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1. Was ist Komorbidität
Komorbidität meint psychische Störungen, die (bedingt unabhängig voneinander) nebeneinander bestehen und die typischerweise häufig gemeinsam auftreten.
Psychische Störungen sind sehr häufig. Fachleute gehen von einer Lebenszeitprävalenz von bis zu 66% für psychische Störungen aus. Das bedeutet, dass 2/3 aller Menschen einmal im Leben an einer psychischen Störung leiden, wobei viele lediglich deshalb nicht entdeckt werden, weil die Betroffenen sich nicht behandeln lassen.(1)
Viele der unter 2. für Kinder und unter 3. für Erwachsene als Komorbiditäten aufgeführten Störungen entstehen genau so wie AD(H)S
- rein genetisch (häufig)
- durch Umweltbelastungen alleine (recht selten)
- durch ein Zusammenwirken von Gen + Umwelt (häufig)
AD(H)S geht häufig mit komorbiden Störungen einher. Welches Störungsbild zuerst behandelt werden sollte, dürfte sich anhand dem Maß der Belastung entscheiden.
Siehe hierzu unter ⇒ Behandlungspriorisierung bei Komorbiditäten im Beitrag ⇒ Leitfaden AD(H)S-Behandlung im Kapitel ⇒ Behandlung und Therapie.
2. Komorbidität bei Kindern
Kinder mit AD(H)S leiden mit einer Wahrscheinlichkeit von 60-100% unter mindestens einer psychopathologischen Komorbidität (z.B. Tic-Störung, Depression, Störung des Sozialverhaltens u.a.).(2)(3)
Bei AD(H)S-betroffenen Kindern sind die folgende Komorbiditäten häufig.
2.1. Psychiatrische Störungen
Absteigend sortiert nach Häufigkeit bei AD(H)S (in % der AD(H)S-Betroffenen).
2.1.1. Schlafstörungen
70 – 80 %(4); 73,3 % (28,5 % leichte plus 44,8 % mittlere und schwere),(5)(6) doppelt so häufig wie bei nichtbetroffenen Kindern(7)(8)
Zur Behandlung von Schlafstörungen ⇒ Schlafprobleme bei AD(H)S.
Eine Metastudie fand bei rund 33 % aller Narkolepsiebetroffenen zugleich AD(H)S.(9)
2.1.2. Aggressives Verhalten
Etwas mehr als 50 %(10)
Aggressives Verhalten ist kein originäres Symptom von ADHS. Aggressivität kann ein Ausdruck von Stress sein, doch nicht jeder Mensch reagiert auf Stress mit Aggressivität, auch nicht jeder, der Stress eher externalisiert.
Für eine reine Komorbidität spricht unter anderem, dass AD(H)S-unspezifische Medikamente wie Risperidon lediglich Aggressivität, nicht aber AD(H)S-Symptome verringern, während MPH (Methylphenidat) die Symptome von AD(H)S und ODD gleichermaßen lindern kann.(11)
Siehe auch ⇒ Neurophysiologische Korrelate von Aggression
2.1.3. Schwere Verhaltensstörung
Häufigkeit der Komorbidität bei Kindern mit AD(H)S:
- 50%(12)
- 31 % im Iran bei Kindern zwischen 6 und 18 Jahren.(13)
- ODD 26,1 % im Iran bei Kindern zwischen 6 und 18 Jahren.(13)
2.1.3.1. Deficient emotional self regulation (DESR)
DESR wird beschrieben als
- Selbstregulierungsdefizite einer durch starke Emotionen hervorgerufenen physiologischen Erregung
- Schwierigkeiten der Hemmung unangemessenen Verhaltens als Reaktion auf positive oder negative Emotionen
- Probleme bei der Neuausrichtung der Aufmerksamkeit bei starken Emotionen
- Desorganisation der Verhaltenskoordination als Reaktion auf emotionale Aktivierung
- DESR unterscheidet sich von der anhaltenden und schweren aggressiven Gereiztheit, die bei der pädiatrischen bipolaren Störung häufig ist.(14) Die abnormen Stimmungen der bipolaren Störung beruhen nicht auf mangelhafter Selbstkontrolle und umfassen weitere Stimmungskriterien nach DSM-IV.
DESR ist mit keinem erhöhten Risiko einer bipolaren Störung verbunden.(15)
In Untersuchungen wurde bei 44%(15) bis 55 %(16) der AD(H)S-Betroffenen DESR festgestellt, dagegen nur bei 2 % der Nicht-Betroffenen.(15)
DESR wird diagnostiziert, wenn die Betroffenen auf den 3 Skalen Angst / Depression (intensive Emotionen), Aggression und Aufmerksamkeit (Impulsivität) der Child Behavioural Check List (CBCL) zwischen 180 und 210 Punkten erzielten (im Schnitt zwischen 60 und 70 je Skala). Werte über 210 Punkte werden nicht mehr als DESR, sondern als schwerere Formen affektiver Störungen (Störungen der Stimmungs- und Verhaltensfehlregulation) bezeichnet. Durch die definierten Diagnosekriterien von DESR, die ohne einen hohen Score auf der Aggressionsskala nicht zu erreichen sind, dürfte die Diagnose von DESR auf den ADHS-Subtyp beschränkt sein, der auf empfundenen Stress phänotypisch eher mit Aggression reagiert.
Die CBCL-Skala für aggressives Verhalten bewertet:(17)
1. Streitet oder widerspricht viel
2. Gibt an, schneidet auf
3. Ist roh oder gemein zu anderen, schüchtert sie ein
4. Verlangt viel Beachtung
5. Macht seine eigenen Sachen kaputt
6. Macht Sachen kaputt, die den Eltern, Geschwistern oder anderen gehören
7. Gehorcht zu Hause nicht
8. Gehorcht in der Schule nicht
9. Ist leicht eifersüchtig
10. Gerät leicht in Raufereien, Auseinandersetzungen
11. Greift andere körperlich an
12. Schreit viel
13. Produziert sich gerne oder kaspert herum
14. Ist störrisch, mürrisch oder reizbar, lässt sich von anderen leicht ärgern
15. Zeigt plötzliche Stimmungs- und Gefühlswechsel
16. Redet zu viel
17. Hänselt andere gerne
18. Hat Wutausbrüche oder ein hitziges Temperament
19. Bedroht und schikaniert andere oder schüchtert sie ein
20. Ist ungewöhnlich laut
Nach unserer Einschätzung zielen alle Fragethemen vorrangig auf den Subtyp ADHS (mit Hyperaktivität) ab, während lediglich die Fragethemen 7, 8, 9, 14 und 15 auch zum den Subtyp ADS passen, aber (dessen) mögliche Symptome einer nach innen gerichteten emotionalen Intensität nicht zielgerichtet abfragen. Beim vorwiegend unaufmerksamen Subtyp (ADS) treten kaum externalisierende Symptome wie Aggressionen oder oppositionelles Trotzverhalten auf.(18) Nach unserem Verständnis internalisiert der ADS-Subtyp empfundenen Stress und reagiert nicht vorrangig aggressiv.
DESR kann somit nur bei ADHS und Mischtyp-Betroffenen auftreten, nicht bei ADS.
Wir gehen davon aus, dass auch ADS-Betroffene an emotionaler Dysregulation leiden, die sich nur eben nicht oder selten als Aggression äußert. Diese Wahrnehmung bestätigte eine AD(H)S-Therapeutin in einem persönlichen Gespräch.
Folglich dürften deutlich mehr als 44 bis 55 % aller AD(H)S-Betroffenen an emotionaler Dysregulation leiden, wobei die Ausdrucksformen sich sehr unterscheiden können.
Auch hierzu wären Untersuchungen wünschenswert, die die Subtypen und die für diese jeweils phänotypischen Ausdrucksarten intensiver Emotionen (ADHS: Externalisierung / ADS: Internalisierung) berücksichtigen.
2.1.3.2. Störungen des Sozialverhaltens / Oppositionelles Verhalten / Oppositional Defiant Disorder (ODD) / Conduct Disorder (CD)
Quelle(6)
- bei AD(H)S-Betroffenen Kindern: 39,3 %(19); explizit für ODD: (35%)(20)
- unter AD(H)S-Betroffenen haben 30 bis 50 % eine komorbide ODD oder CD.(21)
- bei Nichtbetroffenen: 3,9 %(22)
= das 10-fache Risiko - Betroffene einer einer Störung des Sozialverhaltens haben das 21-fache Risiko (gegenüber Nichtbetroffenen), zugleich an AD(H)S zu leiden.(23)
- ODD bezieht sich vornehmlich auf ADHS (mit Hyperaktivität) und weniger auf ADS-Betroffene (ohne Hyperaktivität), da Hyperaktivität Ausfluss eines externalisierenden Stressreaktionsmusters ist, während ADS Ausfluss eines nach innen gerichteten Stresses (totstellen, flüchten) ist. ⇒ Die Subtypen von AD(H)S: ADHS, ADS, SCT und andere
- ODD (Oppositonal Defiant Disorder) verstehen wir als reine Komorbidität zu AD(H)S.
Steinhausen beschreibt Störungen des Sozialverhaltens einerseits als die häufigste Komorbidität von AD(H)S,(24) bezeichnet die Komorbidität andererseits auf Seite 174 als Subtyp von AD(H)S.- Abgesehen davon, dass Schlafstörungen deutlich häufiger sein dürften, betrachten wir ODD aufgrund der Abgrenzbarkeit der genetischen Grundlage nicht als Subtyp.
Für Störungen des Sozialverhaltens wie auch AD(H)S werden (jeweils als eines von mehreren zusammenwirkenden speziellen Genen) ein spezieller Polymorphismus des MAO-A Gens als genetische Mitursache genannt. Hinsichtlich Störungen des Sozialverhaltens scheint dieser Genpolymorphismus jedoch eine sehr viel größere Rolle zu spielen, da er dort sehr viel häufiger genannt wird und AD(H)S sich auch ohne eine Beteiligung dieses Gens (durch Zusammenwirken anderer Gene) manifestieren kann. Bei AD(H)S wird das MAO-A-Gen stets bei einer Teilmenge von Betroffenen genannt, die zugleich an Verhaltensstörungen leiden.
Für eine reine Komorbidität spricht weiter, dass AD(H)S-unspezifische Medikamente wie Risperidon lediglich Aggressivität, nicht aber AD(H)S-Symptome verringern, während MPH (Methylphenidat) die Symptome von AD(H)S und ODD gleichermaßen lindern kann.(11)
- Abgesehen davon, dass Schlafstörungen deutlich häufiger sein dürften, betrachten wir ODD aufgrund der Abgrenzbarkeit der genetischen Grundlage nicht als Subtyp.
- ODD korreliert mit keiner der Symptomwirkkreise des Dual / Triple-Pathway-Modells, hat also zumindest insoweit eine andere neurologische Grundlage.(25)
Neuere Definitionsmodelle von externalisierenden aggressiven Störungsbildern sind
Die Prävalenz von Conduct Disorder wurde von einer iranischen Studie(27)
- bei Kindern von 6-9 Jahren mit 0,58%
- bei Jugendlichen von 10-14 Jahren mit 0,57%
- bei Jugendliche von 15-18 Jahren mit 1,22%
festgestellt.
32 % erfüllten zugleich die Kriterien von AD(H)S, 55 % die Kriterien einer ODD.
2.1.4. Motorische Ungeschicklichkeit
Quelle(6)
2.1.4.1. Entwicklungsbezogene motorische Koordinationsstörung
47 %(28)
2.1.4.2. Grobmotoriker, schlechte Schrift
2.1.5. Affektive Störungen (Depressionen / Dysphorie / Dysthymie / Manie)
Dysphorie bei Inaktivität ist ein originäres AD(H)S-Symptom und kein Symptom einer Depression. Eine antidepressive Behandlung von Dysphorie bei Inaktivität wäre ein Kunstfehler.
⇒ Depression und Dysphorie bei AD(H)S
- bei AD(H)S-Betroffenen Kindern: 37 %(29)(30)
- bei Nichtbetroffenen: 8,9 %(30) bis 14 % (29)
= das 4-fache Risiko - Stimmungsschwankungen (15 – 75 %)(31)
- depressive Störungen(6)
- Eine einfache Umfrage von www.adhs-chaoten.net, an der 73 Betroffenen teilnahmen, ergab, dass eine Mehrheit an saisonalen Herbst-Winterdepressionen leide.(32) Diese ist ganz regelmäßig Folge eines Vitamin D3-Mangels.
⇒ Vitamin D3
2.1.6. Spezifische Entwicklungsstörungen
2.1.6.1. Spezifische Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten
2.1.7. Angststörungen
- 37,9 % im Iran bei Kindern zwischen 6 und 18 Jahren.(34)
- 25%(35)(20), 34 %(28), ohne %-Angabe(36)
- bei Nichtbetroffenen rund 10 %(37)
= das 3-fache Risiko - Angststörungen und AD(H)S scheinen sich gegenseitig zu verstärken. Eine Behandlung von Angst oder AD(HS veringert auch die Symptome der jeweils anderen Störung.(38)
2.1.8. Lernstörungen
10 – 92 %(31)/ allgemeine Lernschwäche (ca. 20 %)(39)(6)
2.1.9. Teilleistungsstörungen
Quelle(6)
Eine Studie fand bei 6,6% der Kinder zwischen 7 und 11 Jahren lernspezifische Teilleistungsstörungen. Leseschwäche wurde bei 4%, Rechenschwäche bei 3,6% und eine Schwäche schriftlichen Ausdrucks bei 1,8% gefunden. Etwa 63% der Kinder mit lernspezifischen Teilleistungsstörungen hatten eine oder mehrere komorbide Diagnosen, wobei AD(H)S bei 54,9% die am häufigsten auftretende Komorbidität war. Jungen waren häufiger betroffen.(40)
2.1.9.1. Leseschwäche (Legasthenie, Dyslexie)
8 – 39 %(41), 25 – 40 %(14), 40 %(28)
Es gibt Hinweise, dass Leseschwäche bei AD(H)S andere Konnektivitäten im Gehirn zeigt als Leseschwäche ohne AD(H)S.(42)
Eine Studie fand nur schwache Hinweise auf übereinstimmende neurophysiologische Veränderungen bei AD(H)S und Dyslexie.(43)
2.1.9.2. Rechtschreibschwäche (Agraphie, Dysgraphie)
12 – 27 %(39), 25 – 40 %(14), 40 %(28)
2.1.9.3. Rechenschwäche (Dyskalkulie)
12 – 27 %(39)
Eine Metaanalyse fand, dass Leseprobleme stärker mit Rechenproblemen korrelieren als mit AD(H)S.(44)
2.1.9.4. Gesichtswiedererkennungsschwäche (Prosopagnosie)
Quelle(45)
2.1.9.5. Namenserinnerungsschwäche
Quelle(45)
2.1.10. Essstörungen – Loss of Control Eating Syndrome (LOC-ES)
12-fach erhöhtes Risiko bei ADHS-Betroffenen.(46)(47)
Eine Kohortenstudie an Iranischen Kindern und Jugendliche fand bei Betroffenen von Essstörungen eine erhöhte Prävalenz von AD(H)S mit 7,5 %.(48)
2.1.11. Adipositas
2,1-faches Risiko für AD(H)S-Betroffene.(49)
Behandlungsmöglichkeiten siehe unten unter 4.5.
2.1.12. Diabetes
Unter Jugendlichen mit Diabetes 1 ist die AD(H)S-Quote erhöht. Eine Untersuchung fand bei 12 % der Jugendlichen mit Diabetes mellitus Typ 1 AD(H)S.(50)
2.1.13. Geistige Behinderung
13 %(28)
2.1.14. Sprechstörungen
Quelle(6)
2.1.15. Sozialisationsstörung
Quelle(6)
2.1.16. Substanzmissbrauch
Quelle(6)
- Bei AD(H)S-Betroffenen beginnt ein Substanzmissbrauch im Schnitt 3 Jahre früher(51)
- Angemessene Medikation (insbesondere Methylphenidat) verringert die Wahrscheinlichkeit von Sucht oder Substanzmissbrauch bei AD(H)S.
- AD(H)S-Betroffene mit komorbider Kokainsucht zeigten bei Behandlung mit Stimulanzien eine erhebliche Verringerung des Suchtverhaltens, entsprechend des Rückgangs der AD(H)S-Symptome.(52)
2.1.17. Störung der sexuellen Entwicklung
Quelle(6)
- Früherer Beginn sexueller Aktivität
- Mehr Sexualpartner
- Weniger Zeit mit einem Partner(53)
- Höhere Rate der Kontrazeption(53)
- Hohe Rate an unerwünschten Schwangerschaften
- Teenagerschwangerschaften 5,5 fach(54)
- Teenagerschwangerschaften von Müttern mit AD(H)S: 15,3 %
- Teenagerschwangerschaften von Müttern ohne AD(H)S: 2,8 %
- Geburtenzahl erhöht (42:1)(53)
= das 42-fache Risiko - Höheres Risiko für sexuell übertragbare Krankheiten
2.1.18. Autismus-Spektrums-Störungen (ASS)
Eine Metastudie berichtet, dass Autismus-Spektrums-Störungen bei 21 % der Kinder und Jugendlichen mit AD(H)S gefunden wurden, und dass AD(H)S-betroffene Kinder mit ASS stärkere AD(H)S-Symptome zeigten als Kinder ohne ASS.(55)
Ebenso wurde bei 21,6 % der Betroffenen einer Autismusspektrumsstörung ein komorbides AD(H)S festgestellt.(56)
Mädchen mit Autismus, die zugleich AD(H)S hatten, zeigten in einer großen Studie deutlich stärkere Symptome von AD(H)S, Lernstörungen und ODD als Jungen mit ASS und AD(H)S.(57)
Weitere Quellen nennen keine %-Zahlen.(6)(58)
DSM-IV schrieb noch vor, dass AD(H)S und Störungen des Autismusspektrums nicht komorbid diagnostiziert werden dürften. Dies wurde in DSM 5 geändert.
AD(H)S und Autismusstörungen teilen sich zwei Gene, die als Risikogene bekannt sind.(58)
Es gibt Überlegungen, dass AD(H)S und Autismus gemeinsame genetische Wurzeln haben könnten.(59) Bei ASS werden unter anderem Störungen der dopaminergen Neurotransmission vermutet,(60) während solche bei AD(H)S belegt sind.
2.1.19. Ticstörungen
Quelle(6)
2.1.20. Zwangsstörungen
Quelle(6)
Bei Familienangehörigen von Betroffenen einer Zwangsstörung wurde in einer großen Studie eine um das 2,19-fach erhöhte AD(H)S-Prävalenz festgestellt.(61)
2.1.21. Beziehungsstörungen / Bindungsstörungen
Quelle(6)
2.1.22. Enuresis (Einnässen)
Quelle(6)
Enuresis bei Kindern erhöhte das Risiko von komorbidem AD(H)S um das 2,15-fache (OR 3,15).(62)
2.1.23. Enkopresis (Einkoten)
Quelle(6)
2.1.24. Epilepsie
Quelle(6)
2.1.25. Fibromyalgie
Eine Studie fand eine vierfache Häufigkeit von AD(H)S bei Fibromyalgie-Betroffenen, ohne die Häufigkeit von Fibromyalgie bei AD(H)S-Betroffenen zu beziffern.(63)
2.1.26. Sehstörungen
Eine große Untersuchung fand, dass Kinder mit ADHS signifikant höhere Prävalenzen von Störungen der Augen haben:(64)
- Weitsichtigkeit, Hypermetropie (2,4% bei AD(H)S, 1,3% bei Nichtbetroffenen, OR 1,82)
- Schwachsichtigkeit, Amblyopie (1,6% bei AD(H)S, 0,9% bei Nichtbetroffenen, OR 1,89)
- Manifestes Schielen, Heterotropie (1,1% bei AD(H)S, 0,5% bei Nichtbetroffenen, OR 2,01)
- Hornhautverkrümmung, Astigmatismus (0,2% bei AD(H)S, 0,1% bei Nichtbetroffenen, OR 1,73)
2.2. Somatische Störungen
2.2.1. Erkrankungen der oberen Luftwege
2.2.2. Psychogene und funktionelle Atemstörungen (PFBD)
Eine Untersuchung fand unter von PBFD betroffenen Kindern bei 17,3% AD(H)S, bei 15,4 % Tic-Störungen, bei 15,4 % spezifische Phobien, bei 11,5% eine somatische Symptomstörung und 51,9% zeigten klinische Merkmale von Tic-Störungen.(65)
2.2.3. Asthma
Kinder mit Asthma hatten in einer Studie ein um 70 % erhöhtes Risiko, zugleich AD(H)S zu haben. Das Risiko von ODD war ebenfalls erhöht (360 %), nicht aber das Risiko von CD.(66) Eine weitere Studie fand bei 11,3 % der Asthma-Betroffenen ein AD(H)S.(67)
Es scheinen genetische Überlappungen zwischen AD(H)S (und schwerer Depression) mit Asthma zu bestehen.(68)
2.2.4. Hautkrankheiten, Neurodermitis, Ekzeme, Flechte
- bei AD(H)S-betroffenen Kindern: 32,4 %(33)
- bei Nichtbetroffenen: 25,5 %(22)
= das 1,3-fache Risiko
AD(H)S-Betroffene leiden überdurchschnittlich häufig an Neurodermitis (= Atopisches Ekzem)(69) - Umgekehrt haben Neurodermitis-Betroffene ein erhöhtes Risiko für psychische Störungen wie AD(H)S.(70)(71)(72)(73)(74)
- Eine Studie an indischen Kindern mit atopischer Dermatitis fand Quoten von(75)
- Hyperaktivität: 20 %
- Unaufmerksamkeit: 29,5 %
- Eine Studie an indischen Kindern mit atopischer Dermatitis fand Quoten von(75)
- Atopische Immunstörungen könnten auf eine überschießende Immunreaktion aufgrund erniedrigter Cortisolspiegel zurückgehen. Cortisol hemmt die durch CRH (erste Stufe der HPA-Achse) mittels inflammatorischer Zytokine zunächst geförderten Entzündungen wieder. Ist die Cortisolausschüttung (dritte Stufe der HPA-Achse) zu gering, werden die Entzündungen nicht ausreichend gehemmt.(76)
- Betroffene von Flechte zeigten zu 90 % psychische Störungen, Nichtbetroffene dagegen zu 20 %. Flechte-Betroffene hatten eine AD(H)S-Prävalenz von 36,6 %.(77)
Näheres zur immunologischen Wirkung von Cortisol unter ⇒ Nebennierenrinde (3. Stufe)
Störungen der Stresshormonspiegel, insbesondere von Cortisol, bei AD(H)S sind häufig.
⇒ Cortisol bei AD(H)S
2.2.5. Erkrankungen der Ohren
2.2.6. Infektionskrankheiten
2.2.7. Zöliakie (Glutenunverträglichkeit)
Bei Kindern mit Zöliakie fand eine Studie eine AD(H)S-Prävalenz von 16 %, mithin mehr als doppelt so hoch wie ohne Zöliakie erwartbar.(79)
3. Komorbidität bei Erwachsenen
Bei n = 174 untersuchten AD(H)S-Betroffenen Erwachsenen fanden sich im Schnitt 1,4 Komorbiditäten.(80)
Unter 575 AD(H)S-betroffenen Erwachsenen fand eine Studie bei 52,4 % mindestens eine Komorbidität (32,9 % hatten eine, 12,7 % hatten zwei, 3,8 % hatten drei und 3 % hatten vier Komorbiditäten).(81)
Bei erwachsenen AD(H)S-Betroffenen treten vor allem folgende Komorbiditäten auf:
3.1. Psychiatrische Störungen
Bei Erwachsenen mit den höchsten 10 % der AD(H)S-Symptom-Ausprägung nach ADHS-E traten Belastung durch psychische Beschwerden 6,99-fach häufiger auf als bei Nichtbetroffenen.(82)
3.1.1. Affektive Störungen (Depression / Dysphorie / Dysthymie / Manie)
Dysphorie bei Inaktivität ist ein originäres AD(H)S-Symptom und kein Symptom einer Depression. Eine primär antidepressive Behandlung wäre ein Kunstfehler.
⇒ Depression und Dysphorie bei AD(H)S
Affektive Störungen (Depression / Dysphorie / Dysthymie / Manie) sind häufge Komorbiditäten bei Erwachsenen mit AD(H)S
- bei erwachsenen AD(H)S-Betroffenen: 61,8 %(22);
Depressionen (40 bis 60 %)(83); 25 %(80) - Schwere Depression (MDD) (32 %)(84)
- Depression (Erwachsene mit AD(H)S gesamt: 21,4 %; Frauen 32,1 %, Männer 19,8 %; ADS 22,3 %, Mischtyp 17,6 %, ADHS 32,5 %)(85)
- Dysthymie (Erwachsene mit AD(H)S gesamt: 7,3 %; Frauen 9,4 %, Männer 5,4 %; ADS 6,3 %, Mischtyp 7,6 %, ADHS 15 %)(85)
- Bipolare Störungen (“manisch/depressiv”): 6%(80); (Erwachsene mit AD(H)S gesamt: 6,4 %; Frauen 8,3 %, Männer 4,7 %; ADS 5,1 %, Mischtyp 8,0 %, ADHS 10,0 %)(85)
- Bei erwachsenen psychiatrischen klinischen Patienten mit AD(H)S: 92,2 %(86)
- Bei Erwachsenen mit den höchsten 10 % der AD(H)S-Symptom-Ausprägung nach ADHS-E treten Belastung durch Depressionen 6,68-fach häufiger auf als bei Nichtbetroffenen.(82)
- bei Nichtbetroffenen: 14,3 %(87)
Major Depression (6 %)(84)
= das 4 bis 5-fache Risiko
Bei erwachsenen AD(H)S-Betroffenen mit den höchsten 10 % der AD(H)S-Symptom-Ausprägung nach ADHS-E: das 6,68-fache Risiko(15)
3.1.2. Persönlichkeitsstörungen
3.1.2.1. Zwanghafte PS
Bei erwachsenen psychiatrischen klinischen Patienten mit AD(H)S: 10,2 %(86)
3.1.2.2. Antisoziale PS
Von 30 ADHS-betroffenen Gefängnisinsassen hatten 96 % zugleich eine Antisoziale Persönlichkeitsstörung.
Bei 20 nicht im Gefängnis befindlichen ADHS-Betroffenen und 18 Nichtbetroffenen (ohne AD(H)S) wurde dagegen keine Antisoziale Persönlichkeitsstörung festgestellt.Interessanterweise sind Amphetamine die von den von ADHS betroffenen Gefängnisinsassen am häufigsten konsumierten Drogen.(90) Amphetamine sind bekanntlich ein hochwirksames Medikament gegen AD(H)S.
Bei Straftätern wegen häuslicher Gewalt, die AD(H)S hatten, verringerte eine AD(H)S-Behandlung die häuslicher Gewalt weitaus deutlicher als Maßnahmen gegen häusliche Gewalt.(91)
3.1.2.3. Borderline PS / Emotional instabile PS
Bei erwachsenen psychiatrischen klinischen Patienten mit AD(H)S: 30,6 %(86)
Zur Differentialdiagnostik AD(H)S / Borderline siehe unter ⇒ Emotional instabile Persönlichkeit / Borderline im Beitrag ⇒ Differentialdiagnostik bei AD(H)S im Kapitel ⇒ Diagnostik.
3.1.2.4. Selbstunsichere PS
3.1.2.5. Ängstliche PS
Bei erwachsenen psychiatrischen klinischen Patienten mit AD(H)S: 31,6 %(86)
3.1.2.6. Kombinierte PS
Bei erwachsenen psychiatrischen klinischen Patienten mit AD(H)S: 25,5 %(86)
3.1.2.7. Paranoide PS
3.1.2.8. Dependente PS
Bei erwachsenen psychiatrischen klinischen Patienten mit AD(H)S: 18,4 %(86)
3.1.2.9. Narzisstische PS
3.1.2.10. Histrionische PS
3.1.2.11. Schizotype PS
8,6 %(89)
Frühere Bezeichnungen: Borderline-Schizophrenie, latente schizophrene Reaktion, pseudoneurotische Schizophrenie
3.1.2.12. Schizoide PS
6,4 %(89)
3.1.3. Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD)
Erwachsene mit AD(H)S gesamt: 0,7 %; Frauen 0,7 %, Männer 0,7 %; ADS 0,9 %, Mischtyp 0,0 %, ADHS 2,5 %(85)
Bei erwachsenen psychiatrischen klinischen Patienten mit AD(H)S: 26,5 %(86)
3.1.4. Restless Legs
Bei erwachsenen psychiatrischen klinischen Patienten mit AD(H)S: 25,5 %.(86) Eine große Kohortenstudie fand eine starke Korrelation von Restless Legs und AD(H)S.(92)
3.1.5. Entwicklungsstörung
Entwicklungsstörung (Developmental disability) (Erwachsene mit AD(H)S gesamt: 24,7 %; Frauen 25,6 %, Männer 23,8 %; ADS 22,6 %, Mischtyp 25,6 %, ADHS 37,5 %)(85)
3.1.6. Suizidalität
Eine Metastudie von 57 Untersuchungen fand eine Korrelation zwischen AD(H)S und(93)
- Suizidversuchen (OR 2,37)
- Suizidgedanken (OR 3,53)
- Suizidplänen (OR 4,54)
- erfolgtem Selbstmord (OR 6,69).
Demnach ist Selbstmord bei AD(H)S zwischen 2,37 und 6,69 mal so häufig wie bei Nichtbetroffenen.
Eine weitere Studie fand eine erhöhte Suizidalität bei Kindern und Jugendlichen mit AD(H)S (OR 1,1), wobei diese jedoch durch komorbide Depression, Reizbarkeit und Angst vermittelt wurde, nicht durch AD(H)S selbst.(94)
3.1.7. Anpassungsstörungen
Anpassungsstörungen werden als Reaktionen auf ein einmaliges oder fortbestehendes belastendes Lebensereignis beschrieben.
Typen von Anpassungsstörungen sind:
- Kurze depressive Reaktion
- Längere depressive Reaktion (bis zu 2 Jahre)
- Angst und depressive Reaktion gemischt
- mit vorwiegender Beeinträchtigung anderer Gefühle
- mit vorwiegender Störung des Sozialverhaltens
- mit gemischter Störung von Gefühlen und Sozialverhalten
- mit sonstigen vorwiegend genannten Symptomen
Prävalenz bei vorliegender AD(H)S:
3.1.8. Schlafstörungen
- bei erwachsenen AD(H)S-Betroffenen: 11,3 %(22) bis 29 %(80)
- bei Nichtbetroffenen: 2,3 %(22)
= das 5-fache bis 12-fache Risiko
Eine Metastudie fand bei rund 33 % aller Narkolepsiebetroffenen zugleich AD(H)S.(9)
3.1.9. Sucht
3.1.9.1. Stoffgebundene Süchte / Substanzmissbrauch
3.1.9.1.1. Stoffgebundene Süchte allgemein
- bei erwachsenen AD(H)S-Betroffenen: 7,8 %(22), 20 %(95) bis 50 bis 60 %(96)(97)
- bei Nichtbetroffenen: 1,9 %(22) bis 5 %(95)(97)
= das 4-fache bis 12-fache Risiko - Nach anderer Quelle liegt die Lebenszeitprävalenz zur Einnahme psychoaktiver Substanzen bei AD(H)S bei 52 %, bei Nichtbetroffenen bei 24 %.(98)
3.1.9.1.2. Rauchen
- bei erwachsenen AD(H)S-Betroffenen: 40 %(99) bis 42 %(100)(101) gegenüber 26 % Nichtbetroffene (2005),((Kollins, McClernon, Fuemmeler (2005): Association between smoking and attention-deficit/hyperactivity disorder symptoms in a population-based sample of young adults. Arch Gen Psychiatry. 2005 Oct;62(10):1142-7.)) demnach ein um 61 % erhöhtes Risiko (unabhängig von der Medikation).
- bei erwachsenen psychiatrischen klinischen Patienten mit AD(H)S sind 51 % nikotinabhängig.(86)
- bei Nichtbetroffenen:
27 % der Frauen und 32 % der Männer der Gesamtbevölkerung ab 18 Jahren(90)
= das 1,6-fache Risiko
Erwachsene ADHS-Betroffene: plus 100 % ggüber Nichtbetroffenen(102) - AD(H)S-Medikamente, Nikotin (rauchen) und Zink blockieren die (bei AD(H)S erhöhten) Dopamintransporter (DAT) und reduzieren damit ihre Überaktivität(103)
3.1.9.1.3. Alkoholabhängigkeit
- bei erwachsenen AD(H)S-Betroffenen zwischen 30 %(84), 25 bis 44 %(102) und 42,9 % (in Norwegen)(104)
- Bei erwachsenen psychiatrischen klinischen Patienten mit AD(H)S fand eine Studie bei 4,1 % eine Alkoholabhängigkeit.(86)
- bei Nichtbetroffenen: 5 %(95)
= das 6 bis 8-fache Risiko
Umgekehrt wurde bei n = 153 Alkoholikern bei 43 % eine AD(H)S in der Kindheit und bei 22 % eine fortbestehende AD(H)S festgestellt.(105) Eine andere Studie fand unter 100 erwachsenen Alkoholabhängigen in Indien bei 19 % eine AD(H)S-Diagnose.(106) - Alkohol- / Substanzmissbrauch: Erwachsene mit AD(H)S gesamt: 1,6 %; Frauen 1,1 %, Männer 2,0 %; ADS 0,9 %, Mischtyp 2,5 %, ADHS 2,5 %(85)
3.1.9.1.4. Drogen
- Bei erwachsenen psychiatrischen klinischen Patienten mit AD(H)S haben 7,1 % eine komorbide Drogenabhängigkeit.(86)
- Drogenabhängige haben 4 bis 5 mal so häufig AD(H)S(107)
- 15,5 %(108) bis 25 % aller Suchterkrankten haben AD(H)S(109)
- Bei 11,2 % aller erwachsenen Suchtpatienten, die intravenös Opiode oder intravenös/intranasal Benzodiazepine konsumierten, fand sich AD(H)S. Dabei war die AD(H)S-Quote bei Frauen mit 15,3 % höher als bei Männern mit 10,3 %.(110)
- Bei AD(H)S ist das Risiko einer einer Substanzabhängigkeit (Sucht) 2- bis 3-mal so hoch wie bei Nichtbetroffenen.(111)
- Bei AD(H)S ist das Risiko einer Nikotinabhängigkeit bis zu 9-mal so hoch wie bei Nichtbetroffenen.(111)
- AD(H)S-Betroffene sind in etwa genau so häufig Suchtbetroffene wie Verwandte, die nicht von AD(H)S betroffen sind.
- Kokainkonsumenten hatten nach einer Studie zu 12 % in ihrer Kindheit AD(H)S, 10 % hatten es noch als Erwachsene.(112)
3.1.9.2. Verhaltensgebundene Sucht / Glücksspiel
AD(H)S-Betroffene haben ein mehr als verdoppeltes Risiko, eine Glücksspielsucht zu entwickeln (5,3 % gegenüber 2,4 %). Ein problematisches Glücksspielverhalten ist unter AD(H)S-Betroffenen mit 2,4 % 4 mal so häufig wie bei Nichtbetroffenen mit 0,6 %.(113)
3.1.10. Angststörungen, Phobien, Panikanfälle
42% bzw. 20 bis 60 %(114); 19 % Angststörungen und 15,5 % phobische Erkrankungen(80)
Bei erwachsenen psychiatrischen klinischen Patienten mit AD(H)S: 25 %(35) bis 28,6 %(86)
Angststörungen und AD(H)S scheinen sich gegenseitig zu verstärken. Eine Behandlung von Angst oder AD(HS veringert auch die Symptome der jeweils anderen Störung.(38)
3.1.10.1. Generalisierte Angststörung
- bei erwachsenen AD(H)S-Betroffenen:
- bei Nichtbetroffenen: 2 %(95)
= das 3- bis 12-fache Risiko
3.1.10.2. Sozialphobie
Erwachsene mit AD(H)S gesamt: 3,5 %; Frauen 2,5 %, Männer 4,4 %; ADS 3,3 %, Mischtyp 3,0 %, ADHS 7,5 %(85)
3.1.10.3. Panikstörung
Erwachsene mit AD(H)S gesamt: 1,9 %; Frauen 2,9 %, Männer 2,4 %; ADS 2,1 %, Mischtyp 2,5 %, ADHS 7,5 %(85)
3.1.11. Appetitstörungen
21 %
3.1.12. Zwangsstörungen
Erwachsene mit AD(H)S gesamt: 1,9 %; Frauen 1,4 %, Männer 2,4 %; ADS 0,9 %, Mischtyp 1,5 %, ADHS 12,5 %(85)
3.1.13. Verhaltensstörungen / soziale Störungen (Aggressionen, antisoziales Verhalten, oppositionelles Trotzverhalten)
3,5 %
Verhaltensstörung (Conduct Disorder, CD): Erwachsene mit AD(H)S gesamt: 1,2 %; Frauen 0,7 %, Männer 1,7 %; ADS 0,3 %, Mischtyp 1,0 %, ADHS 10,0 %(85)
Oppositionelles Trotzverhalten (ODD): Erwachsene mit AD(H)S gesamt: 0,7 %; Frauen 0,0 %, Männer 1,7 %; ADS 0,0 %, Mischtyp 1,5 %, ADHS 5,0 %(85)
Bei AD(H)S wurden im Zusammenspiel mit Aggressionsstörungen verringerte Cortisolspiegel berichtet. Externalisierende Stressreaktionen sind mit erniedrigten basalen Cortisolspiegeln und einer verringerten Cortisolantwort auf akuten Stress assoziiert.
Störungen der Stresshormonspiegel, insbesondere von Cortisol, sind bei AD(H)S äußerst häufig.
⇒ Cortisol bei AD(H)S
3.1.14. Bipolare Störungen
Bei erwachsenen psychiatrischen klinischen Patienten mit AD(H)S: 5,1 %(86)
Von 703 erwachsenen Bipolar-Betroffenen hatten rund 25 % eine komorbide AD(H)S, wobei Männer und BP-Typ I häufiger eine AD(H)S-Komorbidität aufwiesen.(116) Die Wahrscheinlichkeit von AD(H)S fand eine andere Studie bei Bipolar-Betroffenen um das 3,06-fache erhöht.(117)
Eine Studie fand Hinweise auf Überlappungen der genetischen Ursachen von Bipolar und AD(H)S, insbesondere bei early-onset-Bipolar (unter 21 Jahren),(118) eine weitere Studie fand ebenfalls genetische Überlappungen von Bipolar und AD(H)S.(119)
Bei 2,4 Millionen untersuchten Personen wurden 9250 bipolare Störungen beobachtet. Lag zuvor bereits eine AD(H)S-Störung vor, erhöhte sich das Risiko einer bipolaren Störung über die Lebenszeit um das 12-fache, lagen zuvor eine AD(H)S und eine Angststörung vor, erhöhte sich das Risiko um das 30-fache gegenüber Personen ohne AD(H)S und ohne Angststörung.(120)
3.1.15. Ticstörungen
Quelle(121)
3.1.16. Autismusspektrumsstörungen (ASS)
Quelle(121)
Umgekehrt haben rund 50% der von Autismus betroffenen AD(H)S als Komorbidität.
Dass nach DSM IV AD(H)S bei Autismus nicht diagnostiziert werden durfte, spricht gegen die empirischen Erfahrungen und entfällt deshalb im DSM V.(121)
Es gibt Überlegungen, dass AD(H)S und Autismus gemeinsame genetische Wurzeln haben könnten.(59) Bei ASS werden unter anderem Störungen der dopaminergen Neurotransmission vermutet,(122) während solche bei AD(H)S belegt sind.
3.1.17. Impulskontrollstörung, Störung der Impulskontrolle
Erwachsene gesamt 2,6 %; Frauen 2,9 %, Männer 3,7 %; ADS 1,2 %, Mischtyp 5,0 %, ADHS 12,5 %(85)
3.1.18. Migräne
Quelle(121)
3.1.19. Teilleistungsstörungen
Bei erwachsenen psychiatrischen klinischen Patienten mit AD(H)S haben 49,5 % komorbide Teilleistungsstörungen.(86)
3.1.19.1. Lese/Rechtschreibschwäche (Legasthenie, Agraphie, Dysgraphie)
Quelle(123)
3.1.19.2. Schreibstörung (Dysgraphie)
Quelle(123)
3.1.19.3. Rechenschwäche (Dyskalkulie)
Quelle(123)
3.1.20. Lernstörung
Erwachsene gesamt 1,6 %; Frauen 1,4 %, Männer 2,4 %; ADS 1,5 %, Mischtyp 2,5 %, ADHS 2,5 %(85)
3.1.21. Intellektuelle Einschränkung (Intellectual disability)
Erwachsene gesamt 1,4 %; Frauen 1,8 %, Männer 1,0 %; ADS 1,2 %, Mischtyp 1,0 %, ADHS 5,0 %(85)
3.1.22. Epilepsie
Eine Studie fand bei 35 % der erwachsenen Epilepsie-Betroffenen zugleich ein AD(H)S.(124)
Bei Erwachsenen mit psychogenen nicht-epileptischen Anfällen (PNES) fand sich bei 63,6 % ein AD(H)S, während bei Erwachenen mit epileptischen Anfällen (ES) bei 27,8% AD(H)S gefunden wurde.(125)
3.1.23. Narkolepsie
Eine Metastudie fand bei rund 33 % aller Narkolepsiebetroffenen zugleich AD(H)S.(9)
3.1.24. Messi-Syndrom / Hoarding
Das Messi-Syndrom zeigt sich durch einen starken Drang zum Sammeln unnützer Gegenstände mit einer Tendenz der Vermüllung der Lebensumgebung. Es wird eine starke Koinzidenz zu AD(H)S diskutiert. Überblick zur Literatur bei Kuwano et al.(126) Diese fanden eine Komorbidität von AD(H)S bei Messi-Betroffenen von 26,7 %.
3.2. Somatische Störungen
Bei Erwachsenen mit den höchsten 10 % der AD(H)S-Symptom-Ausprägung nach ADHS-E traten Belastung durch körperliche Beschwerden 10,62-fach häufiger und durch Somatisierung 6,80-fach häufiger auf als bei Nichtbetroffenen.(15)
3.2.1. Erkrankungen des Bewegungsapparates
3.2.2. Gastrointestinale Störungen
3.2.3. Stoffwechselstörungen
- bei Erwachsenen AD(H)S-Betroffenen: 36,5 %(127)
- bei Nichtbetroffenen: 19,0 %(22)
= das 2-fache Risiko
3.2.4. Erkrankungen der oberen Luftwege
3.2.5. Allergien und arterielle Hypertonie
Quelle(128)
Allergien sind in der Regel eine Folge eines überhöhten Cortisolspiegels. Cortisol hemmt die durch CRH (erste Stufe der HPA-Achse) ausgelösten Entzündungsförderung durch inflammatorische Zytokine und fördert stattdessen andere Immunabwehrmechanismen, die sich gegen extrazelluläre Stressoren richten – wie z.B. Bakterien oder Allergene.
Ein überhöhter Cortisolspiegel bzw. ein Überschiessen der Cortisolantwort kann zu einer Überreaktion des Immunsystems auf eigentlich nicht wirklich gefährliche externe Stoffe führen – einer Allergie.
Näheres zur immunologischen Wirkung von Cortisol unter ⇒ Nebennierenrinde (3. Stufe)
Störungen der Stresshormonspiegel, insbesondere von Cortisol, bei AD(H)S sind häufig.
⇒ Cortisol bei AD(H)S
3.2.6. Neurodermitis, atopisches Ekzem
Quelle(69)
Zu den Hintergründen siehe oben bei Neurodermitis im Abschnitt Komorbiditäten bei Kindern.
3.2.7. Adipositas
Nach Winkler sind 30 bis 60 % aller schweren Adipositas-Fälle mit AD(H)S verknüpft.(129)
Bei erwachsenen psychiatrischen klinischen Patienten mit AD(H)S beträgt die Prävalenz von Adipositas 24,5 % und von sonstigen Essstörungen 11,2 %(86) Weitere Quellen nennen in den zugänglichen Abstracts keine Prozentzahlen.(130)
Eine AD(H)S-Behandlung von AD(H)S-Betroffenen mit Adipositas ergab eine Gewichtsabnahme von über 12,3 %, während in der Kontrollgruppe der nicht-AD(H)S-Betroffenen Adipositaspatienten eine Gewichtszunahme von 2,8 % erfolgte.(131)
Winkler berichtet, dass bei einer reinen Adipositasbehandlung eine Gewichtszunahme von weniger 5 % bereits als Erfolg gilt,(132) so dass eine Gewichtsabnahme von mehr als 12 % geradezu sensationell wirkt.
3.2.8. Raynaud-Syndrom
Das Raynaud-Syndrom ist eine Durchblutungsstörung der Extremitäten. Finger werden von den Spitzen her blass oder gar blau und kalt aufgrund krampfartiger Verengungen der Blutgefäße.
Raynaud-Probleme sind bei AD(H)S-Betroffenen eine häufigere Komorbidität.
Raynaud wird unter anderem mit Alpha-1-Adrenozeptor-Antagonisten behandelt, z.B. Prazosin oder Tamsulosin (hochselektiv an den Prostata-Alpha-1-Adrenozeptoren).
Nach unserem Verständnis resultiert die ADS-Problematik der Entscheidungsprobleme und Tagträumerei auf zu häufigen Abschaltungen des PFC. Dietrich nennt dies Posteriorisierung der Verhaltenssteuerung(133). Diese PFC-Abschaltungen werden durch überhöhte Noradrenalinstressantworten und Cortisolstressantworten an Alpha-1-Adrenozeptoren ausgelöst, wie sie für die überhöhte endokrine Stressantwort von ADS typisch sind.
Daraus stellt sich erstens die Frage, ob Raynaud-Probleme bei ADS häufiger auftreten als bei ADHS.
Wir erinnern uns zumindest an einen ADS-Betroffenen, der erheblich unter Raynaud und Bluthochdruck litt, was durch MPH noch verschlimmert wurde und unter Elvanse weniger deutlich auftrat.
3.2.9. Schilddrüsenüberfunktion / Hyperthyreose
Weitere Synonyme sind Hyperthyreoidismus, Hyperthyroidism, Schilddrüsenhormonvergiftung.
Bei Militärangehörigen mit einer Schilddrüsenüberfunktion war die Wahrscheinlichkeit von AD(H)S um 70% erhöht.(134) 68,3 % der Betroffenen hatten zuerst ihre AD(H)S-Diagnose bekommen und erst später ihre Diagnose einer Schilddrüsenüberfunktion erhalten.
3.2.10. Endometriose
Frauen mit Endometriose hatten ein verdoppeltes Risiko (OR 1,98) für AD(H)S als ihre Schwestern ohne Endometriose.(135)
4. Psychische Störungen bei Verwandten von AD(H)S-Betroffenen
Eine Analyse der gesamten Taiwanesischen Bevölkerung in 2010 untersuchte 220.966 Eltern von Kindern mit ADHS (nach ICD-9, das kein ADS kannte), 174.460 Geschwister von Kindern mit ADHS und 5.875 Kinder von Eltern mit ADHS. Unter diesen Verwandten von ADHS-Betroffenen war das Risiko schwerer psychiatrische Störungen gegenüber gematchten Kontrollpersonen ohne Verwandte mit ADHS signifikant erhöht:(136)
- ADHS: 6,87-faches Risiko
- Autismusspektrumsstörung: 4,14-faches Risiko
- bipolare Störungen: 2,21-faches Risiko
- schwere depressive Störungen: 2,08-faches Risiko
- Schizophrenie: 1,69-faches Risiko
Dies kann als Hinweis auf gemeinsame genetische Ursachen verstanden werden. Eher rein theoretisch denkbar wäre allerdings auch, dass dies durch immunologische Folgen von (vornehmlich viralen) Infekten (die unter nahestehenden Personen häufiger übertragen werden) erklärt werden könnte. Siehe hierzu das Kapitel ⇒ Immunsystem und Verhalten.
Ebenso dürften ähnliche äußere Lebensumstände und ähnliche dysfunktionale Verhaltensmuster und belastende Erfahrungen unter nahestehenden Personen häufiger geteilt werden. Diese Mechanismen können sich gegenseitig ergänzen.
5. AD(H)S-Behandlung verringert Komorbidität
Eine Behandlung von AD(H)S bewirkt bei Betroffenen über die Reduzierung der AD(H)S-Symptome hinaus zugleich eine Reduzierung von Symptomen komorbider Belastungen in vielen Bereichen.
5.1. Normalisierung von komorbiden psychischen Störungen
Die Symptome dieser Bereiche, die vor der Behandlung komorbid deutlich überhöht waren, werden durch eine Methylphenidatbehandlung innerhalb von 4 bis 6 Monaten in die Normbereiche zurückgeführt.(137)(138)(139) Die Darstellung deckt sich mit unseren Erfahrungen, wobei wir nicht der Auffassung sind, dass es sich lediglich um subjektive Verbesserungen aufgrund therapeutischer Erwartungshaltung handelt,(140) sondern wir halten dies für eine unmittelbare therapeutische Wirkung.
Eine AD(H)S-Behandlung bewirkt Verbesserungen in Bezug auf
- Zwanghaftigkeit (starker Rückgang)(141)
- Depressivität(137)(142)
- Ängstlichkeit(143)
- phobische Angst(143)
- Aggressivität(143)(144)
- soziale Introversion (hier: angegebene Schüchternheit, Eigenbrötelei etc.) – starker Rückgang, Unsicherheit im Sozialkontakt, soziale Gehemmtheit(143)(145)(144)
- soziale Orientierung(144)
- Erregbarkeit(144)
- Hypomanie(142)
- allgemeine Lebenszufriedenheit (hier: positive Grundstimmung, Zuversichtlichkeit etc.)(144)
- Beanspruchungsgefühl (angespannt, überfordert, gestresst)(144)
- Emotionalität(144)
- Extraversion(144)
- Offenheit(144)
- Somatisierung(141)
- körperliche Beschwerden (weniger signifikanter Rückgang)(144)
- paranoides Denken(141)
- Psychotizismus (hier: Isolationsgefühle, verzerrtes Erleben etc.)(141)
- Hypochondrie(142)
- Hysterie (Konversionsstörung)(142)
- Paranoia(142)
- Psychasthenie (Neurosen)(142)
- Schizophrenie (hier: merkwürdige Ideen, außergewöhnliche Gefühle etc.) – starker Rückgang(142)
Verschlechterungen ergaben sich in den Bereichen
Psychopathie blieb unverändert.(142)
Bei über 80 % der Probanden waren nach 4 bis 6 Monaten Methylphenidattherapie die Diagnosekriterien einer AD(H)S nicht mehr erfüllt.(146)
5.2. Normalisierung von Symptomen des Persönlichkeits-Stil- und Störungsinventars (PSSI)
AD(H)S-Betroffene entwickeln bei Methylphenidattherapie alle 14 Persönlichkeitsbereiche des PSSI positiv, also weg vom Pol einer möglichen Persönlichkeitsstörung der Merkmals, hin zum Bereich normaler Persönlichkeitsausprägungen.(147) Die Darstellung deckt sich mit unseren Erfahrungen, wobei wir nicht der Auffassung sind, dass es sich lediglich um subjektive Verbesserungen aufgrund therapeutischer Erwartungshaltung handelt,(140) sondern wir halten dies für eine unmittelbare therapeutische Wirkung.
- eigenwillig – paranoid(148)
- zurückhaltend – schizoid(148)
- ahnungsvoll – schizotypisch(148)
- spontan – borderline(148)
- liebenswürdig – histrionisch(148)
- ehrgeizig – narzisstisch(148)
- selbstkritisch – selbstunsicher(148)
- loyal – abhängig(148)
- sorgfältig – zwanghaft(148)
- kritisch – negativistisch(148)
- still – depressiv(148)
- hilfsbereit – selbstlos(148)
- optimistisch – rhapsodisch(148)
- selbstbehauptend – antisozial(148)
Die Symptome waren bei Testbeginn nicht so intensiv, dass eine Persönlichkeitsstörung in Betracht gekommen wäre. Die positive Entwicklung dokumentiert jedoch die Entwicklung hin zu ausgeglicheneren Persönlichkeitsmerkmalen. Diese sind für die Betroffenen von hohem subjektiven Nutzen.
6. Literatur
Als besonders gutes Buch zu Komorbiditäten bei AD(H)S empfehlen Müller et al:(149)
Zuletzt aktualisiert am 25.02.2021 um 00:35 Uhr
Kommentare zu Romanos & Jans (2014). ADHS – an der Nahtstelle von Medizin und Pädagogik. Lernen und Lernstörungen, 3, 117 – 132; DOI: http://dx.doi.org/10.1024/2235-0977/a000071 - (Position im Text: 1)
Sehr interessant!
War verwundert Zöliakie unter 2.1. Psychatrische Symptome zu finden! 🤔
Ansonsten gibt es auch Überschneidungen mit EDS dem Ehlers-Danlos-Syndrom, einer genetisch bedingten Bindegewebserkrankung!
Hallo – die Verwunderung war völlig berechtigt.
Wir haben es nach 2.2. verschoben…
Danke für den Hinweis !