Dexamethason bei ADHS
- 1. Hypothese einer Dexamethason-Stoßbehandlung bei ADHS-HI und ADHS-C
- 2. Abgrenzung von einer Dauerbehandlung mit Dexamethason
1. Hypothese einer Dexamethason-Stoßbehandlung bei ADHS-HI und ADHS-C
Bei vielen ADHS-HI und ADHS-C-Betroffenen (mit Hyperaktivität) ist die Cortisolstressantwort abgeflacht. Wir vermuten, dass dies (bei einem nennenswerten Teil dieser Gruppe) dazu führt, dass am Ende einer schwerwiegenden Stressreaktion zu wenig Cortisol ausgeschüttet wird, um die HPA-Achse wieder sauber abzuschalten.
Unabhängig davon besteht bei einer erheblichen Anzahl von ADHS-HI und ADHS-C-Betroffenen zusätzlich eine Überhöhung der (cortisolaffineren) Mineralocorticoidrezeptoren (MR) oder eine Desensibilisierung der Glucocorticoidrezeptoren (GR), weshalb mangels ausreichender GR-Aktivierung eine Abschaltung der HPA-Achse auch durch eine hohe Cortisolstressantwort oder Dexamethasongabe nicht erfolgreich ist.
Dies betrifft ausschließlich ADHS-HI und ADHS-C. Bei ADHS-I (ohne Hyperaktivität) ist eine verringerte GR-Aktivität selten, sodass durch die dort erhöhte Cortisolstressantwort eine ausreichende HPA-Achsen-Wiederabschaltung gegeben ist. Die hier angedachte Dexamethason-Stoßbehandlung ist daher nur für ADHS-HI-/ADHS-C- und nicht für ADHS-I-Betroffene geeignet. Bei den ADHS-HI-/und ADHS-C-Betroffenen kann sie zudem nur bei denjenigen wirken, die eine ausreichende Cortisolsuppression durch Dexamethason zeigen. Dies ist bei ADHS-HI/ADHS-C-Betroffenen mit geringerer Hyperaktivitätsausprägung wahrscheinlicher, sodass eine Dexamethason-Stoßbehandlung tendenziell eher für ADHS-HI- und ADHS-C-Betroffene mit einem weniger schwerwiegenden Symptombild funktionieren könnte.
Im Ergebnis dürfte bei ADHS-HI eine Nonsuppression der HPA-Achse häufiger auftreten, aber nicht immer gegeben sein.
Mehr über Untersuchungen zur Diagnostik von ADHS durch den Dexamethasontest (DST) unter ⇒ Endokrine Funktionstests bei ADHS im Kapitel ⇒ Pharmakologische endokrine Funktionstests.
Als Studienaufbau zur Erforschung einer Behandlungsoption für ADHS-HI-Betroffene schlagen wir aus wissenschaftlicher Sicht die nachfolgende Vorgehensweise vor:
1. Es wird ein DST durchgeführt, um festzustellen, ob eine Suppression erfolgt.
Nur in diesem Fall kommt eine Dexamethason-Stoßbehandlung theoretisch überhaupt in Betracht.
Tritt eine Suppression ein, zeigt das DST-Ergebnis, wie niedrig der individuelle Cortisolspiegel im Ruhezustand der HPA-Achse ist.
2. Messungen des Cortisolspiegels alle 1 bis 3 Tage (wichtig: stets zur selben Tageszeit) können feststellen, ob sich der Cortisolspiegel wieder erhöht. Dies wäre ein Zeichen einer Aktivierung der HPA-Achse.
Bei einer allgemeinen Nebennierenschwäche (z.B. aufgrund zu geringer ACTH-Ausschüttung, die durch eine Downregulation der CRH-Rezeptoren der Hypophyse ausgelöst werden könnte) könnte eine Messung der CRH-Werte helfen. Denkbar ist allerdings auch ein Mangel an CRH, wie er z.B. durch eine lang anhaltende Cortisolgabe ausgelöst werden kann.1
3. Wird eine Cortisolspiegelerhöhung festgestellt, könnte durch eine Messung am Folgetag geprüft werden, ob sich der Cortisolspiegel auch wieder verringert. Dies wäre ein Hinweis auf eine funktionierende autonome Regelung der HPA-Achsen-Wiederabschaltung. In diesem Fall wäre keine Behandlung erforderlich.
4. Bleibt der Cortisolspiegel indes über mehrere Tage auf einem erhöhten Niveau im Vergleich zu dem eingangs nach Dexamethasongabe gemessenen Cortisolwert, könnte die HPA-Achse durch eine Einmalgabe von Dexamethason (in der Dosierung, wie sie beim DST erfolgreich war) wieder zur Suppression angeregt werden.
Dexamethason adressiert die GR 30 mal stärker als die MR. Gegebenenfalls wäre eine Kombination mit einem MR-Antagonisten wie z.B. Eplerenon denkbar, wie es in einer Studie zur Behandlung von Rückenschmerzen eingesetzt wurde.2
5. Folgemessungen (anfangs täglich) können überwachen, in welcher Frequenz die HPA-Achse aktiviert wird und auf diesem erhöhten Niveau hängen bleibt.
Diese Idee beruht bislang allein auf theoretischen Überlegungen und folgt alleine aus wissenschaftlicher Sichtweise. Sie wurde in der Praxis bislang nicht getestet.
Eine vereinzelte Behandlung mit Dexamethason sollte keine größeren Risiken haben als die Durchführung von Dexamethasontests. Die Dexamethasongabe sollte theoretisch lediglich die Menge an Cortisol ersetzen, die bei einer gesunden Stressreaktion der HPA-Achse ausgeschüttet wird und die im gesunden Zustand die Wiederabschaltung der HPA-Achse bewirkt.
Während eine dauerhafte niedrigdosierte Cortisolgabe, wie sie bei der Behandlung von Entzündungsproblemen üblich ist, zu einer Downregulation der Corticoidrezeptoren und zu einer Verringerung der Cortisolproduktion durch die Nebennierenrinde führen kann, ist dieses Risiko bei einer seltenen Stoßbehandlung deutlich geringer.
Ab welcher Häufigkeit einer Behandlung mit Dexamethason Risiken entstehen könnten, ist uns nicht bekannt und muss mit angemessener medizinischer Vorsicht berücksichtigt werden.
Die Risiken sind wie stets gegen den Nutzen für die Betroffenen abzuwägen.
Mehr zu Dexamethason bei ADHS unter ⇒ Behandlung von ADHS durch Cortisol / Dexamethason? im Beitrag ⇒ Cortisol und andere Stresshormone bei ADHS.
2. Abgrenzung von einer Dauerbehandlung mit Dexamethason
Während eine kurzfristige Gabe von Dexamethason (ebenso wie eine kurzfristige Gabe von Cortisol) die Aktiviertheit und Konzentration erhöht und die Müdigkeit reduziert, führt eine länger anhaltende Gabe von Dexamethason (bereits binnen 4 Tagen) zu negativer Stimmung wie Ärger und Traurigkeit.3
Eine Gabe von 4 mg Dexamethason oral über 4 Tage an depressive Probanden bewirkte bei 37 % der Probanden eine Verbesserung der depressiven Symptome, im Vergleich zu 8 % bei Placebo.4 Eine Gabe von 3 bis 4 mg Dexamethason pro Tag dürfte beim Menschen rein peripher wirken. In diesen Mengen je kg Körpergewicht überwand Dexamethason bei Ratten die Blut-Hirn-Schranke nicht.5
Für den oben angesprochenen Testaufbau ist eine zentrale Wirkung allerdings entbehrlich, da die letzte Stufe der HPA-Achse, die Nebennierenrinde, peripher als Kappe auf den Nieren sitzt.
https://www.eesom.com/hormonsystem/hypothalamus/crh-mangel/ ↥
Ibrahim, Xie, Strong, Tonello, Berta, Zhang (2018): Mineralocorticoid Antagonist Improves Glucocorticoid Receptor Signaling and Dexamethasone Analgesia in an Animal Model of Low Back Pain. Front Cell Neurosci. 2018;12:453. doi:10.3389/fncel.2018.00453 ↥
Lautenbacher, Gauggel (2013): Neuropsychologie psychischer Störungen, Springer, Seite 138 ↥
Arana GW, Santos AB, Laraia MT, McLeod-Bryant S, Beale MD, Rames LJ, Roberts JM, Dias JK, Molloy M (1995): Dexamethasone for the treatment of depression: a randomized, placebo-controlled, double-blind trial. Am J Psychiatry. 1995 Feb;152(2):265-7. doi: 10.1176/ajp.152.2.265. PMID: 7840362. ↥
Karssen AM, Meijer OC, Berry A, Sanjuan Piñol R, de Kloet ER (2005): Low doses of dexamethasone can produce a hypocorticosteroid state in the brain. Endocrinology. 2005 Dec;146(12):5587-95. doi: 10.1210/en.2005-0501. PMID: 16150912. ↥