1. Netzwerkkonnektivität bei ADHS¶
Etliche Untersuchungen analysierten die Konnektivität verschiedener Gehirnnetzwerke bei ADHS.
Eine Studie verglich 4 dieser Untersuchungen und fand große Inkonsistenzen. Als belastbar erwies sich eine abweichende Konnektivität zwischen Default Mode Network und Exekutivnetzwerk bei ADHS. Weiter war die Konsistenz der Ergebnisse bei ADHS-C am größten. Möglicherweise weisen die verschiedenen ADHS-Subtypen erhebliche Unterschiede in ihrer Konnektivität der Gehirnnetzwerke auf.
Eine Untersuchung erreichte mittels einer durch maschinelles lernen gesteuerten Analyse der funktionalen Konnektivität eine Genauigkeit der ADHS-Diagnostik von 73 % (Spezifität 91.6 %, Sensitivität 65.5 %). Das sind in der Praxis für eine Diagnostik noch wenig hilfreiche Werte.
1.1. Frontal-parietales Aufmerksamkeitsnetzwerk bei ADHS¶
Das frontal-parietale Aufmerksamkeitsnetzwerk ist an kognitiven Prozessen beteiligt, insbesondere an der Aufmerksamkeit.
1.1.1. Verringerte Konnektivität innerhalb des dorsalen frontoparietalen Exekutivnetzwerks¶
Eine Untersuchung berichtet von einer verringerten Konnektivität im dorsalen frontoparietalen Exekutivnetzwerk, bestehend aus
- rechtem dlPFC
- hinterem parietalem Cortex
die mit der Schwere der Aufmerksamkeitsprobleme bei ADHS korreliert. Diese Korrelation war unabhängig von Alter oder Geschlecht.
Eine erhöhte Konnektivität ging zudem mit erhöhter Aufmerksamkeit und besserer Genauigkeit bei NoGo-Aufgaben einher.
Eine Untersuchung fand keine Korrelate der Netzwerkkonnektivität in Bezug auf das Symptom der kognitiven Flexibilität, die Unterschiede zwischen Autismusspektrumsstörungen, ADHS oder Nichtbetroffenen offenbart hätten.
1.1.2. Veränderte Struktur des frontal-parietalen Aufmerksamkeitsnetzwerk¶
ADHS-betroffene Kinder zeigten im frontal-parietalen Aufmerksamkeitsnetzwerk im Vergleich zu Nichtbetroffenen
- einen größeren Durchmesser
- eine geringere Blattzahl,
- eine niedrigere Baumhierarchie
- ein niedrigeres Kappa
was zugleich mit dem ADHS-Symptom-Score korrelierte.
- Clustering-Koeffizient und
- Pfadlänge
waren unverändert.
Bei Kindern mit ADHS könnte das frontal-parietale Aufmerksamkeitsnetzwerk möglicherweise stärker dezentral organisiert (linienähnliche Topologie) und weniger zentral (sternähnliche Topologie) organisiert sein. Dies scheint bei ADHS eine zufälligere Vernetzung mit einer beeinträchtigten globalen Effizienz und Netzwerkdezentralisierung zu bewirken.
1.1.3. Veränderte Konnektivität des frontal-parietalen Aufmerksamkeitsnetzwerk zu anderen Gehirnnetzwerken¶
Eine Metaanalyse fand bei ADHS eine
- erhöhte Konnektivität zwischen
- fronto-parietalem Netzwerk und
- Default Mode Network
- affektivem Netzwerk
- verringerte Konnektivität zwischen
- fronto-parietalem Netzwerk und
-
ventralem Aufmerksamkeitsnetzwerk
- somatosensorischem Netzwerk
Eine Untersuchung fand bei ADHS eine verringerte Struktur-Funktions-Kopplung in Verbindungsbündeln zwischen Hubs (Rich-Clubs?) und peripheren Regionen. Dies betraf insbesondere Verbindungen zwischen dem fronto-parietalen Netzwerk und sensorischen Netzwerken. Eine verringerte Struktur-Funktions-Kopplung korrelierte mit erhöhten ADHS-Symptomen und einer erhöhten Heterogenität in der neuronalen Rauschvariabilität in den Hirnregionen.
1.1.4. Verringerte Konnektivität mPFC-dlPFC prognostizierte spätere Unaufmerksamkeit¶
Eine Studie an ADHS-Kindern mit ADHS fand, dass eine erhöhte Konnektivität zwischen mPFC und dlPFC mit 7 Jahren mit einer verringerten Aufmerksamkeit bis zum Alter von 11 Jahren korrelierte.
1.1.5. Verringerte Konnektivität sgACC-dlPFC prognostizierte spätere Angst/Depressionssymptome¶
Eine Studie an ADHS-Kindern mit ADHS fand, dass eine verringerte Konnektivität zwischen dem für Stimmungen relevanten subgenialen anterioren cingulären Cortex (sgACC) und dem dlPFC mit 7 Jahren mit erhöhten internalisierenden Symptomen (Angst, Depression) bis zum Alter von 11 Jahren korrelierte.
1.2. Salienz-Netzwerk¶
Eine Untersuchung fand bei ADHS Abweichungen in der Konnektivität des Salienz-Netzwerks, bestehend aus
- rechter vorderer Insula
- rechtem dorsalem vorderen cingulären Cortex (rdACC)
- rechtem ventrolateralem PFC (rvlPFC).
Eine andere Studie fand bei nicht ADHS-betroffenen Geschwistern, im Vergleich zu ihren ADHS-betroffenen Geschwistern wie zu gesunden Kontrollprobanden, eine erhöhte Konnektivität innerhalb des Salience-Netzwerks und eine verringerte Konnektivität zwischen DMN und Salience-Netzwerk. ADHS-Betroffenen zeigten im Vergleich zu ihren nichtbetroffenen Geschwistern und gesunden Kontrollprobanden eine erhöhte Konnektivität zwischen dem DMN und taskpositiven Netzwerken. ADHS-Betroffene und ihre nichtbetroffenen Geschwister zeigten keine übereinstimmenden Veränderungen der funktionellen Konnektivität zu gesunden Kontrollprobanden. Diese Ergebnisse wurden durch komplementäre paarweise Connectomic-Vergleiche weitgehend bestätigt. Die wichtigsten Konnektivitätsunterschiede zwischen den Geschwistergruppen konnte jedoch in einer eng mit Alter und Geschlecht übereinstimmenden Teilstichprobe (20 Probanden-Geschwister-Paare und 60 TD) nicht repliziert werden.
1.3. Rich-Club / Hubs Konnektivität verringert¶
Als Rich-Club oder Hub werden Vernetzungscluster von Gehirnregionen bezeichnet, die untereinander stärker verbunden sind als der Durchschnitt der Hirnregionen und die deshalb das funktionelle Rückgrat des Gehirns bilden
Eine Untersuchung fand bei Erwachsenen mit ADHS eine verringerte Dichte von Rich-Clubs unter den strukturellen Knotenpunkten, einschließlich
-
bilateraler Präcuneus
- Insula
-
Nucleus caudatus
- linkes Putamen
- rechter Sulcus calcarinus
Weiter wurde bei Erwachsenen mit ADHS eine verringerte globale Effizienz gegenüber Nichtbetroffenen festgestellt, was möglicherweise aus einer geringeren Dichte an Rich-Club-Verbindungen bei ADHS resultieren könnte.
Eine andere Studie fand bei ADHS-Betroffenen abweichende Asymmetriemuster bei Konnektivitätsmessungen von Rich-Club-Konnektivität, z.B. mehr Feeder-Verbindungen. Weiter fand sich eine verringerte Rechtsasymmetrie bei Konnektivitätsmessungen lokaler Verbindungen zu mehreren peripheren Gehirnregionen. Darüber korrelierten abnorme regionale Asymmetrie-Scores mit ADHS-Symptomen.
Eine weitere Studie beobachtete, dass eine Organisation der Gehirnnetzwerke um Hubs mit verringerten kognitiven Einschränkungen bei Belastung einherging. Weiter zeigte sich, dass die selben neurophysiologischen Merkmale der Gehirnkonnektivität unter Belastung mit recht verschiedenen Problemen einhergehen konnten. Es fand sich keine 1:1 Zuordnung von Gehirnnetzwerkmustern und bestimmten Symptomen. Kinder, deren Gehirnnetzwerke nicht um Hubs organisiert waren, zeigen auf Belastungen eine breite Varianz an Symptomen.
Eine Studie beschrieb Veränderungen der Knoteneffizienz (“node efficiency”) bei Kindern mit ADHS:
- Zunahme im visuellen Aufmerksamkeitsnetzwerk
- Zunahme im dorsalen Aufmerksamkeitsnetzwerk
- Abnahme im somatomotorischen Netzwerk
- Abnahme im Default-Modus-Netzwerk
Die gestörte funktionelle Konnektivität und Knoteneffizienz korrelierte signifikant mit der Stärke der ADHS-Symptomatik.
1.4. Konnektivität im Ruhezustand¶
Bei ADHS wurde im Ruhezustand eine verringerte globale Konnektivität zwischen verschiedenen Gehirnnetzwerken festgestellt. Dies wurde als Hinweis auf ADHS als Entwicklungsverzögerung interpretiert.
Eine andere Studie fand dagegen bei Jugendlichen mit ADHS eine erhöhte Konnektivität zwischen striatalen Seeds und temporalen, fronto-insulären und ergänzenden motorischen Regionen sowie zwischen der Amygdala und dem dorsalen anterioren cingulären Cortex. Die vorherrschenden Assoziationen konzentrierten sich auf die Konnektivität des Caudatus auf beiden Seiten. Die Befunde waren nicht mit den häufig komorbiden internalisierenden und externalisierenden Problemen verbunden. Die Effektgrößen waren gering (maximal 0,15).
1.5. Verringerte Synchronisation von Aufmerksamkeitsnetzwerken und sensorischen Cortexbereichen¶
Bei ADHS-Betroffenen, die einer Unterhaltung mehrerer Personen folgten, wurde eine Desynchronisation von Aufmerksamkeitsnetzwerken und sensorischen Cortexbereichen beobachtet.
1.6. DMN (Default Mode Network)¶
Da das Gehirn auch dann aktiv ist, wenn es keine Aufgaben bewältigt, ist für das Management der Ruhe ein eigenes Netzwerk zuständig: das Default Mode Network (DMN). Es ist aktiv, wenn der Verstand nicht an einer anderen Aufgabe beteiligt ist oder “ruht”. Das DMN steuert Dinge wie Gedankenwandern, Tagträumen, Entspannen und Nachdenken über sich selbst und sein Leben. Kurzzeitige Aufmerksamkeitsdefizite sollen ebenfalls aus dem DMN resultieren. Daraus folgt, dass das DMN deaktiviert wird, wenn das Gehirn eine Aufgabe ausführt. Das DMN ist keine einzelne anatomische Struktur, sondern umfasst Verbindungen zwischen verschiedenen Bereichen, einschließlich
-
anteriorer mPFC
-
posteriorer cingulärer Cortex
-
dorsomediales PFC-Subsystem
-
mediales Temporallappen-Subsystem (Precuneus)
1.6.1. Verringerte Deaktivierbarkeit des Default Mode Networks (DMN)¶
FMRI-Untersuchungen des DMN zeigen eine Dysfunktion des DMN bei Kindern wie bei Erwachsenen mit ADHS. ADHS beeinträchtigt die Fähigkeit, schnell das DMN abzuschalten und die taskpositiven Netzwerke “einzuschalten”. In der Folge verharren ADHS-Betroffene länger in einem bestimmten Geisteszustand. Um das Verharren zu beenden, bedarf es eines stärkeren sensorischen Reizes. Diese Unfähigkeit, das DMN zu deaktivieren oder abzuschalten wird durch kognitiv anspruchsvollere Aufgaben noch verschlimmert.
Die Deaktivierbarkeit des DMN bei ADHS konnte durch hohe Belohnungen (die nach unserem Verständnis intrinsisches Interesse bewirken) so erhöht werden, dass diese der Deaktivierbarkeit bei Nichtbetroffenen entsprach. Den gleichen Effekt zeigte MPH.
1.6.2. Erhöhte Konnektivität des Default Mode Network (DMN)¶
Eine Studie fand bei Jugendlichen mit ADHS höhere Gesamt- und Subskalenwerte bei SNAP-IV und SRS. Höhere SNAP-IV- und SRS-Scores korrelierten mit
- höherer funktioneller Konnektivität zwischen
-
DMN (ventromedialer PFC) und cingulooperculärem Netzwerk (anteriore Insula)
- FPN (dorsolateraler und präfrontaler Cortex) und cingulooperculärem Netzwerk
- geringerer funktioneller Konnektivität zwischen
-
DMN (posteriorer cingulärer Cortex) und frontoparietalem Netzwerk (inferiore parietale Lappen)
-
DMN (Precuneus) und cingulooperculärem Netzwerk (temporoparietale Verbindung).
Die Autoren schließen daraus, dass soziale Kognitions- und Kommunikationsbeeinträchtigungen und ADHS eine abnormale funktionelle Konnektivität im DMN, im frontoparietalen Netzwerk und im cinguloopercularen Netzwerk gemeinsam haben könnten.
Auch andere Studien fanden bei ADHS eine veränderte Konnektivität des DMN. Es wurden erhöhte Korrelationen des DMN im Ruhezustand zwischen dem hinteren cingulären Cortex / Precuneus und dem rechten mittleren frontalen Gyrus gefunden. Diese bestanden bei erwachsenen ADHS-Betroffenen und ihren Verwandten ersten Grades gleichermaßen, nicht aber bei nicht betroffenen Kontrollpersonen. Die beobachteten Konnektivitätsänderungen korrelierten mit höheren Daueraufmerksamkeitsproblemen. Darüber hinaus erklärte dieses gehirnbasierte neurokognitive Merkmal dimensional die ADHS-Symptomvariabilität.
Eine andere Studie fand bei ADHS-Betroffenen im Vergleich zu ihren nicht betroffenen Geschwistern und gesunden Kontrollprobanden eine erhöhte Konnektivität zwischen dem DMN und taskpositiven Netzwerken. Nicht ADHS-betroffene Geschwister zeigten, abweichend zu ihren ADHS-betroffenen Geschwistern wie zu gesunden Kontrollprobanden, eine erhöhte Konnektivität innerhalb des Salience-Netzwerks und eine verringerte Konnektivität zwischen DMN und Salience-Netzwerk. ADHS-Betroffene und ihre nicht betroffenen Geschwister zeigten keine übereinstimmenden Veränderungen der funktionellen Konnektivität zu gesunden Kontrollprobanden. Diese Ergebnisse wurden durch komplementäre paarweise Connectomic-Vergleiche weitgehend bestätigt, die wichtigsten Konnektivitätsunterschiede zwischen den Geschwistergruppen konnte jedoch in einer eng mit Alter und Geschlecht übereinstimmenden Teilstichprobe (20 Probanden-Geschwister-Paare und 60 TD) nicht repliziert werden.
Eine Studie fand bei Kindern mit ADHS eine starke Kohärenz des linken dorsalen anterioren cingulären Cortex (dACC) mit den DMN-Komponenten. Weiter fand eine Seed-to-Voxel-Konnektivitäts-Analyse unter Verwendung des linken dorsalen anterioren Cingulums als Seed-Region Hinweise auf eine höhere zeitliche Kohärenz mit anderen neuronalen Netzen im Vergleich zu nicht betroffenen Kindern. Kinder mit ADHS scheinen im DMN und in anderen Netzwerken ein stärker verteiltes Ruhezustands-Konnektivitätsmuster aufzuweisen.
1.6.3. Normalisierung des DMN durch Stimulanzien¶
Darüber hinaus zeigen funktionelle Bildgebungsstudien an ADHS-Betroffenen nicht nur Unterschiede in DMN-Regionen im Vergleich zu gesunden Kontrollen, sondern auch eine Rückkehr zu normalen Funktionen bei der Behandlung mit Stimulanzien (hier: Methylphenidat). Die stärker intrinsisch motivierte Aufmerksamkeitssteuerung bei ADHS bewirkt, dass die Aufmerksamkeit und ihre Steuerbarkeit bei entsprechend hohem (intrinsischen) Interesse genauso hoch ist wie bei Nichtbetroffenen und nur bei niedrigerem (intrinsischen) Interesse von der Aufmerksamkeit von Nichtbetroffenen abweicht. Dies wird durch das DMN gesteuert. Stimulanzien sind in der Lage, die Aufmerksamkeitssteuerung von ADHS-Betroffenen bei fehlendem (intrinsischen) Interesse derjenigen von Nichtbetroffenen anzugleichen.
1.7. Thalamus-PFC-Konnektivität bei ADHS unidirektional¶
Eine Studie fand bei ADHS -Betroffenen eine einseitig sendende Verbindung vom Cortex zum Thalamus im Alpha-, Beta- und Gamma-Band, während Nichtbetroffene eine bidirektionelle Konnektivität zwischen Cortex und Thalamus aufwiesen.
1.8. Konnektivität zwischen rechtem Nucleus caudatus und occipitalem Nucleus accumbens erhöht¶
Die funktionelle Konnektivität zwischen dem rechten parietalen Caudatus und dem Nucleus accumbens korreliert mit ADHS.
1.9. Gestörte Signalvariabilität der spontanen neuronalen Aktivität, verringerte Entropie¶
Eine Studie berichtet bei Kindern mit ADHS über eine verringerte Hirnsignalvariabilität und verringerte Multiskalen-Entropie in den funktionellen Netzwerken höherer Ordnung ebenso wie in den primären Gehirnnetzwerken, z. B. im Default-Mode, im frontoparietalen Netzwerk, im Aufmerksamkeitsnetzwerk und im visuellen Netzwerk. Die Abweichungen der verringerte Hirnsignalvariabilität korrelierten negativ mit ADHS-Symptomen im frontoparietalen Netzwerk und negativ mit der Reaktionszeitvariabilität in den frontoparietalen, Default Mode-, somatomotorischen und Aufmerksamkeits-Netzwerken.
Eine andere Studie fand eine verringerte Amplitude der Multiskalen-Entropie bei ADHS. Die absolute Spektralpower zeigte bei ADHS höhere Variabilitätswerte. Die Multiskalen-Entropie verändert sich mit dem Alter und steigt mit zunehmender Anzahl der Skalen an. ADHS scheint eine erhöhte EEG-Variabilität und eine geringere EEG-Komplexität zu haben.
Bei hohem zu niedrigem Stress wurde eine Umkehr der Entropie in verschiedenen Gehirnnetzwerken beschrieben.
1.10. Konnektivität und Kohärenz bei ADHS verändert¶
Mehrere Studien berichten interhemisphärische Konnektivitätsveränderungen bei ADHS:
- verringerte interhemisphärische Kohärenz im Delta-Band in frontalen Gehirnregionen
- erhöhte Kohärenz im Theta-Band in posterioren Regionen (nur bei geöffneten Augen)
- erhöhte Kohärenz im Theta-Band in zentralen Bereichen
Methylphenidat normalisierte in einer Studie eine bei ADHS bestehende verringerte globale Konnektivität 400-700 ms nach einem Stimulus und verringert eine Zunahme der Trennung der Netzwerke 100-400 ms nach dem Stimulus. Diese globalen Veränderungen durch Methylphenidat erfolgte hauptsächlich in den aufgabenrelevanten frontalen und parietalen Regionen und war signifikanter und nachhaltiger als bei den nicht behandelten Vergleichspersonen. Die Ergebnisse der Studie deuten darauf hin, dass Methylphenidat eine bei ADHS bestehende beeinträchtigte Netzwerkflexibilität korrigiert.
Etliche Untersuchungen haben die Eigenarten der Kommunikation und Verknüpfung innerhalb des Gehirns bei ADHS durch Messung der EEG und QEEG-Werte analysiert.
Die Messung der Synchronisation oder Kohärenz des EEG des Gehirns im Ruhezustand ist ein gängiges Verfahren zur Messung der kortikalen funktionalen Konnektivität.
Bei ADHS gibt es ein deutliches Muster der verringerten Konnektivität zwischen anterioren (vorne liegenden) und posterioren (hinten liegenden) Gehirnregionen.
Ebenso besteht bei ADHS eine reduzierte Konnektivität in den frontostriatalen Verbindungen.
Erwachsene mit ADHS zeigten bei vergleichbarer Aufgabenstellung eine reduzierte Aktivierung des bilateralen inferioren PFC, Caudatus und Thalamus bei Stop-Tasks wie bei Cognitive-Switch-Tasks, sowie im linken Parietallappen (nur) während der Switch-Aufgabe. Je schwerer die ADHS-Verhaltenssymptome waren, desto geringer war der Anstieg der Aktivierung ähnlicher Regionen in fronto-striatalen, parietalen und zerebellären Gehirnbereichen. Bei Stop-Tasks zeigten die ADHS-Betroffenen eine verminderte inter-regionale funktionelle Konnektivität zwischen rechten vorderen frontalen, fronto-striatalen und fronto-parietalen neuronalen Netzen.
Eine weitere Untersuchung stellt im Ruhezustand eine mangelhaften Konnektivität zwischen den Gehirnhemisphären bei ADHS sowie einen stimulusinduzierten Zustand der Überkonnektivität innerhalb und zwischen frontalen Hemisphären fest. Bei ADHS bestehe danach eine veränderte funktionelle Konnektivität, insbesondere zwischen Frontalregionen.
Bei kürzeren Abständen zwischen den Messelektroden zeigten ADHS-Kinder eine intrahemisphärische Kohärenz im Theta-Band und reduzierte laterale Unterschiede in den Theta- und Alpha-Bändern. Bei größeren Elektrodenabständen zeigten ADHS-Kinder niedrigere intrahemisphärische Kohärenzen im Alpha-Band als Nichtbetroffene. Im frontalen Gehirnbereich hatten ADHS-betroffene Kinder erhöhte interhemisphärische Kohärenzen in den Delta- und Theta-Bändern und verringerte interhemisphärische Kohärenzen im Alpha-Band. Die Kohärenz im Alpha-Band war im temporalen Gehirnbereich verringert. Die Kohärenz im Theta-Band war in zentralen / parietalen / okzipitalen Gehirnregionen erhöht.
ADHS-Betroffene des Mischtyps hatten eine größere intrahemisphärische Theta- und Betakohärenz als ADHS-Betroffene vom rein unaufmerksamen Subtyp. Frontal haben ADHS-Betroffene des Mischtyps erhöhte interhemisphärische Kohärenzen im Delta- und Theta-Band im Vergleich zu ADHS-Betroffenen vom rein unaufmerksamen Subtyp (ADHS-I). Bei ADHS-Betroffenen ADHS-C ist die Kohärenz im Betaband in zentralen / parietalen / occipitalen Gehirnregionen erhöht.
Eine andere Studie fand anhand von EEG-Signalen, insbesondere im Beta-Band, Hinweise auf eine veränderte effektive Konnektivität in Gehirnnetzwerken bei Kindern mit ADHS.
ADHS-Betroffene zeigten eine erhöhte Kohärenz im unteren Alpha-Band (8 Hz) und eine verringerte Kohärenz im oberen Alpha-Band (10-11 Hz). Die Kohärenzerhöhung bei 8-Hz bei ADHS-Betroffenen und bei 2- bis 6-Hz in der Kontrollgruppe war unabhängig von der Stimulus-Präsentation. Als Reaktion auf visuelle Stimulation zeigten die ADHS-Betroffenen eine verminderte evozierte Power und eine erhöhte frontale Kohärenz. Nichtbetroffene unterschieden sich nur in der Kohärenzhöhe bei 8 Hz von medikamentierten ADHS-Betroffenen. Die Ergebnisse deuten bei ADHS auf eine dauerhafte mangelhafte Konnektivität und eine Stimulus-induzierte Überkonnektivität innerhalb und zwischen frontalen Hemisphären hin.
Eine Studie identifizierte für verschiedene Dimensionen von Verhaltens- oder kognitiven Funktionen vier entsprechende Muster der dynamischen funktionellen Gehirnkonnektivität (dFC):
- Dimension Unaufmerksamkeit/Hyperaktivität
- positiv assoziiert mit dFC innerhalb Default Mode Network (DMN)
- negativ assoziiert mit dFC zwischen DMN und sensomotorischem Netzwerk (SMN)
- Dimension Somatisierung
- positiv assoziiert mit dFC innerhalb des DMN und des SMN
- Dimension Inhibition und Flexibilität
- positiv assoziiert mit dFC innerhalb DMN
- positiv assoziiert mit dFC zwischen DMN und SMN
- negativ assoziiert mit dFC zwischen DMN und fronto-parietalem Netzwerk
- Dimension Sprachgewandtheit und Gedächtnis
- positiv assoziiert mit dFC innerhalb des DMN
- positiv assoziiert mit dFC zwischen DMN und SMN
- negativ assoziiert mit dFC zwischen DMN und fronto-parietalem Netzwerk
Die kognitiven Funktionen der Inhibition und Flexibilität vermittelten die Beziehung zwischen der Hirndynamik und den Verhaltensmanifestationen von Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität.
Eine Studie an Erwachsenen mit ADHS fand eine weit verbreitete intrahemisphärische Hypokonnektivität in Netzwerken, die u.a.umfassten:
- subkortikale Strukturen
- kortikale Strukturen
-
dorsales Aufmerksamkeitsnetzwerk
-
ventrales Aufmerksamkeitsnetzwerke
- visuelle Systeme
- somatomotorische Systeme
Daneben korrelierte eine Hypokonnektivität in einem vorwiegend links-frontalen Netzwerk mit erhöhten Kommissionsfehlern im CPT-2.
Neben einer verringerten funktionellen Konnektivität (insbesondere in visuellen und sensomotorischen) Gehirnnetzwerken fand sich eine erhöhte Konnektivität von peripheren Netzwerken.
1.11. Dopaminerge Gehirnnetzwerke und ADHS¶
Es werden drei Gehirnnetzwerke und deren Einfluss auf ADHS beschrieben.
Eine veränderte dopaminerge Funktion kann die nichtdopaminerge Signalübertragung (hauptsächlich Glutamat und GABA) nicht angemessen modulieren.
1.11.1. Frontal-Striataler Loop¶
“Kalte” Exekutivfunktionen, die das “Was” betreffen.
Korreliert mit Problemen bei
- Antwortinhibition
- Ablenkbarkeit
- Arbeitsgedächtnis
Mesokortikales Dopaminsystem:
- Aufmerksamkeitsdefizite
- mangelhafte Orientierungsreaktionen
- beeinträchtigte sakkadische Augenbewegungen
- schlechtere Aufmerksamkeitsreaktionen auf ein Ziel
- schlechter Verhaltensplanung (schlechte Exekutivfunktionen)
1.11.2. Frontal-cerebellarer loop¶
“Heisse” Exekutivfunktionen, die das “Wann” betreffen.
Korreliert mit Problemen bei
- motorische Koordination
- Timing und Rechtzeitigkeit von Verhalten
Nigrostriatales Dopaminsystem:
- gestörten Modulation der motorischen Funktionen
- Beeinträchtigung des nicht-deklarativem Gewöhnungslernens und Gedächtnisses.
- Diese ühren zu offensichtlichen Entwicklungsverzögerungen
1.11.3. Frontal-limbischer loop¶
Exekutivfunktionen, die das “Warum” betreffen
Korreliert mit Problemen bei
- Emotionale Dysregulation
- Motivationsprobleme
- Hyperaktivität/Impulsivität
- Hyperaktivität insbesondere in neuen Situationen
- Aggressionsanfälligkeit
Mesolimbischer Loop:
- veränderten Verstärkung des Verhaltensverstärkung
- mangelhafte Löschung eines zuvor verstärkten Verhaltens
- Probleme der Daueraufmerksamkeit
- erhöhte Verhaltensvariabilität
- Inhibitionsprobleme bei der “Hemmung” von Reaktionen (“Enthemmung”)
2. Gehirnnetzwerke¶
Die Fachliteratur verwendet keine einheitlichen Begriffe für die verschiedenen Gehirnnetzwerke.
Die nachfolgende Darstellung versucht eine Darstellung der Gehirnnetzwerke.
2.1. Default mode network (DMN)¶
- Aktiv, wenn Individuum im wachen Ruhezustand ist
- Bevorzugt aktiv bei Fokus auf intern-orientierten Tasks wie Tagträumen, Zukunft ausmalen, Erinnerungen rekapitulieren, Theory of Mind (ToM).
- Nicht aktiv, wenn andere Gehirnnetzwerke auf externe (visuelle) Reize fokussieren
-
DMN kann dabei tonisch und phasisch deaktiviert werden.
- Das DMN ist keine einzelne anatomische Struktur, sondern umfasst Verbindungen zwischen verschiedenen Bereichen, einschließlich
-
anteriorer medialer PFC
-
posteriorer cingulärer Cortex
-
dorsomediales PFC-Subsystem
-
mediales Temporallappen-Subsystem.
- Verbunden mit
- ventromedialem PFC
-
dorsomedialem PFC
-
posteriorem Cingulum
- retrosplenialem Cortex
-
Inferiorem Parietallappen
-
lateralem temporalem Cortex
-
Hippocampus
Daneben wurde ein posteriores Default mode network genannt.
2.2. Aufmerksamkeitsnetzwerke¶
2.2.1. Fronto-parietales (Aufmerksamkeits-/Exekutiv-)Netzwerk / anteriores Aufmerksamkeitsnetzwerk¶
- Wahrscheinliche Synonyme:
- Initiiert und moduliert kognitive Kontrolle
-
Inhibition
- Aufgabenwechsel
- Konfliktlösung
- Ressourcenzuteilung
- Planung
- Selektive Entdeckung sensorischer und semantischer Ereignisse.
- Bestandteile:
- rechter dlPFC
- hinterer parietaler Cortex
2.2.2. Räumliches Aufmerksamkeitsnetzwerk / posteriores Aufmerksamkeitsnetzwerk / dorsales Aufmerksamkeitsnetzwerk¶
Kontrolle der räumlichen Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf sensorische Reize.
- freiwilliger Einsatz von Aufmerksamkeit und Neuorientierung auf unerwartete Ereignisse
-
dopaminerg
Die Aufmerksamkeitsverschiebung besteht aus drei Teilprozessen:
- Loslösung des Aufmerksamkeitsfokus („Disengagement“)
- Verschiebung des Aufmerksamkeitsfokus („Shifting“)
- Fokussierung auf das neue Objekt der Aufmerksamkeit („Engagement“).
Am räumlichen Aufmerksamkeitsnetzwerk sind offenbar drei Gehirnbereiche beteiligt:
-
posteriorer Parietalcortex
- Loslösung des Aufmerksamkeitsfokus („Disengagement“)
-
superiorer Colliculus
- Verschiebung des Aufmerksamkeitsfokus („Shifting“)
-
laterales Pulvinar des Thalamus
- Fokussierung auf das neue Objekt der Aufmerksamkeit („Engagement“)
2.2.3. Ventrales Aufmerksamkeitsnetzwerk / Vigilanznetzwerk¶
Generierung und Aufrechterhaltung eines Grundaktivierungsniveaus bzw. einer Grundreaktionsbereitschaft.
- reagiert, wenn verhaltensrelevante Reize unerwartet auftreten
- überwiegend subcortical
- mesencephale Strukturen
- rechtshemisphärische corticale Areale
-
noradrenerg
2.3. Salienz-Netzwerk¶
- überwacht die Bedeutung externer Eingaben und interner Gehirnereignisse
- Bestandteile:
- rechte vordere Insula
- rechter dorsaler vorderer cingulärer Cortex (rdACC)
- rechter ventrolateraler PFC (rvlPFC)
2.4. Visuelles Netzwerk¶
-
Laterales visuelles Netzwerk
- involviert bei komplexen emotionalen Reizen
2.5. Auditorisches Netzwerk¶
2.6. Affektives Netzwerk¶
2.7. Motorische Netzwerke¶
- Sensorimotorisches Netzwerk
- dieses soll vornehmlich mit Unaufmerksamkeit in Verbindung stehen
- Somatomotorisches Netzwerk
- SM-Mund-Netzwerk
- SM-Hand-Netzwerk
2.8. Cerebellares Netzwerk¶
Früher wurde das Cerebellum (Kleinhirn) ausschließlich mit motorischer Kontrolle in Verbindung gebracht. Inzwischen ist klar, dass das Cerebellum eine wichtige Rolle bei der Regulierung kognitiver und affektiver Prozesse spielt, vor allem durch die Kommunikation zwischen dem Cerebellum-Hinterlappen und den übergeordneten und assoziativen Cortizes.
Eine Hemmung des rechten Crus I und des hinteren Vermis hebt deren Hemmung des mPFC auf. Funktionsstörungen des hinteren Kleinhirns beeinträchtigen soziale und kognitive Funktionen. Perinatale Kleinhirnverletzungen bei Frühgeborenen korrelierten bei fast jedem zweiten Kind mit kognitiven Defiziten, Sprachdefiziten und externalisierenden Verhaltensweisen im Alter von zwei Jahren.
2.9. Sprachnetzwerk¶
2.10. Temporales Netzwerk¶
2.11. Limbisches Netzwerk¶
2.12. Corticales Netzwerk¶
Das corticale Netzwerk wird beschrieben als Netzwerk aus
-
dlPFC
-
dorsomedialer PFC
-
anteriorer cingularer Cortex (ACC)
-
inferiorer frontaler Gyrus
- Insula
-
parietalen Regionen.
2.13. Cingulo-Operculares Netzwerk¶
2.14. Memory-Netzwerk¶
2.15. Subcorticales Netzwerk¶
3. Neurotransmitter und funktionelle Konnektivität¶
3.1. Dopamin und Konnektivität von Gehirnnetzwerken¶
Dopamin scheint die funktionelle Konnektivität bestimmter Gehirnregionen spezifisch zu beeinflussen. Amisulprid (ein D2-/D3-Antagonist) erhöhte laut einer Studie die funktionelle Konnektivität vom Putamen zum Präcuneus und vom ventralen Striatum zum präzentralen Gyrus. L-DOPA (ein Dopamin-Vorstoff) erhöhte die funktionelle Konnektivität vom VTA zur Insula / Operculum sowie zwischen ventralem Striatum und vlPFC und verringerte die funktionelle Konnektivität zwischen ventralem Striatum und dorsalem Caudatus mit dem medialen PFC.
3.2. Noradrenalin und Konnektivität von Gehirnnetzwerken¶
Der Pupillendurchmesser im Ruhezustand, der mit der tonischen Noradrenlinfeuerung korreliert, spiegelt zugleich die Konnektivität zwischen frontoparietalen, striatalen und thalamischen Gehirnregionen wider.