Autor: Ulrich Brennecke
Review: Dipl.-Psych. Waldemar Zdero
CDS (Cognitive Disengagement Syndrome) (Bezeichnung bis 2022: SCT, Sluggish Cognitive Tempo{{Becker, Willcutt, Leopold, Fredrick, Smith, Jacobson, Burns, Mayes, Waschbusch, Froehlich, McBurnett, Servera, Barkley (2022): Report of a Work Group on Sluggish Cognitive Tempo: Key Research Directions and a Consensus Change in Terminology to Cognitive Disengagement Syndrome. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry. 2022 Aug 19:S0890-8567(22)01246-1. doi: 10.1016/j.jaac.2022.07.821. PMID: 36007816.}}) wurde früher als eine Art Unterfall oder Extremfall von ADHS-I betrachtet. Diese Auffassung ist zwischenzeitlich überholt. CDS / SCT ist eine eigenständige Störung und tritt bei je rund 25 bis 50 % der Betroffenen mit und ohne komorbides ADHS auf. CDS / SCT ist bislang kein offizielles Störungsbild nach DSM.
Bei vorliegender ADHS-Komorbidität scheint CDS / SCT bei ADHS-HI-Betroffenen ebenso häufig aufzutreten wie bei ADHS-I-Betroffenen.
Den Begriff “verlangsamtes Denken” oder “träges kognitives Tempo” halten wir in Bezug auf CDS / SCT für unzutreffend und unpassend. Wir nehmen eher eine verlangsamte Entscheidungsfindung wahr. Die Fähigkeit zu schnellem Denken ist grundsätzlich gegeben; wir halten – als unverifizierte Hypothese – eine überhäufige Blockade des PFC durch Noradrenalin und ggf. weitere Botenstoffe über den Alpha-1-Adrenozeptor für möglich.
CDS / SCT wird durch verschiedene Symptome gekennzeichnet, darunter Fatigue, Hypoaktivität, Träumerei, Konzentrationsprobleme, schlechtere Schlafqualität, erhöhte Tagesschläfrigkeit, geringere Gedächtnisleistung und verlangsamte Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit.
CDS / SCT kann mit validen Fragebögen diagnostiziert werden und zeigt spezifische neurophysiologische Merkmale. CDS / SCT kann sich auf verschiedene Aspekte des Lebens auswirken, einschließlich der beruflichen Leistung und des sozialen Rückzugs, und wird am besten mit einer multimodalen Therapie behandelt. Atomoxetin zeigte bei CDS / SCT -Symptomen eine signifikante Verbesserung, während SCT-Betroffene auf Methylphenidat häufiger nicht ansprechen sollen.
1. Symptome von CDS / SCT¶
In der nachfolgenden Liste der CDS- / SCT-Symptome benennen die Zahlen, wie häufig das jeweilige Symptom nach Becker et al. bei CDS / SCT auftritt. Etliche der Symptome benennen auch Lee et al. als typisch für CDS / SCT:
- schnell ermüdet oder erschöpft 1,02
- niedriges Aktivitätsniveau, Hypoaktivität 0,97
- starrt ins Leere 0,96
- dösig, schläfrig, gähnt (tagsüber) 0,95
- vergisst, was er/sie sagen wollte 0,94
- Trägheit, langsame Bewegungen 0,92
- schnell verwirrt 0,91
- Im Nebel verloren 0,89
- Tagträume 0,88
- verliert den gedanklichen Faden 0,86
- langsames Denken 0,82
- gerät schnell Durcheinander 0,85
- verliert sich in Gedanken 0,81
- Gedankliches abschalten 0,82
- Schwierigkeiten, Gedanken auszudrücken 0,78
- oft erhebliche Entscheidungsschwierigkeiten (Sluggish – nach unserer Erfahrung)
- soziale Zurückgezogenheit
Ein umfangreicher Reviewartikel fand 13 eigenständige und von ADHS unterscheidbare Symptome für CDS / SCT, die jedoch nicht deutlich genug sind, um diagnostisch genutzt werden zu können.
Eine Studie befand das Adult Concentration Inventory (ACI) als geeignet zur Diagnose von CDS / SCT. Dabei war CDS / SCT eindeutig assoziiert mit:
- stärkere internalisierende Symptome
- Zeitmanagement- und Selbstorganisationsschwierigkeiten
- schlechtere Schlafqualität
- kürzere Schlafdauer
- geringere Schlafeffizienz
- mehr Tagesschläfrigkeit.
CDS / SCT ist nicht gleichzusetzen mit einer verringerten kognitiven Leistungsfähigkeit. Es gibt hochbegabte CDS / SCT-Betroffene. Dies deckt sich mit der Feststellung, dass CDS / SCT nicht mit einer langsamen Verarbeitungsgeschwindigkeit (Processing Speed) korreliert.
Die für den Sluggish-/Underarousal-Subtyp spezifische verlangsamte kognitive Leistung bedeutet nicht, dass die Intelligenz im gleichen Maße verringert wäre. Damit ist gemeint, dass CDS / SCT nicht das bloße Ergebnis einer verringerten Intelligenz ist. Wir kennen mehrere Personen, die wir als CDS / SCT wahrnehmen, die promoviert haben oder anders hochintelligent oder sogar hochbegabt sind. Es scheint vielmehr, als ob Entscheidungsfindungsprozesse verlangsamt oder erschwert ablaufen. Umgekehrt könnte ein hoher IQ die CDS- / SCT-Symptomatik abmildern. Eine Studie bestätigt dies.
Im ADxS.org-Online-SCT-Test (Stand September 2022) zeigte sich deutlich eine negative Korrelation der CDS- / SCT-Symptome mit dem angegebenen höchsten IQ-Testergebnis.
IQ |
Probanden (n) |
CDS / SCT-Symptome (von 26) |
150 und höher |
7 |
13,6 |
140 - 149 |
54 |
13,9 |
130 – 139 |
158 |
15,2 |
120 – 129 |
162 |
15,5 |
110 – 119 |
88 |
15,8 |
100 – 109 |
33 |
16,1 |
90 – 99 |
15 |
16,9 |
80 – 89 |
8 |
16,3 |
Insgesamt 78 (von 381) Probanden mit einem IQ von 120 und mehr hatten 20 CDS / SCT-Symptome und mehr (von 26).
Von insgesamt 2039 Probanden wurden nur die 1640 Probanden einbezogen, die angaben, kein ADHS zu haben oder Ihre Angaben darauf bezogen, wie sie sind, wenn sie keine ADHS-Medikamente einnehmen. Von diesen hatten 524 ihr höchstes IQ-Testergebnis angegeben.
Es ist anzunehmen, dass Probanden mit niedrigeren IQ-Ergebnissen diese seltener angaben. Die Werte in den beiden IQ-Gruppen unter 100 sind aufgrund der niedrigen Probandenzahl mit Vorsicht zu betrachten.
Die Ergebnisse sind insgesamt dadurch limitiert, dass die Probanden aus eigenem Interesse an dem SCT-Onlinetest teilnahmen, der auf ADxS.org verlinkt ist.
Die massive Überrepräsentation von hohen IQ-Werten dürfte aus einer hohen Teilnahmequote von Mitgliedern von Mensa e.V. Deutschland herrühren, einem Verein für Hochbegabte (ab IQ 130).
Datenstand September 2022. (c) ADxS.org
Die Bezeichnung Sluggish Cognitive Tempo scheint daher nicht wirklich treffend. Auch Barkley ist mit der Bezeichnung SCT nicht einverstanden. SCT wurde 2022 in CDS (Cognitive Disengagement Syndrome) umbenannt. Unserer Ansicht nach wäre Sluggish Decisioning möglicherweise passender.
SCT-Betroffene scheitern nach unserem Eindruck als Selbstständige besonders häufig.
2. CDS / SCT als eigenständige Störung¶
CDS / SCT wurde früher als extreme Ausprägung des ADHS-I-Subtyps oder als ADHS-I-ähnlicher Typ mit verlangsamter kognitiver Leistung beschrieben.
Eine steigende Anzahl von Untersuchungen kommt indes zu dem Ergebnis, dass SCT eine eigenständige und von ADHS abgrenzbare Störung ist. Für 13 der 15 SCT-Symptome wurde eine starke Unterscheidungskraft von ADHS-I gefunden.
Eine Studie mit n = 1024 Probanden fand, dass bei ADHS 40 % erhöhte CDS-Symptome zeigten, während bei CDS 60 % ein erhöhtes ADHS-Risiko aufwiesen.
2 Studien fanden Hinweise, dass SCT als eine Gruppe von Symptomen betrachtet werden könnte, die bei verschiedenen psychischen Störungen auftritt. Wurden ADHS, Depression, Angststörung, Schlafstörungen und Alkohol- und Cannabismissbrauch herausgenommen, blieben weniger als 5 % der Probanden übrig, die hohe SCT-Werte aufgewiesen hatten.
Kinder mit ADHS, ASS oder ASS+ADHS (AuADHS) zeigten ähnliche CDS-Symptomwerte. AuADHS-Kinder zeigten jedoch stärkere kognitive CDS-Symptome als Kinder mit ADHS allein. Sowohl die allgemeinen CDS-Merkmale als auch die kognitive CDS-Symptom-Untergruppe waren unabhängig von der Diagnose mit stärkeren sozialen Schwierigkeiten verbunden, insbesondere mit sozialem Rückzug, einem höheren Maß an repetitiven Verhaltensweisen und mehr sensorischen Empfindlichkeiten verbunden.
Eine Metastudie von 9 Untersuchungen fand eine akzeptable bis ausgezeichnete Reliabilität sowie eine hohe strukturelle Validität (hohe Belastung eines SCT-Faktors und niedrige Belastung eines ADHS-HI-Unaufmerksamkeitsfaktors) bei der Mehrheit der SCT-Items.
Eine große Untersuchung von über 2.000 Familien fand, dass bei Kindern lediglich 48 % der SCT-Betroffenen zugleich ADHS und nur 35 % der ADHS-HI-Betroffenen zugleich SCT aufwiesen. Die Betroffenen von SCT ohne ADHS hatten ein höheres Maß an Angstzuständen, Depressionen, Schüchternheit und Schlafstörungen als die ADHS-Betroffenen ohne SCT. ADHS ohne SCT wies dagegen größere Defizite der Exekutivfunktionen und häufigere ODD auf als die SCT-Betroffenen. SCT und ADHS unterschieden sich nicht in Bezug auf Freundschaften sowie soziale oder akademische Beeinträchtigungen.
Die Sluggish Cognitive Tempo Self-Report Scale ist eine valide und zuverlässige Selbstberichtsskala zur Diagnostik von SCT.
SCT und ADHS scheinen jedoch erhebliche Komorbidität aufzuweisen. Ein Bericht spricht davon, dass 30 bis 63 % der ADHS-I-Betroffenen zugleich erhebliche SCT-Symptome besitzen sollen.
Barkley hat bereits Anfang der 2010er Jahre vertreten, dass SCT eine eigene Störung sei, was sich inzwischen bewahrheitet. Er hatte indes Anfang der 2000er Jahre indes ebenso vertreten, dass ADHS-I eine eigene Störung gegenüber ADHS-HI darstelle, was sich nicht bewahrheitete.
Die bisherigen Ergebnisse des ADxS.org-Onlinefragebogens zu SCT (Stand September 2022) deuten ebenfalls darauf hin, dass SCT zwar eine hohe Korrelation zu ADHS insgesamt hat, jedoch weitgehend unabhängig von den Subtypen ADHS-HI / ADHS-C oder ADHS-I besteht. Die Durchschnittsergebnisse der n = 180 Probanden mit ADHS-HI / ADHS-C und der n = 241 Probanden mit ADHS-I sind nahezu identisch (ADHS-HI / ADHS-C: 15,4; ADHS-I: 16,9 von 26 möglichen SCT-Symptomen, wenn sich so beurteilten, wie sie sind, wenn sie keine ADHS-Medikamente nehmen). Beurteilten sich die ADHS-Betroffenen so, wie sie sind, wenn sie ADHS-Medikamente nehmen, ergaben sich bei ADHS-HI-Betroffenen 13,5 Symptome (n = 52, minus 12,3 %), während ADHS-I-Betroffene auf 15,4 Symptome kamen (n = 62, minus 8,9 %). Dies deutet darauf hin, dass ADHS-Medikamente auch einen gewissen positiven Einfluss auf SCT-Symptome haben könnten und dass dieser bei ADHS-Betroffenen mit Hyperaktivität größer ausfällt.
Die n = 33 Teilnehmer dagegen, die angaben, sicher kein ADHS und kein SCT zu haben, erreichten einen Durchschnitts-SCT-Punktwert von 12,5. Bislang gab kein Teilnehmer an, sicher SCT und kein ADHS zu haben. Dies verwundert aufgrund der Unbekanntheit des Störungsbildes nicht.
Männer erreichten im Schnitt 15,7 Symptome (n = 713), Frauen im Schnitt 15,4 Symptome (n = 1.250) von 26 möglichen Symptomen.
Neuere Untersuchungen zeigen, dass sich SCT von ADHS-I in folgenden Punkten unterscheiden soll:
-
SCT korreliert offenbar signifikant häufiger als ADHS-I mit
- späterem Suchtmittelentzug
- Internetabhängigkeit und Internet-Spielstörung
- Angst
- Eine Untersuchung fand dagegen keine Korrelation zwischen SCT und Angstsymptomen.
- Depression
-
Neurotizismus
- erhöhtem BIS
- erhöhtem BAS-Fun-Seeking
-
SCT scheint noch stärker mit späterem internalisierendem Verhalten verbunden zu sein als ADHS-I.
-
SCT soll (anders bzw. stärker als ADHS-I) mit späterer Schüchternheit bzw. internalisierenden Symptomen sowie geringerer Extraversion korrelieren.
- Während in einer Untersuchung Externalisierungssymptome mit Hyperaktivitäts- / Impulsivitätssymptomen von ADHS-HI assoziiert waren, korrelierten die Internalisierungssymptome bei ADHS-betroffenen Kindern und Jugendlichen signifikant mit SCT. Obwohl sozialer Rückzug statistisch signifikant mit ADHS-I und Unaufmerksamkeit korreliert (im Vergleich zu ADHS-HI), wurde diese Beziehung durch den Schweregrad der SCT vermittelt.
-
SCT soll wie auch ADHS-I mit späteren sozialen Schwierigkeiten korrelieren, was jedoch andere Studien nicht bestätigen.
-
SCT zeigt laut einer Studie einen noch größeren sozialen Rückzug als ADHS, was eine andere Studie nur teilweise bestätigt.
-
ADHS-I korrelierte mit späterer schlechterer mathematischer Leistung und langsamerer Verarbeitungsgeschwindigkeit, während SCT konsequenter spätere schlechtere Leseleistung vorhersagte.
-
SCT korrelierte (anders als sonstige ADHS-Symptome) mit Selbstmordtendenzen, was wiederum mit Depressionen korrelierte.
-
SCT zeigte eine geringere Gedächtnisleistung als ADHS-I und Nichtbetroffene.
- Motorische Geschwindigkeit und Reaktionszeiten
-
SCT zeigte im Vergleich zu ADHS-I eine nicht ganz so verringerte psychomotorische Geschwindigkeit und einen besseren neurokognitiven Index.
-
SCT zeigte schnellere Reaktionszeiten als ADHS-I.
- Langsamere psychomotorische Geschwindigkeit und längere Reaktionszeiten korrelierten mit dem Maß der Unaufmerksamkeit.
- Im Gegensatz zu ADHS sei bei SCT die Varianz der Reaktionsgeschwindigkeit nicht erhöht
- Die unbeeinträchtigte Varianz der Reaktionszeiten deckt sich zumindest tendenziell mit einem Bericht, wonach SCT geringere Beeinträchtigungen der (wie die Reaktionszeitenvarianz durch das Arbeitsgedächtnis vermittelten) Exekutivfunktionen aufwies als ADHS.
-
SCT soll, anders als ADHS
- bei Männern wie Frauen gleich häufig auftreten
- bei Erwachsenen genauso häufig auftreten wie bei Kindern und Jugendlichen, auch wenn es etwas später eintritt als ADHS. Es gibt also kein teilweises Verschwinden der Symptome bei einer Teilgruppe der Betroffenen.
- Eine 7-jährige Longitudinalstudie an 639 Zwillingen fand demgegenüber, dass SCT in der Regel nur kurz bestehe (1 – 2 Jahre) und keine bleibenden Nachteile auf akademische Erfolge habe.
-
SCT zeigte gegenüber ADHS Abweichungen bei der HRV, die auf Probleme mit dem Arousal hindeuten könnten. Ausgehend von den Symptomen bei CDS vermuten wir starke Zusammenhänge mit Einschränkungen im Arousal.
-
SCT zeigte eine verringerte Gewissenhaftigkeit.
-
SCT-Betroffene, die zugleich ADHS haben, sollen besonders häufig MPH-Nonresponder sein. Insbesondere erhöhte SCT Sluggish / Sleepy-Faktorwerte sollen auf ein MPH-Nonresponding hindeuten. Weder erhöhte SCT-Daydreamy-Symptome noch der ADHS-Subtyp (ADHS-HI oder ADHS-I) unterschieden sich dagegen in der MPH-Respondingrate (was gegen die diesseitige Hypothese von SCT als Subtyp von ADHS-I spricht).
-
SCT beginnt wie ADHS in früher Kindheit, wobei bei SCT die Symptome nach dem 5. Lebensjahr moderat zunehmen, während Unaufmerksamkeit konstanter blieb. SCT war danach von ADHS zu unterscheiden, wenn auch hochkorrelativ. Geringere elterliche Bildung korrelierte mit erhöhter SCT-Bewertung durch Lehrer. Afroamerikaner hatten höhere Unaufmerksamkeit und niedrigere SCT-Bewertungen der Lehrer.
- Anders als ADHS-I soll SCT keine Merkmale einer emotionalen Dysregulation haben.
- In einer umfangreichen Studie korrelierten SCT-Symptome mit häufigerem
- Gedankenwandern
- Grübeln
- Tagträumen.
Die Studie fand weiter erste empirische Hinweise auf eine einzigartige und robuste Assoziation zwischen SCT-Symptomen und nicht-aufgabenbezogenem Denken, während sie gleichzeitig darauf hindeutet, dass die Verbindung zwischen ADHS-HI und Gedankenwandern weniger robust sein könnte als zuvor angenommen.
-
SCT ist Bezug auf Zeitdarstellung, die Wiederholung von Nicht-Wörtern und das Erinnern von Sätzen´unauffällig. Stattdessen scheint der SGT enger mit Merkmalen einer sozialen (pragmatischen) Kommunikationsstörung verbunden zu sein.
Eine Studie fand bei 10 % der Teilnehmer erhöhte CDS-Symptome und bei 9,2 % erhöhte ADHS-Symptome. Von den wahrscheinlichen ADHS-Fällen hatten 40 % erhöhte CDS-Symptome, während 60 % der Fälle mit erhöhten CDS-Symptomen ein erhöhtes ADHS-Risiko aufwiesen.
Probanden, bei denen CDS- und ADHS-Symptome erhöht waren, hatten zugleich die höchsten Werte für emotionale Dysregulation und Alexithymie. Regressionsanalysen zeigten, dass CDS-Symptome emotionale Dysregulation (47 %) und Alexithymie (32 %) besser vorhersagten als ADHS-Werte (emotionale Dysregulation: 36 %, Alexithymie: 23 %).
3. Neurophysiologische Merkmale von SCT¶
- Die spezifischen SCT-Symptome (sluggish, underarousal) könnten durch ein merkliches Defizit bei der Aufnahme von Dopamin und Noradrenalin verursacht werden.
-
SCT soll mit Inaktivität im superioren Parietallappen (superior parietal lobe, SPL) korrelieren.
- Sluggish Cognitive Tempo soll mit Aufmerksamkeitsproblemen, nicht aber mit Hyperaktivität oder Aggressionsproblemen korrelieren. Ebenso sollen Schlafprobleme seltener sein.
- Sluggish Cognitive Tempo sei – anders als ADHS – nicht im frontalen und frontozentralen Theta-Beta-Verhältnis des EEG auffällig.
-
SCT korreliert nach einer Untersuchung mit beeinträchtigter Informationsverarbeitungskapazität und verlangsamter (visueller) Information Processing Speed.
Eine andere Untersuchung fand keine Korrelation von SCT mit verringerter Information Processing Speed, sondern eine Korrelation mit verringerter Geschwindigkeit des Arbeitsgedächtnisses sowie mit erhöhter Inhibitionsgeschwindigkeit. Es wurde daher eine Kombination aus verlangsamtem Arbeitsgedächtnis und beschleunigter Inhibition vermutet.
- Eine hohe Belastung des Arbeitsgedächtnisses beeinträchtigt die Information Processing Speed erheblich. Dennoch zeigte sich bei ADHS, dass Manipulationen des Arbeitsgedächtnisses die Information Processing Speed ebenso wenig beeinträchtigten wie umgekehrt. Dies deutet darauf hin, dass Arbeitsgedächtnisbeeinträchtigungen und Beeinträchtigungen der Information Processing Speed bei ADHS durch verschiedene Gehirnfunktionsbereiche verursacht werden.
- Ein interessanter Bericht nennt ein partielles Schlafen des Gehirns als mögliche Ursache von manchen SCT-Symptomen oder dem Gedankenwandern.
- Schlafprobleme sind hochkorrelativ mit SCT/CDS
- Jugendliche mit SCT absolvierten den Wechsler Symbol Search and Coding Subtests und den Grooved Pegboard Test. Ihre Eltern berichteten über die Betroffenen keine Symptome, die die Symbolsuche oder die Codierungswerte betrafen, während die Betroffenen selbst signifikant verringerte Codierungswerte berichteten. Eltern wie Betroffene berichteten übereinstimmend von Symptomen, die signifikant mit einer langsameren Grooved Pegboard-Zeit korrelierten. Die Hypothese daraus lautet, dass SCT bei steigenden motorischen Anforderungen klarer mit der Leistung der Verarbeitungsgeschwindigkeitsaufgabe korreliert.
- Eine Studie an Kindern mit ADHS von 8 bis 12 Jahren maß die SCT-Symptome im Verhältnis zu Reaktionen des autonomen Nervensystems unter sozialem und kognitivem Stress. Gemessen wurde die respiratorische Sinusarrhythmie (RSA) und die Reaktivität des Hautleitwerts (SCL). SCT-Symptome korrelierten in keiner Stressvariante mit der RSA-Reaktivität. Bei sozialem Stress durch Ablehnung korrelierten stärkere SCT-Symptome mit einer größeren SCL-Reaktivität. Dieses Muster war unabhängig von ADHS-HI-Symptome, internalisierenden Symptome, Medikamentenstatus oder Geschlecht. Die Autoren schließen daraus auf eine Verbindung zwischen SCT-Symptomen und der Reaktivität des sympathischen Nervensystems und einer größeren Aktivierung des BIS.
Unter 169 Kindern und Jugendlichen mit Spina bifida (SB, offener Rücken) fand sich bei 18 % ein SCT. Die Studie replizierte die von Penny vorgeschlagene 3-Faktoren-Struktur der SCT mit den Komponenten langsam, schläfrig und Tagträumer. Langsam überschnitt sich stark mit Unaufmerksamkeit, schläfrig und Tagträumer unterschied sich deutlich von Unaufmerksamkeit und internalisierenden Symptomen. Eine Myelomeningozele (angeborene Fehlbildung des Rückenmarkes durch mangelnden Verschluss des Neuralrohres mit offenen Wirbelbögen und Ausstülpung des Durasackes) und das Vorhandensein eines Shunts (Kurzschlussverbindung mit Flüssigkeitsübertritt zwischen normalerweise getrennten Gefäßen oder Hohlräumen) korrelierten mit stärkeren SCT-Symptomen.
4. Medikation bei SCT¶
- In einer Untersuchung verbesserte Atomoxetin bei SCT 7 von 9 Symptomen des Kiddie-Sluggish Cognitive Tempo Interview (K-SCT) signifikant. Die Symptomverbesserung bei SCT war völlig unabhängig von den ADHS-Symptomen. Dies spricht ebenfalls dafür, dass SCT eine eigenständige Störung ist oder eine eigenständige Störungsursache hat und neben ADHS bestehen kann.
-
SCT-Betroffene sind laut einer Untersuchung besonders häufig MPH-Nonresponder; ADHS-HI und ADHS-I unterschieden sich dagegen in der MPH-Respondingrate in dieser Untersuchung nicht, was umstritten ist.
- Eine Studie fand eine Verbesserung der SCT-Symptome durch MPH nur in Bezug auf die Schulumgebung. Tagträumerei und Oppositionelles Verhalten korrelierte mit einer geringeren MPH-Response bei SCT.
- Die Ergebnisse des ADxS.org SCT-Onlinetests deuten darauf hin, dass ADHS-Medikamente eine gewisse Verbesserung in Bezug auf SCT-Symptome bewirken könnten (siehe oben).