1. Stresshormone bei ADHS¶
Bei ADHS sind verschiedene Stresshormone verändert.
Die nachfolgend behandelten Stresshormone Cortisol, ACTH und CRH sind die Stresshormone der 3., 2. und 1. Stufe der HPA-Achse. Alpha-Amylase ist ein Biomarker für die Aktivität des vegetativen Nervensystems.
Zusammenfassend muss davon ausgegangen werden, dass die bei ADHS-HI häufig abgeflachte und bei ADHS-I sehr häufig überhöhte Cortisolantwort auf akute Stressoren zwar ein Biomarker für eine krankhafte Veränderung der HPA-Achse ist, dass die Veränderung der Cortisolantwort jedoch nicht die Ursache von ADHS darstellt. Vergleichbare Erfahrungen werden bei der Behandlung von Depressionen gemacht.
Zu viele Untersuchungen leiden jedoch daran, dass bei ADHS wie bei Depressionen die externalisierenden Subtypen (ADHS-HI, atypische Depression) und die internalisierenden Subtypen (ADHS-I, melancholische Depression) nicht getrennt erfasst werden.
2. Cortisolantworten auf Stress und Persönlichkeitseigenschaften¶
2.1. Hohe Cortisolantwort: internalisierend, niedrige Cortisolantwort: externalisierend¶
Wir haben etliche Quellen gesammelt, die belegen, dass hohe oder niedrige Cortisolstressantworten bei gesunden Menschen mit dem Geschlecht und mit verschiedenen allgemeinen Persönlichkeitstraits korrelieren.
Mehr hierzu unter ⇒ Cortisolstressantworten und Persönlichkeitseigenschaften bei gesunden Menschen im Abschnitt ⇒ Stressreaktionsmuster bei gesunden Menschen des Beitrags ⇒ Stresstheorien und Stressphänotypen: eine mögliche Erklärung der ADHS-Subytpen.
2.2. Cortisolreaktionen als Ausdruck der Stressphänotypik¶
Die vorliegenden Untersuchungen deuten stark darauf hin, dass externalisierende oder disruptive Verhaltensweisen wie z.B. Aggressivität mit oder ohne ein Vorliegen eines (komorbiden) Oppositionellen Trotzverhaltens (ODD) oder einer symptomatisch noch schwerwiegenderen Störung des Sozialverhaltens (Conduct Disorder, CD) mit einem niedrigeren basalen Cortisolspiegel und einer abgeflachten Cortisolantwort auf akuten Stress verbunden sind.
Erhöhte basale Blutcortisolwerte bei 15-jährigen ADHS-Betroffenen (Abnahme am späten Nachmittag) korrelierten mit Aggressivität bei Jungen, nicht aber bei Mädchen. Eine andere Untersuchung fand eine Korrelation von Aggression mit abgeflachten Cortisolantworten auf akuten Stress, während die basalen Cortisolwerte unverändert blieben.
Depressionen bzw. depressive Persönlichkeitsmerkmale ebenso wie Angst korrelieren dagegen mit erhöhten morgendlichen (CAR) bzw. Serum-Cortisolwerten.
⇒ Cortisol bei anderen Störungsbildern
Werden – wie wir annehmen – nicht nur ADHS, sondern auch die anderen hier genannten psychischen Störungen als dimensionale Störungen aufgefasst und weiterhin ADHS-HI als externalisierende Stressphänotypik sowie ADHS-I als internalisierende Stressphänotypik verstanden, liegt die These nahe, dass vornehmlich die Stressphänotypik die Cortisolantwort auf akuten Stress bestimmen könnte (oder die Cortisolantwort auf akuten Stress die Stressphänotypik vorhersagen könnte).
Diese Sichtweise führt weiter zu der Schlussfolgerung, dass mittels Dexamethasontestung der HPA-Achse auf Cortisolreaktivität lediglich festgestellt werden könnte, ob eine HPA-Achsen-Störung vorliegt und ob diese zu einer externalisierenden oder einer internalisierenden Stressphänotypik führt, nicht aber, welche psychische Störung innerhalb des jeweiligen Spektrums vorliegt.
Es wird vertreten, dass Cortisolstressantworten mehr über Komorbiditäten aussagen als über ADHS. Danach sollen abgestumpfte Cortisolreaktionen auf Stress mit komorbider DBD (disruptive behavioral disorder) einhergehen, während hohe Cortisolreaktionen mit komorbiden Angststörungen zusammenhängen. Dies deckt sich mit unserer Auffassung der Korrelation abgeflachter Cortisolstressantworten mit externalisierenden und überhöhter Cortisolstressantworten mit internalisierenden Störungsbildern.
Ein verringerter Austausch zwischen den Gehirnhemisphären scheint (insbesondere bei PTSD) eine Ursache für eine verringerte Cortisolstressreaktion darzustellen, ebenso wie für Alexithymie. Weiter wird ein Zusammentreffen von verringerten basalen Cortisolspiegeln (trotz normaler Cortisolreaktion auf ACTH) und Alexithymie bei manchen Betroffenen von chronischem Stress berichtet, woraus die Autoren auf ACTH-unabhängige Mechanismen schlossen, die den Cortisolspiegel verringern.
2.3. Cortisolstressantworten nach Zeitverlauf¶
Problematisch ist, dass das individuelle Stress-Cortisolreaktion-Maximum um bis zu 20 Minuten differiert. Bei einer Gruppe von 54 gesunden Erwachsenen erfolgte das Cortisolmaximum in der frühen Gruppe direkt am Ende des 15-minütigen TSST-Stressors (Cortisolanstieg von 0,04 auf 0,21 ng/ml), in der späten Gruppe dagegen erst 20 Minuten später (von 0,05 auf 0,22 ng/ml). Hätte man beide Gruppen direkt nach dem Ende des TSST untersucht, wäre die späte Gruppe fälschlich mit einem Anstieg von 0,05 auf 0,07 überwiegend als auf Stress mit abgeflachtem Cortisolanstieg reagierend kategorisiert worden. Bei den meisten Untersuchungen ist eine Cortisolmessung 20 Minuten nach dem Ende des TSST üblich. Es stellt sich die Frage, ob der Cortisolanstieg der frühen Gruppe so lange anhält, um bei einer Messung nach 20 Minuten noch sauber erfasst zu werden.
Bei vielen Untersuchungen werden nicht genug Cortisolabnahmen nach Ende des Stresstests vorgenommen, um dies zu berücksichtigen.
Nach einer Quelle weichen die Cortisolwerte ADHS-Betroffener auch bei Stressbelastungen nur dann von denen Nichtbetroffener (nach oben) ab, wenn beziehungsrelevante Themen Gegenstand des Stresstests waren (erhöhte Sensibilität auf Beziehungsthemen), nicht aber bei rein kognitiven Stressoren. Dies wird von den meisten Untersuchungen nicht bestätigt. Um dies zu verdeutlichen, wird nachfolgend zwischen kognitiven und emotionalen Stressoren unterschieden.
2.4. Cortisol-Stressantworten nach Geschlechtern¶
Die Cortisolantworten auf Stress unterscheiden sich außerdem nach Geschlecht.
2.5. Cortisolreaktionen auf Stress bei Nichtbetroffenen¶
- Unter 102 nicht ADHS-diagnostizierten fünfjährigen Kinder war die HPA-Aktivität bei den Mädchen signifikant höher als bei den Jungen. Emotionaler Stress (Geschichte forterzählen) bewirkte bei allen Kindern einen deutlichen Cortisolanstieg, bei Mädchen war dieser noch höher als bei Jungen. Eine gesteigerte HPA-Systemaktivität (basal und stressreaktiv) korrelierte bei den Jungen signifikant mit Hyperaktivität / Impulsivität und emotionalen Problemen und bei den Mädchen mit positiven Emotionen.
-
Chronischer Stress verringert bei gesunden jungen Männern (Schnitt 22,5 Jahre) das morgendliche Cortisol-Maximum (CAR, typischerweise 30 bis 60 Minuten nach dem Aufwachen). Bereits geringer Stress erhöhte den Baselinewert beim Aufwachen und verringerte das CAR-Maximum (30 min nach dem Aufwachen) signifikant. Starker Stress führte zu einem noch deutlich höheren Baselinewert mit ebenfalls abgeflachtem CAR, der zudem bereits 16 Minuten nach dem Aufwachen eintrat.
- Die Cortisolantwort auf körperliche Belastung ist abhängig von
- der individuellen Cortisol-Ruhekonzentration und der Vorbelastung
- der Muskelmasse. Die Cortisolantwort auf körperliche Belastung ist bei größerer Muskelmasse relativ geringer als bei kleinerer Muskelmasse. Dies könnte nach unserer Vermutung schlicht an der geringeren relativen Belastung liegen, wenn ein und die selbe Arbeit von mehr Muskelmasse erbracht wird.
- der aktuellen Blutglucosekonzentration und der Insulinverfügbarkeit vor Belastungsbeginn
- Der Cortisolanstieg während körperlicher Belastung wird überwiegend durch einen wohl adrenerg vermittelten ACTH-Anstieg ausgelöst
- Daneben modulieren glucosensitive Rezeptoren in Leber und Gehirn die belastungsinduzierte
Cortisolantwort durch Aktivierung der hypophysären-adrenocorticalen Achse
- Eine Metastudie von 29 Untersuchungen an 2601 Probanden fand keine Korrelation zwischen externalisierendem Verhalten und einer (abgeflachten) Cortisolstressantwort, wie sie nach der von uns vertretenen Hypothese bestehen müsste.
2.6. Wechselspiel zwischen Cortisol und Dopamin¶
Auf zahlreichen dopaminergen Zellen des Mittelhirns und des Hypothalamus befinden sich Glucocorticoidrezeptoren. Es wird angenommen, dass Cortisol die Dopaminfreisetzung in den Basalganglien und in nigrostriatalen und mesolimbischen Pfaden beeinflussen kann.
Cortisol hemmt die Tyrosinhydroxylase, ein Enzym, das die Katecholaminsynthese limitiert, indem es als Katalysator für die Umwandlung von Tyrosin zu DOPA dient. Die Tyrosinhydroxylase wird durch Cortisol gehemmt (ebenso wie durch Dopamin und Noradrenalin selbst (negatives Feedback).
Das deutet auf ein gegenseitiges Wechselspiel zwischen Dopamin- und Cortisol-Freisetzung hin.
Eine retrospektive Analyse fand eine Korrelation zwischen der Einnahme von Inhalations-Kortikosteroiden bei jüngeren Kindern mit mittelschwerem bis schwerem Asthma. Bei älteren Kindern fand sich diese Korrelation nicht.
2.7. Wechselspiel zwischen CRH und Noradrenalin¶
Der Hypothalamus, der CRH ausstößt, ist eng mit dem Nucleus coeruleus verbunden, der Noradrenalin produziert. CRH aktiviert die Noradrenalinausschüttung, während umgekehrt zugleich Noradrenalin die CRH-Produktion anregt.
3. Veränderungen der Cortisolwerte bei ADHS¶
Eine Vielzahl von Untersuchungen hat sich der Frage gewidmet, ob und wie die HPA-Achse bei ADHS abweichend reagiert. Es liegen inzwischen massive Hinweise dafür vor, dass bei ADHS nachhaltige Veränderungen der HPA-Achse bestehen.
Epidemiologische und präklinische Untersuchungen haben gezeigt, dass die Störung der HPA-Achse bei ADHS aus einer übermäßigen Cortisol-Exposition in der fetalen und frühen postnatalen Phase (frühkindlicher Stress) resultieren kann. Die Verabreichung von Glucocorticoid in diesem Lebensabschnitt kann die Glucocorticoidrezeptoren im Gehirn dauerhaft verändern und dadurch eine Dysregulation der HPA-Achsenaktivität, Störungen in der Biosynthese der Neurotransmitter und ihrer Rezeptoren und Veränderungen der intrazellulären Wege hervorrufen. Glucocorticoide (Cortisol) verstärken die Aktivität des dopaminergen Systems. Eine verringerte Expression von Glucocorticoiden könnte dadurch die Unterfunktion des dopaminergen Systems verursachen.
Dabei muss ganz grundsätzlich zwischen basalen Cortisolwerten und Cortisolantworten (Reaktionen) auf akuten Stress unterschieden werden. Während sich die Subtypen von ADHS durch verringerte basale Cortisolwerte gegenüber Nichtbetroffenen, nicht aber durch Abweichungen untereinander unterscheiden, unterscheidet sich die Cortisolantwort auf akuten Stress von ADHS-HI/ADHS-C einerseits und ADHS-I-Subtyp andererseits erheblich und systematisch voneinander und weicht in verschiedenen Richtungen von den Werten Nichtbetroffener ab.
Basale Cortisolwerte unterscheiden also ADHS-Betroffene von Nichtbetroffenen, Cortisolantworten unterscheiden darüber hinaus auch die Subtypen.
Auffällig ist weiterhin, dass bei ADHS-I (ohne Hyperaktivität/Impulsivität) der stressinduzierte Cortisolanstieg signifikant höher ist als bei Nichtbetroffenen, während bei ADHS-HI (mit Hyperaktivität) sowie bei ADHS-C akuter Stress eine deutlich geringere Cortisolantwort auslöst als bei Nichtbetroffenen.
Dies könnte für die Behandlung relevant sein, da Cortisol nicht nur die Stressantwort der HPA-Achse vermittelt, sondern als Feedbackschleife die Beruhigung und Deaktivierung der Stresssysteme (der HPA-Achse und des zentralen Nervensystems) bewirkt.
Wir vermuten, dass eine einmalige höhere Cortisolgabe bei ADHS-HI die Stresssysteme wieder herunterfahren könnte. Wenn die Cortisolreaktion fehlt, die das Signal zum Herunterfahren der Stresssysteme gibt, wäre es zumindest bedenkenswert, dies durch eine einmalige Cortisolsubstitution zu kompensieren. Da eine hohe Cortisolstressantwort eine gesunde Reaktion zur Wiederabschaltung der HPA-Achse ist, sollten sich aus einer einmaligen stoßweisen Gabe nicht zwangsläufig Nachteile ergeben müssen. Für ADHS-I-Betroffene dürfte dies dagegen naturgemäß nicht sinnvoll sein.
Hierfür könnte sich Dexamethason empfehlen, da dies die GR 30 Mal stärker adressiert als die MR. Gegebenenfalls wäre eine Kombination mit einem MR-Antagonisten wie z.B. Eplerenon denkbar, wie es in einer Studie zur Behandlung von Rückenschmerzen eingesetzt wurde.
Eine Cortisolgabe könnte nicht nur die HPA-Achse herunterregulieren, sondern auch die Herunterregulierung des PFC unterstützen.
Stressbedingt stark erhöhtes Noradrenalin hemmt über Noradrenalin-α1-Rezeptoren die Funktion von PFC und Arbeitsgedächtnis, um die Handlungssteuerung von der langsamen analytischen Steuerung durch den PFC zur schnellen instinktiven Steuerung durch ältere Gehirnregionen zu verlagern, weil dies bei Kampf oder Flucht vorteilhaft ist.
Eine stressinduzierte hohe Cortisol-Freisetzung führt im PFC zu einer Stimulation ebendieser Noradrenalin-α1-Rezeptoren. Die gleichzeitige Adressierung dieser Rezeptoren verstärkt den durch hohe Noradrenalinspiegel verursachten Effekt.
Bei Gesunden korrelieren die endokrinen Stressantworten von Noradrenalin und Cortisol, sodass ein Zusammentreffen von hohem Noradrenalin und hohem Cortisolspiegel die PFC-Deaktivierung auslösen kann.
Cortisol spielt eine Rolle bei ADHS, allerdings nicht in Bezug auf Inhibition.
3.1. Cortisolreaktionen auf Stress bei ADHS subtypenspezifisch verändert¶
Etliche Untersuchungen haben sich mit der Cortisolreaktion ADHS-Betroffener auf Stress beschäftigt, indem der Cortisolspiegel vor und nach einer Stressbelastung gemessen wurden.
Dabei ist jedoch zwischen ADHS-HI (mit Hyperaktivität) und ADHS-I (ohne Hyperaktivität) zu unterscheiden. Wird diese Differenzierung unterlassen, finden auch Metauntersuchungen keinen Unterschied der Cortisolstressantwort von ADHS zu Nichtbetroffenen.
Eine chronische Stressbelastung verringert die Expression des Glucocorticoidrezeptors (GR), der die HPA-Achse nach einer Stressreaktion wieder abschaltet. Beobachtet wurde ein langsameres Absinken des Cortisolspiegels zum Ausgangswert nach einem akuten Stressor, also eine verlängerte Zeit bis zur Erholung.
3.1.1. Reaktionen auf kognitiven Stress bei ADHS¶
- 51 von 68 ADHS-betroffenen Kindern (Altersschnitt 8,8 Jahre) zeigten bei einem nicht näher bezeichneten “psychologischen Test als Stressor” keinen Cortisolanstieg. Möglicherweise wurde der Hamburg-Wechsler-Intelligenztest (WISC-III) zugleich als Stressor verwendet. Die 17 Probanden mit Cortisolanstieg unter Stress hatten einen höheren IQ, wobei der Bericht sich nicht klar äußert, ob es sich um den nach Stressbelastung gemessenen IQ-Wert oder den IQ-Wert ohne Stressbelastung handelt. Die Höhe des Cortisolspiegels vor dem Test korrelierte mit dem IQ. Je niedriger der Cortisolspiegel nach dem Test, desto niedriger der IQ der Probanden.
- 20 Kinder mit ADHS und komorbidem Oppositionellen Trotzverhalten (ODD) und Störung des Sozialverhaltens (CD), somit mit hohen Aggressionsleveln, zeigten im Alter von 4 bis 6 Jahren wie 2 Jahre später im Alter von 6 bis 8 Jahren keinen Cortisolanstieg auf einen kognitiven Stressor. ADHS-Betroffene, deren Problem persistierten, zeigten eine abgeflachte Cortisolantwort. Dies deckt sich mit den übrigen Untersuchungen insoweit, als ODD und Störung des Sozialverhaltens typische Komorbiditäten des hyperaktiv/impulsiven ADHS-HI-Subtyps sind, für den ein verringerter / fehlender Cortisolanstieg häufig berichtet wird.
- Von 48 Kindern, die dem Koreanischen Hamburg-Wechsler-Intelligenztest (KEDI-WISC) als Stressor ausgesetzt waren, zeigten 28 einen Cortisolabfall, bei 15 stieg der Cortisolspiegel an. Kinder mit einem Cortisolabfall machten mehr Auslassungsfehler und Falschantworten, was Impulsivitätsprobleme belegen soll. Dies deutet auf den hyperaktiv-impulsiven ADHS-HI-Subtyp hin. Die Kinder mit einer erhöhten Cortisolstressantwort machten mehr Falschantworten im Aufmerksamkeitstest, was auf Aufmerksamkeitsprobleme hindeutet. Nichtbetroffene wurden nicht verglichen.
- Von 49 Kindern mit ADHS ohne weitere Komorbiditäten zwischen 6 und 17 Jahren zeigten auf den Koreanischen Hamburg-Wechsler-Intelligenztest (KEDI-WISC) und den TOVA-Test als (kognitive) Stressoren 33 Kinder keinen Cortisolanstieg, 16 zeigten einen Cortisolanstieg. Die 33 Kinder mit einem Cortisolrückgang hatten einen IQ von über 110, die 16 Kinder mit einem Anstieg einen IQ von weniger als 110 (IQ-Schnitt: 92,3). Ein Cortisolrückgang korrelierte ausserdem mit höheren Aggressionswerten und niedrigeren Aufmerksamkeitswerten im K-CBCL. Kinder mit Cortisolanstieg hatten eher einen zurückgezogenen Charakter und weniger soziale Probleme. Auch dies passt in das Bild einer verringerten/ausbleibenden Cortisolantwort beim hyperaktiv-impulsiven ADHS-HI-Subtyp. Nichtbetroffene wurden nicht verglichen.
- 68 von 90 ADHS-betroffenen Kindern zeigten auf Stress durch den Korean-Wechsler Intelligence Scale for Children-Third Edition (K-WISC-III) keine erhöhte Cortisolreaktion. Erhöhte Cortisolantworten auf einen Stressor korrelierten mit einer erhöhten Varianz in der Antwortzeit. Nichtbetroffene wurden nicht verglichen.
Eine erhöhte Varianz der Antwortzeiten liesse sich durch eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des PFC erklären, wie sie beim ADHS-I-Subtypus besonders ausgeprägt ist.
Verlängerte Reaktionszeiten korrelierten mit ADHS-I.
- 38 ADHS-betroffene Kinder zeigten auf den Continuous Performance Test (CPT) als Stressor unabhängig vom Subtyp einen signifikant höheren Cortisolanstieg als 38 nichtbetroffene Kinder. Bei einer Folgeuntersuchung der selben Probanden 4 Jahre später zeigte sich, dass sich die Cortisolstressantworten der ADHS-Betroffenen verringert hatten und nun denen der Nichtbetroffenen entsprachen.
Bewertung:
Wir halten eine Stresstestung durch einen Intelligenztest für wenig zielführend. Dass Menschen mit einem höheren IQ durch einen IQ-Test weniger gestresst sind, als Menschen mit einem niedrigeren IQ, dürfte der immanente Sinn und Zweck eines IQ-Tests sein. Wir vermuten weiter, dass sich Kinder mit verringerter Intelligenz durch kognitiven Tests und Intelligenztests mehr stressen lassen, weil sie eine negative Beurteilung erwarten, womit letztlich lediglich die erwartete soziale Bewertung Stress auslösend wäre. Zur Frage, welche Umstände überhaupt cortisolergen Stress auslösen, siehe oben.
Weiter dürften die Subtypen ADHS-HI (hyperaktiv/impulsiv) und ADHS-I (ohne Hyperaktivität) aufgrund ihrer unterschiedlichen Stressphänotypik vermutlich auch auf unterschiedliche Stressoren verschieden reagieren. Wir vermuten, dass der eher extrovertierte ADHS-HI-Typ durch soziale Exposition (Geschichte fertig erzählen und lautes Kopfrechnen unter Beobachtung/Beurteilung Dritter) weniger gestresst und ggf. sogar eher angeregt sein wird als der eher introvertierte ADHS-I-Typ, dessen Stressreaktion eine Flucht nach innen ist.
Dies deckt sich mit den Ergebnissen von van West.
3.1.2. Reaktionen auf emotionalen Stress bei ADHS¶
- Eine Studie mit 9 ADHS-HI, 10 ADHS-I und 14 ADHS-C-Betroffenen sowie 33 Nichtbetroffenen (6 bis 8 Jahre, Schnitt 6,3 Jahre) mittels TSST-C fand ebenfalls bei den ADHS-HI-Betroffenen eine signifikant verringerte und bei ADHS-I eine vergleichsweise höhere Cortisolantwort. Alle Subtypen zeigten ein niedrigeres Cortisolbasisniveau als Nichtbetroffene. Nichtbetroffene zeigten keine starke Cortisolantwort. Letzteres könnte auf Probleme der Testanordnung hindeuten. Zudem war die Probandenzahl je Subtyp zu gering für verlässliche Aussagen.
- Eine Untersuchung an 18 ADHS-betroffenen Erwachsenen und 18 Nichtbetroffenen kam zu keinem eindeutigen Ergebnis. Es wurde lediglich eine allgemeine Tendenz zu einer verringerten Cortisolantwort auf akuten Stress sowie eine erhöhte subjektive Stresswahrnehmung bei ADHS-Betroffenen berichtet. Dies könnte an der geringen Probandenzahl gelegen haben, sowie an der fehlenden Trennung nach Subtypen.
- Eine Untersuchung von jungen Erwachsenen ohne Differenzierung zwischen ADHS-HI und ADHS-I fand generell erhöhte Cortisolstressantworten bei ADHS.
- Eine Studie, die nicht den TSST, sondern einfache sensorische Elemente als Stressoren verwendete, um Hochsensibilität bei ADHS zu untersuchen, fand keine signifikanten Unterschiede der Cortisolstressantwort zwischen Nichtbetroffenen, ADHS-Betroffenen ohne und ADHS-Betroffenen mit Hochsensibilität. Es wäre interessant gewesen, zu sehen, ob sich die Antworten auf den TSST unterschieden hätten.
3.1.2.1. ADHS-HI, ADHS-C und komorbide externalisierende Störungen¶
- Eine Untersuchung von 96 Erwachsenen mit ADHS und 25 Nichtbetroffenen ergab bei ADHS-C eine abgeflachte Cortisolantwort im Vergleich zu Nichtbetroffenen, beim ADHS-I-Subtyp eine erhöhte stressinduzierte Cortisolantwort.
- Kinder (6 bis 12 Jahre, Schnitt 8,6 Jahre) mit dem ADHS-HI-ADHS-C haben wesentlich seltener den (bei gesunden zu erwartenden) Cortisolanstieg auf emotionalen Stress (Public Speaking Task, PST und Trier Social Stress Test, TSST) als Nichtbetroffene, während der vorwiegend unaufmerksame ADHS-I-Subtyp eine deutlich stärkere Cortisolantwort als Nichtbetroffene zeigte. Nur 35 % der Betroffenen ADHS-C zeigten stressbedingt einen erhöhten Cortisolwert, gegenüber 92 % der ADHS-I-Betroffenen und 88 % der Nichtbetroffenen. Auch diese Studie bestätigte einen Zusammenhang zwischen Aggression, Externalisierungsproblemen und verringerter Cortisolstressantwort.
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ADHS-Betroffene mit hohen Hyperaktivitäts-/Impulsivitätssymptomen zeigten eine verringerte Cortisolsuppression nach dem Dexamethasontest. Dies kann aus einer abgeflachten Cortisolstressantwort oder aus geringer adressierbaren Glucocorticoidrezeptoren resultieren.
- Bei einer niedrigen Alpha-Amylase-Ausschüttung (Marker des Sympathischen Stresssystems) auf akuten Stress durch den TSST korreliert eine gleichzeitige niedrige Cortisolantwort mit hohen Aggressivitätswerten, bei einer hohen Alpha-Amylase-Ausschüttung auf akuten Stress hat die Cortisolantwort keine Korrelation zu Aggression.
- Von 202 männlichen Jugendlichen (10 bis 17 Jahre, Schnitt 14 Jahre) reagierten die 107, die eine komorbide Störung des Sozialverhaltens (CD) hatten, auf einen psychosozialen Stressor mit einer signifikant stärker reduzierten Cortisol-Stress-Reaktivität im Vergleich zu den 97 nur-ADHS-HI-Betroffenen.
Je schwerer die ADHS-Symptome waren, desto niedriger war der basale Cortisolspiegel. Eine Störung des Sozialverhaltens war dagegen mit einem erhöhten basalen Cortisolspiegel und einer verringerten Cortisol Stressantwort verbunden. Eine beeinträchtigte Cortisolreaktivität könnte Furchtlosigkeit widerspiegeln und mit einer mangelhaften Emotionsregulation und Hemmung von aggressivem und asozialem Verhalten assoziiert sein. Bedauerlicherweise wurden keine Nichtbetroffenen als Kontrollen einbezogen.
- 7–12 Jahre (Durchschnitt: 10 Jahre) alte Kinder mit oppositioneller Trotzstörung (ODD) haben verringerte Aktivitätsmuster des Vegetativen Nervensystems oder der HPA-Achse. 15 Kinder mit ODD, 31 Kinder mit ODD und AD und 23 nur-ADHD Kinder wurden mit 26 nicht betroffenen Kindern verglichen. Die Cortisolreaktion auf wettbewerbsinduzierten Stress (nicht beziehungsrelevanter Stress) war bei den ODD-Kindern mit oder ohne ADHS-HI signifikant verringert und bei den nur-ADHS und Nichtbetroffenen gleichermaßen normal. Der Puls war bei ODD-Betroffenen mit und ohne Stress signifikant verringert. ODD, ODD/ADHS-HI und ADHS-HI-Betroffene wiesen alle gleichermaßen signifikant niedrigere Hautleitwiderstandswerte unter Stress auf. Da die Medikation von MPH für die Studie nicht ausgesetzt war, dürften die Ergebnisse verzerrt sein. Dass 17 der 23 nur-ADHS-HI-Kinder MPH erhielten, könnte die Normalisierung der stressbedingten Cortisolreaktion erklären.
- Oppositionelles Trotzverhalten bei ADHS korrelierte mit abweichenden Cortisolreaktionen auf akuten Stress.
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ADHS-betroffene Kinder zeigten auf den TSST eine umso abgeflachtere Cortisolantwort, je stärker sie psychopathische Merkmale (gefühllose, emotionslose Reaktionen / callous unemotional traits = CU-Traits) wie mangelnde Empathie, Gefühlskälte etc. zeigten.
- 22 Kinder mit DBD (Disruptive Behaviour Disorder) zeigten auf Stress abnehmende wie ansteigende Cortisolantworten, wobei die Kinder mit absteigenden Cortisolantworten schwerere Symptome aufwiesen als die Kinder mit ansteigenden Cortisolantworten.
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Störung des Sozialverhaltens (CD) korreliert mit einer abgeflachten Cortisolstressantwort.
Da externalisierende Störungen mit ADHS-HI (mit Hyperaktivität) korrelieren, halten wir eine Tendenz zu einer abgeflachten Cortisolstressantworten bei ADHS-HI und ADHS-C für eine plausible Möglichkeit.
3.1.2.2. ADHS-I und komorbide internalisierende Störungen¶
- Eine Untersuchung von 96 Erwachsenen mit ADHS und 25 Nichtbetroffenen ergab beim ADHS-I-Subtyp eine höhere stressinduzierte Cortisolantwort als bei Nichtbetroffenen, bei ADHS-C eine abgeflachte Cortisolantwort.
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ADHS-I-Betroffene vom rein unaufmerksamen Subtyp wiesen eine überhöhte Cortisolantwort auf akuten Stress auf.
- Eine Untersuchung an 20 ADHS-I-Betroffenen und 19 Nichtbetroffenen (8 bis 13 Jahre, Schnitt 10,3 Jahre) mittels TSST-C ergab, dass die 7 ADHS-I-Betroffenen mit starken Unaufmerksamkeitssymptomen eine deutlich verringerte Cortisolantwort auf den Stressor zeigten, anders als die 13 ADHS-I-Betroffenen mit moderaten Symptomen und die 19 Nichtbetroffenen.
Eine ähnliche Studie fand eine stärker verringerte Cortisolantwort bei ADHS-Betroffenen mit schweren Unaufmerksamkeitssymptomen als bei Betroffenen mit weniger starken Unaufmerksamkeitssymptomen.
Diese Ergebnisse widersprechen unserer Analyse, dass ADHS-I von einer überhöhten Cortisolstressantwort gekennzeichnet ist.
- Eine Studie fand bei Jungen mit ausgeprägter Unaufmerksamkeit eine stark abgeflachte Cortisolstressantwort auf den TSST. Mädchen mit ausgeprägter Unaufmerksamkeit zeigten ebenfalls eine abgeflachte Cortisolstressantwort während und nach dem TSST, bei erhöhten Werten vor dem TSST. Die basalen Cortisolspiegel waren unverändert. Die Untersuchung erwähnt weiter, dass bei chronischem Stress abgeflachte Cortisolstressantworten üblich seien.
Die Kinder wurden allein nach den Unaufmerksamkeitswerten als ADHS-I kategorisiert, nicht nach der Abwesenheit von Hyperaktivität/Impulsivität. Dies könnte die Ergebnisse erklären, sofern es sich um Probanden handelte, die zugleich starke Hyperaktivitäts-/Impulsivitätswerte zeigen. Komorbide externalisierende oder internalisierende Störungen beeinflussten das Ergebnis nicht.
- Bei gesunden Erwachsenen korrelierte ein geringeres Novelty Seeking (was eher auf den ADHS-I-Subtyp passt) mit erhöhten Cortisolantworten auf den TSST (wie es der ADHS-I typischerweise zeigt), nicht jedoch mit ACTH-Werten.
- Dies gilt ebenso für eine höhere Risikoscheu (was ebenfalls eher auf den ADHS-I-Subtyp passt).
- Angst, Depressionen, subjektive Stresswahrnehmung, Impulsivität sowie ein höherer ADHS-Symptom-Gesamtscore korrelierten in einer Studie mit Erwachsenen mit erhöhten Cortisolantworten auf akuten Stress (was in Bezug auf Impulsivität überrascht).
3.1.3. Reaktionen auf körperlichen Stress¶
- Von 170 ADHS-betroffenen Kindern im Grundschulalter führte eine Venenpunktion als Stressor bei denjenigen mit komorbiden Angstproblemen zu einem Cortisolanstieg, während diejenigen mit einer komorbiden DBD- und Oppositionsstörung eine verminderte Cortisolantwort hatten. ADHS-HI-Subtypen ergaben keine unterschiedlichen Cortisolantworten.
- Von 62 ADHS-betroffenen Kindern zeigte der ADHS-HI-Typ vor einer Venenpunktion einen identischen Cortisolspiegel wie Nichtbetroffene, während der ADHS-I-Subtyp bereits vor der Venenpunktion einen gegenüber Nichtbetroffenen erhöhten Cortisolspiegel zeigte. Da bei ADHS-I- wie bei ADHS-HI-Betroffenen der basale Cortisolspiegel niedriger ist, als bei Nichtbetroffenen, könnte dies eine Angst-Reaktion in Erwartung des Stressors sein. Das selbe Muster zeigte sich in Bezug auf Alpha-Amylase als Repräsentant des vegetativen Nervensystems.
- Bei denselben 62 ADHS-betroffenen Kindern zeigte der ADHS-HI-Subtyp 10 Minuten nach der Venenpunktion eine Verringerung des Cortisolspiegels, während er bei den 40 Nichtbetroffenen leicht anstieg und bei den ADHS-I-Betroffenen stärker anstieg. Dasselbe Muster zeigte sich in Bezug auf Alpha-Amylase als Repräsentant des vegetativen Nervensystems.
- Kinder mit ADHS zeigten auf eine Venenpunktion bei der ersten Vornahme in häuslicher Umgebung tendenziell erhöhte Cortisolstressantworten und bei der zweiten Vornahme in Klinikumgebung signifikant niedrigere basale Cortisolspiegel sowie signifikant abgeflachte Cortisolstressantworten im Vergleich zu Nichtbetroffenen.
- Bei Kindern mit ADHS zeigte sich auf einen Zahnarztbesuch als Stressor ein niedrigerer Cortisolanstieg als bei Nichtbetroffenen. Der Cortisolanstieg war besonders niedrig bei Kindern mit hohen Hyperaktivitäts-/Impulsivitätswerten.
3.2. Basale Cortisolspiegel bei ADHS verringert¶
Die Ergebnisse zum basalen Cortisolwert bei ADHS zeigen mehrheitlich verringerte Werte.
3.2.1. Verringerte basale Cortisolwerte: 17 Studien¶
Mehrere Untersuchungen fanden, dass bei ADHS der basale (ständige, grundlegende) Cortisolspiegel in der Regel verringert ist, wobei die Cortisolspiegelverringerung bei ADHS-HI und bei ADHS-C noch deutlicher ausfällt als beim ADHS-I-Subtyp.
Über mehrere Monate verringerte basale Cortisolwerte im Haar von 4-jährigen Kindern sind ein guter Prädiktor für einen Anstieg von ADHS-Symptomen bei Jungen (nicht aber bei Mädchen) im folgenden Jahr. Ähnliches beschreiben Pauli-Pott et al. Eine weitere Untersuchung fand, dass die Haarcortisolspiegel bei Kindern zwischen der Psychopathologie der Eltern und schwerer Depression und ADHS bei den Kindern korrelieren. Eine Studie fand nur bei Jungen, nicht aber bei Mädchen, eine Korrelation zwischen einem niedrigen Haarcortisolspiegel und niedrigen Arbeitsgedächtniswerten sowie niedriger Intelligenzperformanz. Bei Jungen erklärte Haarcortisol vollständig die Zusammenhänge von ADHS-Unaufmerksamkeitssymptomen mit Arbeitsgedächtnis und Intelligenzperformanz.
Etliche weitere Studien fanden einen verringerten morgendlichen Blutcortisolspiegel bei ADHS.
Der Speichelcortisolspiegel von 5- bis 9-jährigen Jungen direkt nach dem Aufstehen gegen 06:30 war im Schnitt um 0,4 ng/ml niedriger als der von Nichtbetroffenen. Die individuelle Bandbreite der Cortisolwerte von Menschen ist jedoch deutlich größer als die statistische Differenz (Nichtbetroffene 0,7 bis 10,5 ng/ml; ADHS-Betroffene 1,3 bis 8,1 ng/ml).
Bei 109 Erwachsenen mit ADHS wurde bei 64 % eine normale morgendliche Cortisol-Aufwach-Reaktion festgestellt (ohne signifikante Unterschiede zwischen den Subtypen), gegenüber 84 % bei den nichtbetroffenen Kontrollen.
248 Jugendliche mit ADHS zeigten niedrigere basale Cortisolwerte und höheren empfundenen Stress, wobei die basalen Cortisolwerte und der empfundene Stress nicht korrelierten.
Von 202 männlichen Jugendlichen (10 bis 17 Jahre, Schnitt 14 Jahre) reagierten die 107, die eine komorbide Störung des Sozialverhaltens (CD) hatten, auf einen psychosozialen Stressor mit einer signifikant stärker reduzierten Cortisol-Stress-Reaktivität im Vergleich zu den 97 nur-ADHS-HI-Betroffenen. Je schwerer die ADHS-Symptome waren, desto niedriger war der basale Cortisolspiegel. Eine Störung des Sozialverhaltens war dagegen mit einem erhöhten basalen Cortisolspiegel und einer verringerten Cortisol Stressantwort verbunden. Eine beeinträchtigte Cortisolreaktivität könnte Furchtlosigkeit widerspiegeln und mit einer mangelhaften Emotionsregulation und Hemmung von aggressivem und asozialem Verhalten assoziiert sein. Bedauerlicherweise wurden keine Nichtbetroffenen als Kontrollen einbezogen.
Niedrige basale Stresswerte (basal = nicht stressinduziert) werden als eine Anpassungsreaktion der HPA-Achse (Stressachse) auf chronische Stresserfahrung interpretiert. Nicht nur ADHS-betroffene Kinder, sondern auch deren Mütter zeigten morgens um 9 Uhr einen gegenüber Nichtbetroffenen verringerten Cortisolspiegel.
Verringerte Blutcortisolwerte bei 15-jährigen ADHS-Betroffenen (Abnahme am späten Nachmittag) korrelierten mit Aggressivität und Impulsivität bei Jungen signifikant, bei Mädchen lediglich tendenziell.
Mehrere Untersuchungen zeigen, dass verringerte basale Cortisolspiegel kein ausschließliches Merkmal von ADHS sind. Sie korrelieren auch mit (komorbid vorliegenden) Sozialverhaltensstörungen.
Das Maß von Aggression ergibt jedoch keine unterschiedlichen basalen Cortisolwerte.
3.2.2. Unveränderte basale Cortisolwerte: 5 Studien¶
Bei ADHS-I-Betroffenen stellte eine Untersuchung keine Veränderungen der Tagescortisolwerte fest.
Drei weitere Untersuchungen fanden bei ADHS ebenfalls keine Veränderung der basalen Cortisolspiegel gegenüber Nichtbetroffenen.
Eine Studie, die die ADHS-Subtypen / Präsentationsformen berücksichtigte, fand:
- bei Jungen mit ADHS-I verringertes Haarcortisol (nicht mehr signifikant nach Kontrolle auf frühe Traumata)
- bei Mädchen mit ADHS-C erhöhtes Haarcortisol (nicht mehr signifikant nach Kontrolle auf frühe Traumata)
- bei Jungen mit ADHS und komorbider ODD/CD eine abgeschwächte Reaktivität des sympathischen Nervensystems
3.2.3. Erhöhte basale Cortisolwerte: 3 Studien¶
ADHS-Betroffene mit hohen Unaufmerksamkeitssymptomen zeigten dagegen eine erhöhte Cortisolaufwachreaktion (CAR), wobei diese vorwiegend auf komorbide Angst- oder Depressionsstörungen zurückzuführen war.
Bei gesunden Erwachsenen korrelierte ein geringeres Novelty Seeking (was eher auf den ADHS-I-Subtyp passt) mit erhöhten Grund-Cortisolwerten, nicht jedoch mit erhöhten ACTH-Werten.
Eine Studie fand durchgängig erhöhte basale Cortisolwerte.
3.3. Absinken des Cortisolwertes ohne Stressinduzierung bei ADHS?¶
Eine recht kleine Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass bei ADHS ein steilerer Abfall des Cortisolspiegel von 06:30 bis 09:00 typisch sei. Bei 19 ADHS-Betroffenen war der Cortisolspiegelabfall um 66 % deutlich steiler als der von 40 Nichtbetroffenen um 56 %.
Eine andere Untersuchung berichtet ebenfalls von abnormalen Cortisolspiegelveränderungen über den Tag, die mit dem Maß der Hyperaktivität korrelieren.
3.4. GR-Variante beeinflusst Cortisolwirkung und ADHS-Risiko¶
Siehe hierzu unter ⇒ Genvarianten des GR im Beitrag ⇒ Cortisol und andere Stresshormone bei AD(H)S
4. ACTH bei ADHS¶
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Zwischen 128 ADHS-Betroffenen und 30 nicht betroffenen Kindern wurden keine Unterschiede in den basalen ACTH-Leveln festgestellt. Auch die ADHS-Subtypen unterschieden sich nicht.
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Bei gesunden Erwachsenen korrelierte ein geringeres Novelty Seeking (was eher auf den ADHS-I-Subtyp passt) mit erhöhten Cortisolantworten auf den TSST (wie es der ADHS-I-Subtyp sehr häufig zeigt), nicht jedoch mit veränderten ACTH-Werten.
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Dies gilt ebenso für eine höhere Risikoscheu (was ebenfalls mit dem ADHS-I-Subtyp korreliert).
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In einer Studie wurden bei sexuell missbrauchten Mädchen verringerte basale ACTH-Werte sowie verringerte ACTH-Antworten auf eine CRH-Stimulation gefunden, während die Cortisolantwort unauffällig war.
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Frühkindlicher Stress bewirkt dauerhafte Veränderungen der HPA-Achse, die sich in veränderten basalen und stressinduzierten Cortisolspiegeln zeigen. Kinder mit internalisierenden Problemen zeigten häufig erhöhte Cortisolstressantworten, während Erwachsene, die frühkindlichen psychischen Stress erlitten haben, häufig erniedrigte basale Cortisolwerte und erhöhte ACTH-Antworten auf akuten Stress zeigten.
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Bei frühen Stresserfahrungen können Störungen der ACTH-Rezeptorsysteme entstehen, die eine Löschung der Angsterfahrung verhindern und so eine langfristige Stressbelastung verursachen. Dies konnte durch ACTH-Gabe verbessert werden. Die Veränderung der ACTH-Rezeptorsysteme könnte unserer Auffassung nach möglicherweise Folge einer Down-/Upregulationsreaktion sein. ⇒ Downregulation / Upregulation
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Früh von der Mutter getrennte oder wenig gepflegte Ratten zeigten
- erhöhte ACTH-Spiegel basal
- erhöhte ACTH-Spiegel auf akuten Stress
- mehr als verdoppelte CRH-Spiegel auf Entzündungen
- verringerte Dichte der CRH-Rezeptoren im Hypophysenvorderlappen
- Veränderungen in extrahypothalamischen CRH-Systemen
- Zunahme der Anzahl der CRH-Rezeptor-Bindungsstellen in den Raphe-Kernen um 59 %
- Anstieg der immunreaktiven CRH-Konzentrationen im Parabrachialkern um 86 %
- Verhaltensauffälligkeiten wie
- erhöhte Ängstlichkeit
- Anhedonie
- erhöhte Alkoholpräferenz
- Schlafstörungen
- kognitive Beeinträchtigungen
- erhöhte Schmerzempfindlichkeit
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Bei Borderline-Betroffenen ohne komorbide PTSD zeigte der DST eine erhöhte ACTH-Antwort, bei Borderline-Betroffenen mit komorbider PTSD eine signifikant abgeschwächte ACTH-Antwort.
5. CRH bei ADHS¶
- Junge Affen, die unter frühem Bindungsstress aufwuchsen, hatten im Alter von 4 Jahren erhöhte CRH- und erniedrigte Adrenalinwerte.
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Cortisol vermittelt nach seiner Ausschüttung zunächst Stresssymptome. Weiter hat ein hoher Cortisolspiegel die Wirkung, die HPA-Achse und Noradrenalin wieder herunterzufahren.
Da jedoch die GR-Cortisolrezeptoren nach langanhaltendem Stress aufgrund Downregulation weniger sensibel sind, nehmen sie dieses Signal nicht wahr. Die Abschaltung der Stresssysteme bleibt aus. In der Folge bleiben die CRH-Werte dauerhaft überhöht und lösen die von CRH vermittelten Symptome dauerhaft aus. Dieser Mechanismus ist für Depressionen bereits dargelegt.
- Langanhaltender Stress bewirkte bei erwachsenen Mäusen eine chronifizierte Demethylierung des CRH-Gens.
6. α-Amylase bei ADHS¶
Der Alpha-Amylase-Spiegel repräsentiert die Aktivität des vornehmlich adrenerg gesteuerten vegetativen Nervensystems. Alpha-Amylase reagiert sehr stark auf einen psychosozialen Stressor, korreliert jedoch nicht mit anderen sogenannten Stressmarkern wie Cortisol, Noradrenalin oder Herzrate. Alpha-Amylase eignet sich damit zur Erfassung körperlicher Veränderungen, die durch Stress hervorgerufen werden. Konzentrationsaufgaben (Stroop-Test) als Stressor erhöhen den Alpha-Amylase-Spiegel dagegen nicht.
- Bei ADHS ist der basale Alpha-Amylasespiegel in der Regel verringert, wobei die α-Amylasespiegel-Verringerung bei ADHS-HI und ADHS-C noch deutlicher ausfällt als beim ADHS-I-Subtyp. Dieses Muster deckt sich mit dem verringerten basalen Cortisolspiegel (einem Repräsentanten der HPA-Achse).
*Eine Venenpunktion erhöhte bei 62 ADHS-betroffenen Kindern lediglich die α-Amylase-Werte in der Kontrollgruppe signifikant, nicht aber die Cortisolwerte. Dasselbe Muster zeigte sich in Bezug auf Cortisol als Repräsentant der HPA-Achse.
- Bei denselben 62 ADHS-betroffenen Kindern zeigte der ADHS-HI-Subtyp 10 Minuten nach der Venenpunktion eine Verringerung des α-Amylasespiegel, während er bei den 40 Nichtbetroffenen leicht anstieg und bei den ADHS-I-Betroffenen stärker anstieg. Das selbe Muster zeigte sich in Bezug auf Cortisol als Repräsentant der HPA-Achse.
Alpha-Amylase ist als Enzym im Darm für die Aufspaltung von Kohlenhydraten in Zucker zuständig. Hier könnte eine Verbindung zwischen Stress und Essproblemen bzw. Übergewicht bestehen.
6.1. Korrelation zwischen Alpha-Amylase und Cortisol¶
Eine Untersuchung über den Zeitverlauf des Auftretens von Alpha-Amylase als Repräsentant des vegetativen Nervensystems und Cortisol als Repräsentant der HPA-Achse auf einen TSST als Stressor weist auf gegenseitige Abhängigkeiten der beiden Stresshormone hin:
- Einem Alpha-Amylase-Anstieg folgte moderat häufig ein Cortisolanstieg 14 Minuten später.
- Einem Cortisolanstieg folgte leicht häufig ein Alpha-Amylase-Abfall 14 Minuten später.
- Einem Alpha-Amylase-Anstieg folgte moderat häufig ein Cortisolabfall 42 Minuten später.
7. Diagnose und Behandlung von ADHS durch Cortisol / Dexamethason?¶
Dexamethason ist ein (künstliches) Glucocorticoid, das bei gesunden Probanden an den Glucocorticoidrezeptoren der Hypophyse bindet, wodurch es das ACTH-Vorläuferprotein POMC hemmt. In der Folge wird die Ausschüttung von ACTH aus dem Hypophysenvorderlappen verringert. Da ACTH normalerweise die Cortisolausschüttung anregt, wäre eine gesunde Reaktion auf eine Gabe von Dexamethason, dass sich der Cortisolspiegel verringert – die sogenannte Suppression.
Eine Nonsuppression (eine fehlende Cortisolverringerung durch Dexamethason) deutet auf eine Fehljustierung der HPA-Achse hin, in Form einer mangelnden Reaktion der Glucocorticoidrezeptoren, die die HPA-Achsen-Abschaltung vermitteln. Derartige Fehljustierungen der HPA-Achse vermuten wir als eine mögliche Ursache von ADHS, wobei die fehlende Abschaltung der HPA-Achse unseres Erachtens typisch für ADHS-HI ist.
Ob ein Problem der Abschaltung der HPA-Achse in Form einer Cortisol-Nonsupression vorliegt, kann mittels des Dexamethason-/CRH-Tests, einer Fortentwicklung des früher verwendeten reinen Dexamethasontests, ermittelt werden.
Zu Ablauf und Auswertung des Dexamethasontests siehe unter ⇒ Dexamethason-/CRH-Test und ⇒ Dexamethasontest im Kapitel ⇒ Pharmakologische endokrine Funktionstests.
Bei melancholischer Depression, die wie ADHS-I sehr häufig von einer überhöhten Cortisolantwort geprägt ist, aber wohl häufig auch bei atypischer Depression, die von einer abgeflachten Cortisolstressantwort gekennzeichnet ist, zeigt der Dexamethasontest auf eine Dexamethasongabe eine ungenügende negative Rückkopplung der HPA-Achse und daher eine ungenügende Cortisolsuppression.
Wir vermuten, dass bei ADHS-I (anders als bei melancholischer Depression) die überhöhte Cortisolantwort zu einem häufigen Herunterfahren der HPA-Achse führt. Dies könnte eine Fehlannahme sein, oder einen Unterschied zwischen melancholischer Depression und ADHS-I aufzeigen.
Für den angenommenen Unterschied zwischen Depression und ADHS-I spricht, dass eine große Studie (n = 2307) bei Hyperaktivität/Impulsivität (ADHS-HI) eine verringerte Cortisolsuppression auf Dexamethason fand, während Unaufmerksamkeit (ADHS-I) keine Korrelation zu Nonsupression zeigte. Dies deckt sich mit den Ergebnissen einer kleineren Studie, die eine Nonsupression nur bei einem Teil der ADHS-Betroffenen fand und feststellte, dass Nonsuppression mit einem höheren Maß von Hyperaktivität korrelierte. Eine andere kleine Studie, bei der allerdings nur 9 ADHS-betroffene Kinder eingebunden waren, fand eine Suppression bei ADHS. Eine weitere kleinere Studie fand bei 22,7 % der ADHS-Betroffenen mit Hyperaktivität eine Nonsupression, was gegenüber den 5,7 % an gesunden Menschen 4-fach erhöht ist.
Gegen eine generelle Nonsupression spricht allerdings, dass bei Ratten, die als Tiermodell für ADHS-HI (mit Hperaktivität) dienen (Spontanuous hypertensive rat), Dexamethason eine Verringerung der ADHS-HI-Symptome zeigt. SHR haben genetisch bedingt eine überhöhte Expression der Mineralocorticoidrezeptoren (MR) und eine normale Expression der Glucocorticoidrezeptoren (GR).
Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass bei ADHS-I die Glucocorticoidrezeptoren nicht desensitiviert sind.
Die Ergebnisse deuten weiter darauf hin, dass bei ADHS-HI neben der verringerten Cortisolantwort, die naturgemäß dazu führt, dass die HPA-Achse nicht ausreichend heruntergefahren wird, außerdem eine (relative) Überaktivität der MR oder eine Desensibilisierung der GR vorliegt. Die bei Hyperaktivität festgestellte Nonsupression der HPA-Achse bei Gabe von Dexamethason belegt, dass auch bei einem kurzfristigen hohen Cortisolspiegel eine Nonsuppression besteht, also ein mangelhaftes Herunterfahren der HPA-Achse.
Zusammengefasst interpretieren wir dies wie folgt:
- Melancholische / psychotische Depression:
l Hohe Cortisolstressantwort
- gleichwohl kein Herunterfahren der HPA-Achse
- → Desensibilisierung der GR oder Überaktivität der MR
-
ADHS-I
HSHohe Cortisolstressantwort
- Herunterfahren der HPA-Achse
- → keine Desensibilisierung der GR oder Überaktivität der MR
- Atypische Depression
typNiedrige Cortisolstressantwort
- kein Herunterfahren der HPA-Achse
- nicht nur mangels ausreichender Cortisolstressantwort
- auch bei künstlicher Glucocorticoidgabe (Dexamethason)
ch→ häufiger Desensibilisierung der GR (wahrscheinlicher) oder Überaktivität der MR (unwahrscheinlicher, da Dexamethason GR 30 Mal stärker adressiert als MR und dennoch Nonsupression eintritt)
-
ADHS-HI
HSNiedrige Cortisolstressantwort
- häufiger kein Herunterfahren der HPA-Achse
- nicht nur mangels ausreichender Cortisolstressantwort
- auch bei künstlicher Glucocorticoidgabe (Dexamethason)
ch→ häufiger Desensibilisierung der GR (wahrscheinlicher) oder Überaktivität der MR (unwahrscheinlicher, da Dexamethason GR 30 Mal stärker adressiert als MR und dennoch Nonsupression eintritt)
8. Behandlung von ADHS durch Cortisol / Dexamethason?¶
8.1. Dexamethason als Medikament bei ADHS¶
Einen weiteren starken Hinweis darauf, dass die HPA-Achse und insbesondere Cortisol eine zentrale Rolle bei ADHS spielt, gibt eine Studie, nach der Dexamethason (als Medikament) bei SHR-Ratten (die als Tiermodell für ADHS-HI (mit Hyperaktivität) gelten) deren ADHS-HI-Symptome signifikant reduzieren konnte.
Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass ADHS mit Hyperaktivität durch eine Vielzahl von verschiedenen Genkonstellationen verursacht werden kann und die SHR nur eine einzige Genkonstellation abbilden, sodass das Ergebnis nicht ohne weiteres für jedes ADHS-HI generalisiert werden kann.
W
Der bei Schizophrenie beschädigte Dopamin D1-Transporter im PFC kann im Tiermodell durch Cortisol reaktiviert werden, was den Dopaminspiegel wieder normalisiert.
Dexamethason wurde bislang lediglich auf seine grundsätzliche Wirksamkeit bei Ratten untersucht. Es gibt in Bezug auf ADHS keinerlei Untersuchungen über eine Verwendung bei Menschen oder die Auswirkungen eines langfristigen Einsatzes, der möglicherweise Nebenwirkungen (z.B. auf das Immunsystem) haben könnte.
Andererseits könnte ein Ausgleich des bei ADHS und insbesondere bei ADHS-HI zu geringen Cortisolspiegels – sofern lediglich das bestehende Defizit ausgeglichen wird – einen auch anderweitig positiven Einfluss zeigen.
Wir haben als Hypothese die Idee einer Dexamethason-Stossbehandlung entwickelt: ⇒ Dexamethason bei ADHS
8.2. Cortisol als Medikament zur emotionalen Stabilisierung bei ADHS?¶
Eine Gabe von 20 mg bis 40 mg Cortisol konnte in einer Studie die Gefühle von Traurigkeit, Aktivität, Wachsamkeit auf akuten Stress deutlich verringern und die Entspannung verbessern. Zudem wurde die Müdigkeit verringert.
Cortisol beeinflusst (zusammen mit anderen Mechanismen) Aufmerksamkeit, Vigilanz und Gedächtnis. Der Hippocampus, der für Gedächtnisabspeicherungs- und Abrufprozesse zuständig ist, hat die größte Cortisol-Rezeptor-Dichte des Gehirns.
Eine Gabe von 10 mg Cortisol vor dem lernen von Vokabeln verschlechterte die Gedächtnisabrufleistung signifikant. Ob dies nur bei Männern oder auch bei Frauen erfolgte, die durch ihre Sexualhormone hiergegen geschützt sein könnten, ist offen. ADHS-I-Betroffene reagieren auf akuten Stress mit einer erhöhten Cortisolausschüttung. Bei diesen ist nach Stress die Gedächtnisabrufleistung ebenfalls beeinträchtigt – allerdings nur bei Männern.
Während die bisherigen Medikamente für ADHS (Stimulanzien, Atomoxetin, Guanfacin) vorrangig die Aufmerksamkeitsprobleme und Hyperaktivitätsprobleme verbessern, sind diese unserer Auffassung nach nicht in der Lage, die innere Anspannung ebenso wirksam zu verringern. Nach unserer Hypothese müsste eine seltene hochdosierte Cortisolgabe die HPA-Achse wieder beruhigen können. Eine dauerhafte oder regelmäßige Gabe ist dagegen nachteilhaft, weil sie ähnliche Wirkungen wie chronischer schwerer Stress verursachen kann.
Aufgrund der erheblichen Nachteile von Corticoiden, die auf die Mineralocorticoidrezeptoren wirken, sollten lediglich Corticoide in Betracht gezogen werden, die selektiv die Glucocorticoidrezeptoren adressieren (wie z.B. Dexamethason, das GR zu MR im Verhältnis 30:1 adressiert).
8.3. Wirkungsweise von Dexamethason¶
Dexamethason ist ein selektiver Glucocorticoidrezeptor (GR)-Agonist und wirkt dadurch wie eine Erhöhung des Cortisolspiegels.
Der Cortisolrezeptor-Agonist Dexamethason fördert die PACAP-mRNA-Transkription, Zellproliferation und DA-Synthese, während ein Cortisolrezeptor-Antagonist dies hemmt.
Cortisol wirkt auf den β-Adrenozeptor -cAMP / Proteinkinase A (PKA) -Signalweg, um die Synthese und Freisetzung von Noradrenalin zu erleichtern, das postsynaptisch an ɑ1-Adrenozeptor und β-Adrenozeptor bindet. Ein β-Adrenozeptor, der direkt an die Adenylatcyclase (AC) gekoppelt ist, kann die cAMP-Produktion stimulieren und bestimmte Reaktionen auslösen, die durch den ɑ1-Adrenozeptor reguliert werden können. Glucocorticoidrezeptoren haben zusammen mit dem ɑ1-Adrenozeptor einen Einfluss auf das β-Adrenozeptor-cAMP-System. und können das NE-System durch Aktivieren der NE-Nervenzellengruppe im Hirnstamm aktivieren. GR kann auch die Transkription regulieren.
Das an das Glucocorticoid Response Element (GRE) gebundene, aktivierte GR beeinflusst die Genexpression sowie Transkriptionsfaktoren, wie NF-kB, AP-1, CREB usw., die wiederum die Kombination von cAMP und PKA-regulatorischen Subtypen beeinflussen, welche die Produktion und das Überleben von DA-Neuronen modellieren und die Aktivität und Sekretion von DA regulieren.
8.4. Dexamethason bei ADHS-HI, GR-Antagonisten bei ADHS-I?¶
Die Untersuchungen, die eine Wirksamkeit von Dexamethason als ADHS-Medikament feststellten, verwendeten hierzu SHR-Ratten, die als typisches Modell von ADHS-HI (mit Hyperaktivität) gelten.
Daraus ergibt sich die theoretische Fragestellung, ob so, wie der GR-Agonist Dexamethason bei ADHS-HI als Wirkstoff funktionieren könnte, möglicherweise ein GR-Antagonist bei ADHS-I Wirkung zeigen könnte.
Dies dürfte nicht der Fall sein.
Ein GR-Antagonist würde die Abschaltung der HPA-Achse verhindern. Die Wiederabschaltung der HPA-Achse nach einer Stressreaktion ist jedoch erstens in der Regel eine gesunde Reaktion und ist zweitens bei ADHS-I vermutlich nicht beeinträchtigt.
Untersuchungen zum Dexamethasontest bei ADHS zeigen, dass Probleme mit der Abschaltung der HPA-Achse mit dem Maß der Hyperaktivität korrelieren, nicht aber mit Unaufmerksamkeit.
Mehr hierzu unter Medikamente bei ADHS, hier *⇒ Dexamethason bei ADHS.*ß