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Motivation lässt sich in Bezug auf ADHS unterteilen in1
interne Motive
bestimmen die Richtung des Verhaltens
Ausrichtung auf ein Ergebnis oder Ziel
Energie
bestimmt die Intensität oder Stärke des Engagements
Ausdauer
zeitliche Ausdauer des Engagements
Die internen Motive (Bedürfnisse, Kognitionen, Emotionen) dienen dabei als Vermittler zwischen externen Auslösern einerseits und dem Verhalten / der Leistung andererseits.2
Die Motivation bei ADHS-Betroffenen weist Abweichungen im Vergleich zu Nichtbetroffenen auf. Die Motivation ist nicht an sich gestört, sondern unterliegt einem anderen Regulationsmodus. Die Motivierbarkeit bei ADHS ist insgesamt geringer und dafür stärker auf die Befriedigung eigener Bedürfnisse ausgerichtet als bei Nichtbetroffenen. Untersuchungen zeigen, dass die Motivierbarkeit bei ADHS durch intrinsische und extrinsische Anreize beeinflusst werden kann.
Die intrinsische Motivierbarkeit scheint ebenfalls abgeschwächt zu sein. Eine verringerte neurophysiologische Reaktion auf antizipierte Belohnungen und eine erhöhte Reaktion auf erhaltene Belohnungen erklären die Verschiebung der Motivierbarkeit in Richtung sofort verfügbarer Belohnungen. Belohnungen können die Reaktionszeiten und Antwortvariabilität bei ADHS beeinflussen.
Inhibitionsprobleme und Arbeitsgedächtnisprobleme bei ADHS können durch Belohnungen verbessert werden, jedoch erreichen Betroffene oft nicht das Niveau von Nichtbetroffenen. Die Motivationsprobleme bei ADHS haben ebenfalls Auswirkungen auf Frustrationsintoleranz, Ungeduld, Prokrastination und emotionale Dysregulation.
ADHS-Betroffene benötigen im Schnitt signifikant höhere extrinsische (von außen einwirkend, z.B. Belohnungen, Zwänge, drohende Strafen) oder intrinsische (aus sich selbst / aus der Sache selbst heraus) Anreize als Nichtbetroffenen, um dieselbe persönliche Motivation zu erzielen. Wir meinen, dass das dazu führt, dass die Motivation bei ADHS (etwas) stärker auf die Befriedigung eigener Bedürfnisse gelenkt ist und schwächer von Bedürfnissen anderer geleitet wird als bei Nichtbetroffenen. Was von außen aussehen mag wie ein leicht erhöhter Egoismus, ist indes eine unbewusste Verschiebung dessen, was die individuelle Motivation wecken kann und unterliegt keiner bewussten Steuerbarkeit durch die Betroffenen.
Motivation steuert die Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit funktioniert bei ADHS anders als bei Nichtbetroffenen, ist aber nicht insgesamt gestört. Aufmerksamkeit ist bei ADHS stärker von hoher Individualmotivation abhängig. Auch bei ADHS kann die Aufmerksamkeit - bei entsprechender Motivation - sehr fokussiert und lang anhaltend sein.
Das Problem liegt darin, dass ADHS-Betroffene ihre Motivation sehr viel schlechter steuern können als Nichtbetroffene.
Es gibt zahlreiche Studien, die die Motivationsdefizite bei ADHS belegen. Kinder und Jugendliche mit ADHS zeigen oft Schwierigkeiten bei der Aufrechterhaltung von Motivation und Arbeitsverhalten. Diese Probleme können sich auch auf schulische Leistungen und langfristige Funktionsfähigkeit auswirken. Die Motivationsdefizite bei ADHS betreffen sowohl die extrinsische Motivation (Anreize von außen) als auch die intrinsische Motivation (eigenes Interesse und Freude an einer Tätigkeit). Einige Studien deuten darauf hin, dass die Motivationsdefizite bei ADHS mit einer verminderten Aktivierung des Belohnungssystems im Gehirn zusammenhängen.
Die Untersuchungen belegen auch, dass andere Faktoren wie Frustrationstoleranz, Impulsivität und emotionale Instabilität die Motivation bei ADHS beeinflussen können. Zusätzlich können individuelle Unterschiede in der Stressbewältigung und in der Verarbeitung von Belohnungssignalen eine Rolle spielen.
Neurologische Untersuchungen haben gezeigt, dass bei ADHS-Patienten die Dopaminspiegel im Gehirn verringert sind und die Aktivierung im Nucleus accumbens, einer Region, die an der Verarbeitung von Belohnungen beteiligt ist, vermindert ist, wenn eine Belohnung erwartet wird. Bei erhaltener Belohnung ist die Aktivierung dagegen erhöht. Diese Veränderungen in der Motivation bei ADHS ähneln denen bei chronischem Stress. Die Stresshypothese besagt, dass die Symptome von ADHS und chronischem Stress durch ähnliche neurophysiologische Mechanismen vermittelt werden. Insbesondere ein Mangel an Dopamin und Noradrenalin in bestimmten Regionen des Gehirns wie dem dlPFC, Striatum und Cerebellum spielt dabei eine Rolle.
Die Kenntnis der neurophysiologischen Grundlagen von Motivation bei ADHS kann dazu beitragen, bessere diagnostische und therapeutische Ansätze zu entwickeln. Interventionen könnten etwa zur Verbesserung der Motivation bei ADHS darauf abzielen, die Aktivierung des Belohnungssystems im Gehirn zu steigern oder Stressbewältigungsstrategien zu vermitteln.
Der Zusammenhang zwischen Unaufmerksamkeit und (schlechten) akademischen Leistungen wird durch das Maß gleichzeitiger intrinsischer Motivation und verhaltensbezogenem Engagement erklärt, nicht aber durch das Maß gleichzeitig auftretender Hyperaktivität/Impulsivität, Verhaltensprobleme oder Angstzustände.6
Die Motivation bzw. Motivierbarkeit ist (wie auch die Aufmerksamkeit) bei ADHS nicht an sich gestört, sondern unterliegt einem anderen Regulationsmodus / Steuerungsprofil. Bei besonders hoher Motivation sind ADHS-Betroffene (auch in Aufmerksamkeitstest) kaum von Nichtbetroffenen zu unterscheiden. Der Unterschied liegt vielmehr in der geringeren Selbstmotivierbarkeit, die von außen leicht mit einem Unwillen, Faulheit verwechselbar ist.
Wir vermuten, dass die Motivierbarkeit stärker auf die Befriedigung eigener Bedürfnisse ausgerichtet ist als bei Nichtbetroffenen.
Dies wäre für uns eine logische Folge davon, dass die Symptome von ADHS durch dieselben neurophysiologischen Pfad wie die Symptome von chronischem Stress vermittelt werden (vornehmlich verringerte Dopamin- und Noradrenalinspiegel in dlPFC, Striatum und Cerebellum). Ein Stressnutzen ist eine erhöhte Sicherung des eigenen Überlebens. In diesem Kontext wäre eine Tendenz zu einer Priorisierung egoistischer Verhaltensweisen zu erwarten. Bisher haben wir nur sehr wenige Untersuchungen gefunden, die sich mit ADHS und Egoismus beschäftigt. Eine Studie an 90 ADHS-betroffenen Erwachsenen fand einen deutlich erhöhten Egozentrismus.7 Eine weitere Untersuchung fand eine schwache Korrelation zwischen Egoismus/Narzissmus (sowie callous unemotional traits) und ADHS.8
Nicht gemeint, aber möglicherweise korrelierend, ist, dass ADHS-Betroffene offenbar schlechter die (visuelle) Perspektive eines Gesprächspartners einnehmen können.9
Eigene Bedürfnisse können durch intrinsische Motivation / Interessen, bei denen die Sache selbst das Interesse / die Motivation des Individuums weckt, ebenso adressiert werden wie durch extrinsische Motivation / extrinsisches Interesse (Zwänge, drohende Strafen, Belohnungen).
Hypothese der Verschiebung der Motivierbarkeit in Richtung intrinsischer Bedürfnisse fraglich / bislang nicht belegt
Wir hatten bisher angenommen, dass die intrinsische Motivierbarkeit weniger stark beeinträchtigt ist und die Motivierbarkeit in Richtung intrinsischer Motivation verschoben wäre. Untersuchungen bestätigen dies bislang nicht, wobei es bislang wohl nur Untersuchungen in Bezug auf akademische intrinsische Motivation bei ADHS gibt.
Was sich allerdings zeigt, ist eine verringerte neurophysiologische Reaktion auf antizipierte (erwartete) Belohnungen und eine erhöhte neurophysiologische Reaktion auf erhaltene Belohnungen, was die Verschiebung der Motivierbarkeit in Richtung sofort verfügbarer Belohnungen und die damit verbundene Abwertung entfernter Belohnungen (Reward discounting) erklären dürfte.
Für unsere Hypothese, dass dies mit einer Verschiebung der Motivierbarkeit in Richtung der Befriedigung persönlicher Bedürfnisse einhergeht, haben wir bisher noch keine Untersuchungen gefunden.
1.1. Motivierbarkeit durch extrinsische / intrinsische Anreize¶
1.1.1. Extrinsische Motivierbarkeit bei ADHS abgeschwächt¶
Wie viele Untersuchungen zeigen, ist bei ADHS die extrinsische Motivierbarkeit gegenüber Nichtbetroffenen abgeschwächt. Extrinsische Anreize müssen daher bei ADHS in der Regel deutlich höher sein als bei Nichtbetroffenen, um das gleiche Maß an Motivation zu wecken.10
Dieser Beitrag enthält im Folgenden viele Verweise auf Quellen, die zeigen, dass bei ADHS erhöhte extrinsische Anreize in der Lage sind, durch die damit erreichte Motivation verschiedene Symptome so zu verringern, dass sie nicht mehr viel deutlicher in Erscheinung treten als bei Nichtbetroffenen oder gar das Niveau von Nichtbetroffenen erreichen, z.B. (Dauer-)Aufmerksamkeit, Inhibition (Impulsivitätsunterdrückung), Teile des Arbeitsgedächtnisses und tendenziell wohl auch Frustrationsintoleranz. Für die meisten weiteren ADHS-Symptome wurde die Wirkung von durch erhöhte Anreizen geschaffene Motivation noch nicht untersucht.
1.1.2. Intrinsische Motivierbarkeit bei ADHS ebenfalls abgeschwächt¶
Eine Untersuchung zur (akademischen) intrinsischen Motivierbarkeit bei ADHS fand, dass diese ebenfalls abgeschwächt zu sein scheint, was ADHS-C und ADHS-I gleichermaßen betreffe.11 Eine andere Untersuchung fand, dass bei Jugendlichen mit ADHS die akademische intrinsische Motivierbarkeit mit d= 0,49 noch etwas deutlicher abgeschwächt sei als die akademische extrinsische Motivierbarkeit mit d = 0,43 (jeweils im Vergleich zu Nichtbetroffenen).12
Eine weitere Studie stellt die Hypothese auf, dass eine langsamere Ereignisrate bei Tests bei ADHS-Betroffenen aufgrund deren Besonderheiten bei der Motivierbarkeit eine verringerte intrinsische Motivation bewirkt.13 Die Autoren weisen weiter darauf hin, dass unter bestimmten Umständen ein externer Anreiz die intrinsische Motivation eines Individuums untergraben kann. Dieser allgemein gut untersuchte Effekt wurde bislang aber nicht bei ADHS-Betroffenen überprüft.
Ein Bericht thematisiert die Bedeutung intrinsischer (internaler) Motive bei ADHS und ihre Erfassung durch die Self Determination Theory (SDT).2
1.2. Belohnungssensitivität nach Verhalten / Aktivität des autonomen Nervensystems¶
Belohnungssensitivität kann unterteilt werden in externe Belohnungssensitivität, definiert als verhaltensbasierte Annäherungsmotivation als Reaktion auf Belohnung (d.h. belohnungssuchendes Verhalten)14, und interne Belohnungssensitivität, definiert als Schwelle des Nervensystems für die Reaktion auf Belohnung, indexiert über die Aktivität des sympathischen Nervensystems, des Nucleus accumbens oder dopaminerger fronto-striataler Gehirnregionen)15.
In Bezug auf die verhaltensbasierte Belohnungssensitivität bei Kindern mit ADHS deuten die Ergebnisse auf eine erhöhte Belohnungssensitivität bei ADHS hin, wobei hohe Belohnungen eine sehr große Wirkung zeigen und sofortige Belohnungen deutlich bevorzugt werden.16 Einige Studien schlossen bei Kindern mit ADHS auf eine erhöhte verhaltensbasierte Belohnungssensitivität aufgrund
einer Präferenz für kleine sofortige Belohnungen im Vergleich zu größeren verzögerten Belohnungen17
Eine Studie fand anhand des Balloon analogue risk tasks (BART) eine um 27 % verringerte verhaltensbasierte Belohnungssensitivität bei ADHS (5,0 Pops) gegenüber Nichtbetroffenen (6,35 Pops), was sich unserer Ansicht nach nicht mit der Bewertung der Autoren deckt, es seien hier keine Unterschiede festzustellen. Die verringerte verhaltensbasierte Belohnungssensitivität bei ADHS zeigte sich auch in der Messung der PEP (bei ADHS verlängert) und der RSA (HRV verringert).24
1.2.2. Reaktionsschwelle des autonomen Nervensystems¶
In Bezug auf die neurophysiologische Belohnungssensitivität bei Kindern mit ADHS deuten die Ergebnisse auf eine veränderte Reaktionsschwelle des autonomen Nervensystems bei ADHS hin.25 Die PEP zeigte sich bei ADHS verlängert und die RSA (HRV) verringert.24
PEP und RSA: was sie bedeuten
Die PEP repräsentiert die mesolimbische Dopamin-Reaktivität insbesondere während der Belohnungsreaktion.26 Eine längere PEP ist ein Marker für eine verringerte Aktivität des Sympathikus, auch wenn dies noch von weiteren Faktoren mitbestimmt werden kann.27
Die respiratorische Sinusarrhythmie (RSA) besteht aus oszillatorischen Erhöhungen und Senkungen der Herzfrequenz während des Atemzyklus. Sie repräsentiert parasympathische / vagale Wirkungen auf das Herz. Die RSA soll den neuronalen Verkehr durch den Vagusnerv repräsentieren28. Der Vagusnerv soll einen physiologischen Mechanismus für die schnelle Beschleunigung und Verlangsamung der Herzleistung (Herzratenvariabilität, HRV) als Reaktion auf (auch soziale) Umweltanforderungen darstellen.29
1.3. Welche Motive motivieren welchen ADHS-Subtyp?¶
Die ADHS-Subtypen scheinen sich in Bezug auf die Anreize, die ihre Motivation erhöhen können, zu unterscheiden. Eine Hypothese dazu lautet, dass den verschiedenen ADHS-Subtypen unterschiedliche Anreize zur Verbesserung ihrer Motivation helfen könnten. ADHS-C, der (wie der überwiegend hyperaktive ADHS-HI-Subtyp) kompetitivere Charakterzüge trage, solle durch die Verwendung von spielartigen Lernansätzen und die öffentliche Anerkennung seiner Leistung besser gefördert werden, während der überwiegend unaufmerksame ADHS-I-Subtyp, der kooperativere Charakterzüge trage und häufiger durch die eigene intrinsische Neugier abgelenkt sei, eher durch kooperative Lernformen und soziales Feedback motiviert werde. Dies betrifft insbesondere Unterrichtsinterventionen und den Stil der didaktischen Unterstützung beim Lernen.11
In Studien zum Verhalten bei Belohnungen werden nach Art (z. B. Geld, Geschenke, Punkte, Computerspiele) und Intensität der Verstärkung (z. B. 5 ct, 25 ct, 1 Punkt, 100 Punkte) unterschiedliche Anreize verwendet.30
Dass manche Untersuchungen keine Veränderung der Symptomatik bei ADHS durch Belohnungen fanden, könnte möglicherweise mit daran gelegen haben, dass die jeweiligen Belohnungen das individuelle Interesse nicht ausreichend wecken konnten.30. Die Untersuchung der Autoren zum Arbeitsgedächtnis bei ADHS fand indes auch bei sehr hohen Belohnungen zwar eine signifikante Verbesserung, jedoch keine völlige Egalisierung der Arbeitsgedächtnisleistungen im Vergleich zu Nichtbetroffenen.
Monetäre Belohnungen zeigen in der Regel den stärksten motivationalen Anreiz.
Eine Untersuchung fand, dass soziale Belohnung die Impulsivität zwar relativ stärker verbesserte als bei Nichtbetroffenen, jedoch war auch hier monetäre Belohnung bei ADHS-Betroffenen wie Nichtbetroffenen der stärkste Motivator.31
Als Belohnungen scheinen (bei Frauen) monetäre Anreize besser zu wirken als zu vermeidende Strafen durch verbales Feedback.32
2. Aufmerksamkeit bei ADHS: nicht gestört, sondern anders¶
Die Aufmerksamkeit bei ADHS unterscheidet sich erheblich von der von Nichtbetroffenen. Dennoch ist bei ADHS die Aufmerksamkeitsfähigkeit an sich nicht beeinträchtigt. Auch die Lenkbarkeit selbst ist unverändert – die Aufmerksamkeit bei ADHS kann sehr fokussiert sein (Stichwort: Taskwechselprobleme, Hyperfokus) oder leicht wechseln (Stichwort: Ablenkbarkeit).
Die Aufmerksamkeit unterscheidet sich bei ADHS von Nichtbetroffenen dadurch, dass ihre Lenkung einem anderen Steuerungsprofil unterliegt. ADHS korreliert mit einer verringerten neurophysiologische Reaktion auf antizipierte (erwartete) Belohnungen und einer erhöhten neurophysiologischen Reaktion auf erhaltene Belohnungen, was die Verschiebung der Motivierbarkeit in Richtung sofort verfügbarer Belohnungen und die damit verbundene Abwertung entfernter Belohnungen (Reward discounting) erklärt.
Wir vertreten die Hypothese, dass die Aufmerksamkeitslenkung bei ADHS stärker von einer hohen Individualmotivation abhängig ist. Ist etwas persönlich hochinteressant, kann die Aufmerksamkeit gut bei dieser Sache bleiben, ist es nicht sehr interessant, wechselt die Aufmerksamkeit leichter als bei Nichtbetroffenen. Die Aufmerksamkeitslenkung ist bei ADHS sehr viel stärker von der Befriedigung der eigenen Bedürfnisse abhängig als bei Nichtbetroffenen. Dies ist jedoch kein Egoismus, sondern eine veränderte Steuerung der Motivation, auf die die Betroffenen keinen Einfluss haben.
Was von aussen aussieht wie ein “Du kannst doch, wenn Du willst”, ist in Wirklichkeit ein “Ich kann nicht wollen, wie ich soll”.
Nichtbetroffene unterliegen demselben abweichenden Aufmerksamkeitssteuerungsprofil, wenn sie sich in schwerem akuten oder chronischen Stress befinden. Für derartige Notfälle (z.B. in lebensgefährlichen Situationen) ist ein solches Aufmerksamkeitsmuster hilfreich und war die letzten Jahrhunderttausende nützlich beim Überleben.
Das Problem bei ADHS sehen wir darin, dass dieses Aufmerksamkeitssteuerungsprofil dauerhaft aktiviert ist, obwohl keine entsprechend lebensbedrohliche Situation besteht.
Auch wenn es zunächst denklogisch erscheint, dass eine Abschwächung der Motivierbarkeit damit einhergeht, dass Dinge, die persönlich interessieren relativ in den Vordergrund treten, konnten wir für die Hypothese, dass die Motivierbarkeit sich in Richtung persönlicher Interessen verschiebt, bislang keine wissenschaftlichen Belege finden lassen.
Brown bezeichnet die interessengesteuerte Veränderung der Aufmerksamkeit für ADHS als Tendenz, die Aufmerksamkeit exzessiv auf Dinge auszurichten, die interessieren.33 Angst und Depression unterliegen einer ähnlichen Wahrnehmungsverzerrung in Richtung der beunruhigenden / beängstigenden Themen.3435
Bei ADHS ist die Deaktivierung des Default Mode Networks (DMN), das bei aktivierter Aufmerksamkeit auf externe Reize deaktiviert wird, verringert. Interessante Belohnungen wie Stimulanzien sind in der Lage, die Deaktivierung des DMN bei ADHS-Betroffenen derjenigen von Nichtbetroffenen anzugleichen.36
Die fokussierbare Aufmerksamkeit von ADHS-Betroffenen zeigt sich auch darin, dass diese bei ADHS-Tests die gleiche Leistung wie Nichtbetroffene erreichen können, wenn diese ein hohes persönliches Interesse am Test haben. Dies führt häufig zu falsch negativen Testergebnissen. (Extrinsische) Belohnungen, die hoch genug sind, um persönliches Interesse zu wecken, bewirken dasselbe Ergebnis.3738394041
Eine Untersuchung fand, dass häufige Verstärkung die Unterschiede der Daueraufmerksamkeit zwischen ADHS-Betroffenen und Nichtbetroffenen nivellierte, während seltene Verstärkung die Unterschiede bestehen ließ. Dies habe insbesondere die jüngeren Kinder betroffen.42
Mehr hierzu unter ⇒ ADHS-Betroffene bei entsprechendem Interesse in Tests so gut wie Nichtbetroffene
Dass ein zu wenig anregendes Umfeld (Unteraktivierung) auch bei Gesunden Unaufmerksamkeit hervorrufen kann, z.B. bei Hochbegabten in nicht begabungsadäquaten Schulen,43 dürfte dagegen nicht auf einem veränderten Steuerungsprofil der Aufmerksamkeit beruhen, sondern auf einer Unterforderung, die Langeweile verursacht.
2.1. Taskwechselprobleme und Ablenkbarkeit bei ADHS¶
Wird etwas individuell besonders interessantes (hohe Individualmotivation) getan, entstehen Taskwechselprobleme. Die Aufmerksamkeit wird stark absorbiert und ein Wechsel der Aufmerksamkeit auf andere Dinge ist erschwert. Als Zustand wird dies im Extrem Hyperfokus genannt, das daraus folgende Symptom sind Taskwechselprobleme.
Ist die aktuelle Tätigkeit nicht individuell besonders interessant, ist dagegen die Ablenkbarkeit erhöht. Die Aufmerksamkeit ist dann wenige fokussiert und richtet sich leicht auf neue Reize aus.
3. Inhibitionsprobleme verschwinden bei hoher Individualmotivation¶
Auch Impulsivität bei ADHS (Inhibitionsfähigkeit) ist durch Belohnungen beeinflussbar.44 Belohnungen führten bei Kindern mit ADHS zu Ergebnissen im Stop-Task, die denen der Kontrollen entsprachen, während dieselben Belohnungen bei Kindern mit Gehirnverletzungen die Inhibition weniger stark verbesserten.45 Die Belohnung für einen erfolgreichen Stop-Task bestand hier in einem unmittelbaren positiven Feedback auf dem Bildschirm (z.B. “Gut gemacht” / “Super” / “Mach weiter so”) und einem Punkt, der dem Punktekonto zugefügt wurde, wobei die Kinder die Punkte nach dem Test in Süßigkeiten oder kleine Spielzeuge umwandeln konnten.
Eine weitere Untersuchung fand ebenfalls eine identische Inhibitionsfähigkeit von ADHS-Betroffenen und Nichtbetroffenen bei hohen Belohnungen.46
Eine andere Untersuchung fand eine stärkere Verbesserung der Inhibition und Daueraufmerksamkeit bei ADHS-Betroffenen als bei Nichtbetroffenen,31 eine weitere Untersuchung fand keine Verbesserung der Inhibitionsfähigkeit durch Belohnungen.47 Die Belohnung waren hier 25 Dollarcent für eine erfolgreiche Inhibition in einem modifizierten Stop-Task-Test bei zugleich einem Verlust von 10 Dollarcent für einen fehlerhaften Testdurchgang. Denkbar wäre, dass die Form der Belohnung in diesem Test keine ausreichende Individualmotivation wecken konnte.
Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass Belohnungen die Inhibitionsfähigkeit nicht nur bei ADHS, sondern auch bei Substanzmissbrauch oder Spielsucht verbessern.48
Eine Übersichtsarbeit fasst zusammen, dass bei ADHS Impulsivität mit einer verringerten Aktivität des Striatums während der Belohnungserwartung korreliert, während bei Gesunden Impulsivität mit einer erhöhten Aktivität des Striatums während der Belohnungserwartung verbunden ist.49
4. Belohnung verbessert Arbeitsgedächtnis und Dauerleistung bei ADHS¶
ADHS ist mit einer Beeinträchtigung des Arbeitsgedächtnisses verbunden.
In einer Untersuchung zeigten Kinder mit ADHS deutliche Verbesserungen des Arbeitsgedächtnisses bei Belohnungen, erreichten aber selbst bei den stärksten Belohnungen (10 € und Gaming) nicht das Niveau von Nichtbetroffenen. Nur bei Kindern mit ADHS zeigte sich ein Nachlassen der Leistung über die Testdauer. Hohe Belohnungen konnten dieses Nachlassen der Leistung jedoch beseitigen.30
Eine Untersuchung fand, dass bei Kindern ADHS-C Belohnungen (Feedback nach jedem Durchgang und gegen Preise einlösbare Punkt) das visuell-räumliche Arbeitsgedächtnis bezüglich der Manipulation der gespeicherten visuell-räumlichen Information (backward span) verbessern konnten. Dagegen fand sich bezüglich der Speicherung von visuell-räumlicher Information (forward span) keine Verbesserung. Ein Vergleich mit Nichtbetroffenen erfolgte nicht.50
Eine weitere kleine Untersuchung fand ebenfalls Verbesserungen des visuell-räumlichen Arbeitsgedächtnisses durch extrinsische Belohnung.51
Eine Untersuchung fand, dass die bei den ADHS-Probanden bei niedrigen Belohnungen in den ersten Testdurchgängen noch feststellbare Frustration bei höheren Belohnungen nicht mehr auftrat.41 Eine andere Untersuchung fand keine Verbesserung der Frustrationstoleranz bei ADHS durch Belohnungen.52
6. Ungeduld und Prokrastination bei ADHS: Motivation unterscheidet¶
Dinge mit hoher persönlicher Motivation müssen für ADHS-Betroffene jetzt sofort passieren. Ungeduld und nicht warten können, sind typische Folgen davon.
Dinge, für die eine niedrige persönliche Motivation besteht, werden dagegen häufiger prokrastiniert als durch Nichtbetroffene, wie z.B. das Öffnen von unerfreulicher Post (anders als der ersehnte Berief eines geliebten Menschen), die Steuererklärung oder den Müll hinuntertragen.
Dieses Muster besteht bei allen Menschen in einem gewissen Maße. Bei ADHS ist es indes drastisch erhöht und führt zu dysfunktionalen Ergebnissen.
7. Emotionale Dysregulation und Belohnungserwartung¶
Emotionale Instabilität korrelierte in einer Studie an Gesunden mit einer verringerten Aktivierung des Striatums bei Belohnungserwartung nur bei Frauen, nicht aber bei Männern.53
In einem Go/Nogo-Task reagierten Kinder mit ADHS langsamer und variabler als ihre nicht betroffenen Geschwister oder Kontrollen. Eine langsamere Ereignisrate verringerte die Leistung der ADHS-Betroffenen nicht. Unter Belohnung zeigten nur die ADHS-Betroffenen und ihre nicht betroffenen Geschwister beschleunigte mittleren Reaktionszeiten und eine geringere Antwortvariabilität, nicht aber die Kontrollen, während die Genauigkeit sich in allen 3 Gruppen verbessert. Männer reagierten schneller und zeigten mehr Fehlalarme, unabhängig vom ADHS-Status.54
9. Belohnung und Motivation bei anderen ADHS-Symptomen¶
Bis 2013 hatte keine veröffentlichte Studie den Einfluss von Belohnungen auf die Delay Discounting bei ADHS untersucht.55
Es ist bekannt, dass Kinder mit ADHS keine Symptome von Aufmerksamkeitsproblemen, Ablenkbarkeit oder Hyperaktivität zeigen, wenn sie eine intrinsisch stark motivierende Tätigkeit ausüben (z.B. Computerspiele).
Die Veränderungen der Motivation bei ADHS einschließlich der diesen zugrunde liegenden neurophysiologischen Korrelate (verringerte Dopaminspiegel / verringerte Aktivierung im Nucleus accumbens bei antizipierter Belohnung und erhöhte Aktivierung de Nucleus accumbens bei erhaltener Belohnung) entspricht derjenigen bei chronischem Stress. ⇒ Neurophysiologische Korrelate von Belohnung bei ADHS
Dies deckt sich mit der von uns vertretenen Hypothese, dass die Symptome von ADHS und die Symptome von chronische Stress durch sehr ähnliche neurophysiologische Mechanismen vermittelt werden (vornehmlich Dopamin- und Noradrenalinmangel in dlPFC, Striatum und Cerebellum).
Barkley (2015). ADHD as a Motivation Deficit Disorder. In Barkley (Herausgeber): Attention-deficit hyperactivity disorder: A handbook for diagnosis and treatment (pp. 22–23). ↥
[Humphreys, Lee (2011): Risk Taking and Sensitivity to Punishment in Children with ADHD, ODD, ADHD+ODD, and Controls. J Psychopathol Behav Assess. 2011;33(3):299-307. doi: 10.1007/s10862-011-9237-6. PMID: 33132494; PMCID: PMC7597674.](https://www.ncbi.nlm.nih.gov/labs/pmc/articles/PMC7597674/ ↥
[Ritz (2009): Studying noninvasive indices of vagal control: the need for respiratory control and the problem of target specificity. Biol Psychol. 2009 Feb;80(2):158-68. doi: 10.1016/j.biopsycho.2008.08.003. PMID: 18775468.](https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/18775468/ ↥