) was zu niedrig erscheint.
1.3. Nordamerika
1.3.1. USA
In den USA hat die Häufigkeit der Diagnose von allen Entwicklungsstörungen, darunter auch AD(H)S, in den Jahren von 2009 bis 2018 signifikant zugenommen:(16)(17)(18)
- Kinder von 3 bis 17 Jahren mit AD(H)S-Diagnose
- 2010: 8 %
- 2017: 8,5 % bis 9,5 %(16)
- 2018: 9,8 %
- Jungen
- 2010: 11 %
- 2018: 13 %
- Mädchen
- 2010: 6 %
- 2018: 6,6 %
- nach Alter (2018)
- 3-4: Lernschwäche 3,2 %, AD(H)S 1,2 %
5-11: Lernschwäche 6,7 %, AD(H)S 9 %
12-17: Lernschwäche 9,4 %, AD(H)S 13,6 %
- 3-4: Lernschwäche 3,2 %, AD(H)S 1,2 %
- Hispanische Kinder hatten seltener eine AD(H)S-Diagnose (2010: 4 %; 2018: 2018: 6,9 %) als nicht-hispanische weiße (2010: 10 %; 2018: 10,9 %) oder nicht-hispanische schwarze (2010: 11 %; 2018: 13,1 %) Kinder. Kinder von Paaren mit einem weissen und einem indianischen Elternteil (American Indian / Alaska Native) hatten 2018 eine AD(H)S-Prävalenz von 26,4 %.
- Kinder von alleinerziehenden Müttern hatten etwa doppelt so häufig Lernschwierigkeiten (1010: 12 %; 2018: 11,3 %) oder AD(H)S (2010: 13 %; 2018: 12,6 %) wie Kinder in Familien mit zwei Elternteilen (Lernschwierigkeiten 2010: 6 %, 2018: 5,9 %; AD(H)S 2010: 7 %, 2018: 8,8 %). Kinder alleinerziehender Väter hatten 2018 nur zu 5 % Lernschwierigkeiten und zu 6,7 % AD(H)S.
- Kinder mit einem mittleren oder schlechten Gesundheitszustand hatten rund fünfmal so häufig eine Lernschwäche (2010: 28% zu 6%; 2018: 32,3 % zu 5,9 %) und rund doppelt so häufig AD(H)S (2010: 18% zu 7%; 2018: 16,2 % zu 8,8 %) wie Kinder mit einem ausgezeichneten oder sehr guten Gesundheitszustand. Bei einem guten Gesundheitszustand war 2018 AD(H)S mit 15,4 % kaum häufiger als bei einem mittleren oder schlechten Gesundheitszustand.
- Kinder in Großstädten über 1 Million Einwohner hatten 2018 mit 8,2 % seltener ein AD(H)S-Diagnose als Kinder in Städten unter 1 Mio (12 %) oder ausserhalb von Großstädten (11,6 %).
- Bei Kriegsveteranen wurde zwischen 2009 und 2016 ein Zuwachs der jährlichen AD(H)S-Prävalenz um rund 250 % von 0,23 auf 0,84 % beobachtet.(19)
- Friedmann berichtet, dass die Lebenszeitprävalenz von AD(H)S in den USA von 7,8 % in 2003 auf 11 % in 2011 gestiegen sei.(20) Dies ergibt sich nicht aus einem Anstieg von AD(H)S sondern dass AD(H)S heute besser erkannt und sicherer diagnostiziert wird.
1.3.2. Kanada
Bei kanadischen Kindern wurde AD(H)S diagnostiziert bei(21)
- Mädchen
- 2008: 3,1 %
- 2015: 3,9 %
- Jungen:
- 2008: 8 %
- 2015: 9,5 %
1.4. Südamerika
1.4.1. Kolumbien
Unter Kindern der Paisa in Kolumbien fand eine Studie eine AD(H)S-Prävalenz von 16,4 % (Jungen 19,8 %, Mädchen 12,3 %).(22)
1.5. Asien
1.5.1. China
In China wurde bei Kindern und Jugendlichen eine Prävalenz von 6,26 % ermittelt (63 Studien von 1983 bis 2015, davon 70 % aus aus 2005 bis 2015), wobei sich erhebliche regionale Unterschiede ergaben.(23)
1.5.2. Japan
Unter japanischen Erwachsenen soll die AD(H)S-Prävalenz bei 1,7 % liegen.(24)
Unter japanischen Studentinnen (∅ 19,2 Jahre) wurde bei 27,2 % ADHS und bei 1,1 % ADS gefunden.(25) Eine andere Studie berichtete von 27 % AD(H)S bei japanischen Studenten (29,7 % Männer, 25,3 % Frauen).(26)
Eine Studie berichtet von 31,1 % AD(H)S nach Elternreport (n = 7.566) und 4,3 % AD(H)S nach Lehrerreport (n = 9.9 56) bei einer Gesamtprävalenz von 7,2 bis 7,9 % unter japanischen Vorschulkindern. Möglicherweise sind Elternberichte in Japan aus kulturellen Gründen nicht belastbar.(27) Eine weitere Studie findet ebenfalls Hinweise auf überhöhte Elternratings für kleine Kinder in Japan.(28) Während die Eltern der 4 bis 12-jährigen eine AD(H)S-Quote von 7,7 % ermittelten, ergaben die Lehrerratings der Kinder lediglich bei 3,19 % AD(H)S (nach DSM III).
1.5.3. Taiwan
Eine große Studie fand einen Anstieg neuer AD(H)S-Diagnosen nach ICD 9 von 7,92/10000 Personenjahre in 2000 auf 13,92/10000 Personenjahre in 2011. Das Verhältnis von Männern zu Frauen sank von 3,61 auf 2,90. Der größte Anstieg wurde bei jungen Erwachsenen (19-30 Jahre) festgestellt, gefolgt von Vorschulkindern (0-6 Jahre).(29)
1.5.4. Indien
Eine große Studie benannte die Prävalenz von AD(H)S in Indien in 2017 mit 0,3 %.(30) Die Prävalenz von ASS wurde mit 3,2 % genannt.
In einem ländlichen Gebiet von Nordindien fand sich eine Prävalenz von AD(31)
1.6. Afrika
1.6.1. Äthiopien
In Äthiopien wurde 2015 bei 6 bis 17-jährigen eine Prävalenz von 7,3 % ermittelt. Auch hier waren 80 % mehr Jungen als Mädchen betroffen, Kinder alleinerziehender Elternteile waren 5 mal so häufig und Kinder aus Familien mit niedrigem sozioökonomischen Status 2,4 mal so häufig betroffen.(32)
1.6.2. Ghana
Eine Studie in Ghana fand 2016 bei Kindern von 7 bis 15 Jahren eine Prävalenz von 1,64 %.(33)
1.7. Mittlerer Osten
1.7.1. Iran
Im Iran fand eine 2019 veröffentlichte Studie eine Prävalenz von 4 % (5,2 % bei Jungen, 2,7 % bei Mädchen) zwischen 6 und 18 Jahren.(34)
2. Prävalenz in psychiatrischen Kliniken
Bei erwachsenen stationären Patienten einer deutschen psychiatrischen Klinik wurde bei 59 % AD(H)S diagnostiziert (12-Monats-Prävalenz).(35)
3. Unterschiede in verschiedenen Populationen
Eine Studie an 5,2 Millionen Patienten kam zu dem Ergebnis, dass die Häufigkeit von AD(H)S von der Population abhängig sei:(36)
- Weiße: 0,67%-1,42%
- Indianer: 0,56%-1,14%
- Hispanoamerikaner oder Latinos: 0,25%-0,65%
- Farbige: 0,22%-0,69%
- Asiatisch-Amerikanische Personen: 0,11%-0,35%
- Pazifische Inselbewohner: 0,11%-0,39%
- Individuen anderer Ethnien: 0.29%-0.71%
Es handelt sich hier nicht um die Lebenszeitprävalenz der Gesamtbevölkerung, sondern um die Häufigkeit der innerhalb eines Jahres gegebenen Diagnosen an Patienten, die ein bestimmtes Krankenaktensystem(37) nutzen.
Da AD(H)S zu einem großen Teil genetisch bedingt ist, ist eine unterschiedliche Prävalenz zwischen verschiedenen Ethnien nicht überraschend.
Anmerkungen zu den Begriffen Population und Rasse:(38)
- Der Begriff Rasse kennzeichnet die Menschheit insgesamt. Es gibt keine unterschiedlichen Menschenrassen.
- Der englische Begriff Race (Rasse) benennt nicht eine genetische Definition, sondern ein soziales Konstrukt.
- Die genetischen Unterschiede zwischen Kontinenten sind graduell. Beispielsweise gibt es Menschengruppen in Afrika (z.B. die San), die hellere Haut haben als Menschengruppen in Europa (z.B. in Andalusien). Die helle Hautfarbe der Europäer hat sich erst vor wenigen tausend Jahren ausgebildet. Davor waren alle Menschen mehr oder weniger “schwarz”.
- Über einen Stammbaum von 4000 Jahren ist jeder Mensch mit jedem anderen Menschen blutsverwandt.
4. Prävalenz in bestimmten sozialen Gruppen
Unter Flüchtlingen und Asylsuchenden unter 18 Jahren fand eine Metastudie von 8 Untersuchungen eine AD(H)S-Prävalenz von 8,6 % (1 bis 16 %), wobei zugleich PTSD (22,71 %), Angststörungen (15,77 %), Depression (13,81 %) und ODD (1,77 %) festgestellt wurden.(39) Die hohen Werte von PTSD, Angststörungen und Depressionen könnten unserer Auffassung nach die tatsächliche Prävalenz von AD(H)S bei der untersuchten Zielgruppe verdeckt haben.
Zuletzt aktualisiert am 27.12.2020 um 14:00 Uhr