Emotionale Dysregulation - Neurophysiologische Korrelate
- 1. Regulation von Emotion und Stimmung
- 2. Emotionale Dysregulation bei ADHS: Sympathikus und Parasympathikus
- 3. Arbeitsgedächtnis und emotionale Dysregulation
- 4. Korrelation von emotionaler Dysregulation mit Hyperaktivität und Unaufmerksamkeit
- 5. Korrelation von emotionaler Dysregulation mit fraktioneller Anisotropie der weißen Substanz des Gehirns
- 6. Empathie
1. Regulation von Emotion und Stimmung
Emotion und Stimmung wird durch limbisch-cortical-striatal-pallidal-thalamische Schaltungen gesteuert, bestehend aus Verbindungen zwischen12
-
PFC
- orbitalmedial
- Entscheidungsfindung
- emotionales Verhalten
- belohnungsorientiertes Verhalten
- Hemmung des impulsiven Verhaltens
- verringerte dopaminerge Anregung des omPFC vermindert dessen Fähigkeit zur Hemmung des impulsiven Verhaltens3
- orbital
- nahrungsbezogene Informationen
- Erwartung von Belohnungen
- Verknüpfung von Reizen mit einer Belohnung, insbesondere mit dem Belohnungswert des Stimulus
-
medial
- Entscheidungsfindung, emotionales und belohnungsorientiertes Verhalten
- projiziert auf Kontrollzentren der inneren Organe in Hypothalamus und periaquäduktalem Grau
- Modulation der Aktivität der inneren Organe als Reaktion auf affektive Reize
- Atemfrequenz
- Herzfrequenz
- Blutdruck
- Verdauung
- erhöhte Aktivität des mPFC korreliert mit erhöhter Hautleitfähigkeit, was wiederum mit erhöhter Aktivität des Sympathikus korreliert, was mit erhöhter emotionaler Erregung einhergeht
-
dorsolateral
- Auswahl, worauf die Aufmerksamkeit sich richten soll
- orbitalmedial
-
Striatum
-
dorsal
-
Nucleus caudatus
- dessen Größe korreliert negativ mit Anhedonie
-
Nucleus caudatus
- ventromedial
- Nucleus accumbens
- Bulbus olfactorius
- Globus Pallidum
- dessen Größe korreliert negativ mit Anhedonie
-
ventrales Pallidum
- dessen Größe korreliert negativ mit Anhedonie
-
dorsal
-
Hippocampus4
-
ventral
- Subikulum
- Furcht in Kontext stellen
- Angstreaktion auf der Grundlage früherer Erfahrungen und Erinnerungen erhöhen oder verringern
- es wird eine Verbindung angenommen zwischen stressbedingt beeinträchtigtem Hippocampus und emotionaler Dysregulation, insbesondere Angst4
-
ventral
- Thalamus
⇒ Thalamus- mediodorsal
- midline
-
Amygdala
⇒ Die Amygdala – der Stressdirigent- entscheidend für
- emotionales Lernen
- Angstkonditionierung
- vermittelt emotionale Reaktionen auf Stress
- entscheidend für
Dieses Netzwerk nutzt wechselseitige Verbindungen mit
- corticalen Regionen, die höhere kognitive Funktionen kontrollieren
- Regionen, die autonome Funktionen steuern, u.a.
- periaquäduktales Grau
- Hypothalamus
zum Abgleich zwischen höheren kognitive Funktionen mit Informationen aus den Körperorganen und den äußeren Umweltbedingungen, um Stimmung und emotionale Zustände zu beeinflussen.5
Verbindungen zwischen oPFC / mPFC und dem dlPFC vermitteln bei Stimmungsstörungen neurophysiologische Korrelationen zwischen678
- Stimmungsdysregulation
- Arbeitsgedächtnisproblemen
- Beeinträchtigung der kognitiven Flexibilität
Verletzungen des rechten orbitofrontalen PFC verursachten enthemmte emotionale Reaktionen und unangemessenes soziales Verhalten, einschließlich einer abgestumpften Reaktion auf Bestrafung, sowie (möglicherweise nur bei frühem Auftreten im Leben) soziale und moralische Bewertungsprobleme.9
Die Beeinträchtigung bei der Verarbeitung negativer emotionaler Stimuli wurde mit einer erhöhte Aktivität in der linken anterioren Insula bis hin zum inferioren frontalen Gyrus in Verbindung gebracht.10
Eine Studie fand Hinweise, dass emotionale Dysregulation das Symptom sei, das zwischen ADHS und Spielsucht verbinde.11
2. Emotionale Dysregulation bei ADHS: Sympathikus und Parasympathikus
Mehrere Untersuchungen fanden Abweichungen bei ADHS-Betroffenen in der Reaktion des Sympathikus wie des Parasympathikus, die mit der emotionalen Dysregulation der Betroffenen korrelierten.
Danach zeigen gesunde Kinder in Abhängigkeit von der Emotionsvalenz (stärkere Aktivierung für negative Emotionen, geringere Aktivierung für positive Emotionen) und der Aufgabennachfrage (stärkere Aktivierung zur Unterdrückung als zur Induktion) systematische Variationen der parasympathischen Aktivität (RSA). Im Gegensatz dazu zeigten Kinder mit ADHS ein stabiles Muster einer erhöhten parasympathischen Aktivität (RSA) unter allen Aufgabenbedingungen im Vergleich zum Ausgangswert.12
Eine umfassendere Replikationsstudie bestätigte dies und fand, dass bei ADHS Aufgaben zur emotional negativen und positiven Stimulierung mit einer signifikant erhöhten parasympathischen und sympathischen Reaktivität korrelierten.13
Die vagal vermittelte hochfrequente Herzfrequenzvariabilität korreliert bei ADHS mit Defiziten bei der emotionalen Selbstregulierung über die gesamte Lebensspanne .14
3. Arbeitsgedächtnis und emotionale Dysregulation
Defizite des Arbeitsgedächtnisses können zu emotionaler Dysregulation beitragen.15 Das Arbeitsgedächtnis ist mit der Emotionsregulation verbunden.
Eine Studie an Kindern mit ADHS von 6 bis 16 Jahren untersuchte das Zusammenspiel zwischen den identifizierten Arbeitsgedächtnis-/Emotionsregulationsmustern, demografischen Merkmalen und der Rolle komorbider Diagnosen. Es fanden sich zwei unterschiedliche, unveränderliche, nicht eingeschränkte Klassen von Arbeitsgedächtnis-/Emotionsregulation:16
- Klasse 1 (62 %):
- Arbeitsgedcähtnis beeinträchtigt
- signifikant niedrigere Werte im Digit-Span-Test
- Emotionsregulation durchgängig funktional
- Arbeitsgedcähtnis beeinträchtigt
- Klasse 2 (emotional dysreguliert):
- durchschnittliche Arbeitsgedächtniswerte
- erhöhte Emotionsregulationsprobleme.
Arbeitsgedächtnisindikatoren und von den Eltern (nicht von den Lehrern) gemessene Emotionsregulationswerte korrelierten nur wenig.
Es bestand keine Korrelation zwischen Klassenzugehörigkeit und komorbiden Diagnosen, Alter, Geschlecht oder verbalem IQ.
4. Korrelation von emotionaler Dysregulation mit Hyperaktivität und Unaufmerksamkeit
Eine Studie fand einen Zusammenhang zwischen Hyperaktivität/Impulsivität und emotionaler Dysregulation, nicht aber zwischen Unaufmerksamkeit und emotionaler Dysregulation.15
Eine andere Studie fand dagegen, dass emotionale Dysregulation mehr mit Unaufmerksamkeit als mit Hyperaktivität/Impulsivität zu korrelieren scheine.17 Höhere Unaufmerksamkeit korrelierte hier mit
- verringerter emotionaler Klarheit, was die Schwierigkeiten in zwischenmenschlichen Beziehungen verstärkte
- geringerem Zugang zu Emotionsregulationsstrategien, was die Symptombelastung erhöhte
- Beeinträchtigungen in Schule und Beruf.
5. Korrelation von emotionaler Dysregulation mit fraktioneller Anisotropie der weißen Substanz des Gehirns
Die fraktionelle Anisotropie von 19 Bahnen weißer Substanz, die mit
- affektiv-verarbeitenden
- sensorisch-verarbeitenden
- integrierenden
- kognitiven
Kontroll-Schaltkreisen verbunden waren, korrelierten bei Nichtbetroffenen positiv mit dem Schweregrad emotionaler Dysregulation, während sie bei ADHS-Betroffenen negativ mit emotionaler Dysregulation korrelierte.
Der Schweregrad der ADHS-Symptome und die Diagnose korrelierten negativ mit fraktioneller Anisotropie dieser weiße-Substanz-Traktbündel, Intelligenz dagegen korrelierte positiv.18
6. Empathie
Empathie unterteilt sich in emotionale (affektive) Empathie und kognitive Empathie. Emotionale Empathie entwickelt sich früher als kognitive Empathie. Emotionale Empathie nutzt limbische und paralimbische Gehirnregionen. Kognitive Empathie setzt eine fein abgestimmte Reifung präfrontaler und temporaler Netzwerke voraus. Verletzungen des ofPFC, des vmPFC oder von rechten parietalen Gehirnregionen beeinträchtigen beide Arten von Empathie.19
Emptionale Empathie soll durch das oxytocinerge System,20 kognitive Empathie soll dagegen durch das dopaminerge System beeinflusst werden.21
Emotionale und kognitive Empathie arbeiten zwar voneinander unabhängig, scheinen sich aber gegenseitig zu beeinflussen. Emotionale Empathie wird als automatischer Bottom-up-Prozess betrachtet, während kognitive Empathie als Top-down-Modulator beschrieben wird.19
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