Bei 30 bis 50 % der Erwachsenen mit ADHS ist die Verwendung von Stimulanzien alleine nicht ausreichend.
Entgegen noch häufig verbreiteter Annahmen gibt es vielfache Möglichkeiten, Medikamente bei ADHS zu kombinieren (Augmentation). Die Kombination mehrerer Wirkstoffe identischer oder verschiedenen pharmakologischen Klassen (Polypharmazie) ist eine zunehmend verbreitete Strategie bei der ADHS-Behandlung, die insbesondere bei Komorbiditäten und bei gegenüber Monotherapien behandlungsresistenten Fällen in verschiedenen Behandlungsrichtlinien Aufnahme gefunden hat.
Eine Krankenregisteranalyse fand, dass eine Kombination verschiedener ADHS-Medikamentenwirkstoffklassen in 10,3 % (bei krankenversicherten Betroffenen) bis 24,3 % (bei Medicaid-“versicherten” Betroffenen) angewendet wurde.
Bei einer Kombinationsmedikation waren folgende Medikamentenklassen am häufigsten beteiligt:
- unretardierte Stimulanzien: 70,0 %
- α2-adrenerge Agonisten (Guanfacin, Clonidin): 63,8 %
- halbtagesretardierte Stimulanzien: 51,8 %
Eine weitere Studie fand, dass rund ein Viertel der ADHS-betroffenen Kinder und Jugendlichen, die Stimulanzien erhielten, daneben ergänzende Medikamente erhielten:
- Kinder: ca. 24 %
- Jugendliche: ca. 26,7 %
Die häufigsten zusätzlich gegebenen Medikamente waren:
-
SSRI
- Kinder: ca. 7,4 %
- Jugendliche: ca. 13,8 %
- Atypische Antipsychotika
- Kinder ca. 4,8 %
- Jugendliche: ca. 5,8 %
- Guanfacin
- Kinder ca. 6 %
- Jugendliche: ca. 3 %
Barkley berichtet, dass die typischen ADHS-Medikamente jeweils rund 70 % derselben Gehirnregionen adressieren, aber eben auch in etwa 30 % anderer Gehirnregionen ansprechen. Daher empfiehlt er eine Kombinationsmedikation, um eine breitere Wirkung bei geringeren Nebenwirkungen zu erzielen.
Zur Medikamentenwahl bei Komorbiditäten siehe unter Wahl des Medikaments bei ADHS oder ADHS mit Komorbidität
Alle nachfolgend beschriebenen Kombinationen oder Einnahmemöglichkeiten basieren auf Untersuchungen oder Berichten Betroffener, die in Abstimmung mit dem behandelnden Arzt erfolgten. Vor einer eigenmächtigen Dosierungs- oder Einnahmehandhabung durch Betroffene wird ausdrücklich gewarnt!
1. Methylphenidat-Präparate untereinander¶
Es ist problemlos möglich, verschiedene Methylphenidat-Präparate, insbesondere retardierte und unretardierte, zu kombinieren.
Unretardiertes MPH hat seine besondere Bedeutung in der Austarierung der Wirkdauer und der Anpassung an besondere Belastungssituationen. Unretardiertes MPH kann die Wirkdauer am Nachmittag oder frühen Abend verlängern oder morgens die Zeit bis zum Eintritt der angemessenen Wirkintensität des Retardpräparates überbrücken.
Eine Studie fand, dass 40 % der Erwachsenen mit ADHS eine solche Kombination zur Verlängerung der Tagesabdeckung erhalten. Ebenso berichtet Mason aus seiner eigenen ärztlichen Praxis, dass die meisten seiner erwachsenen ADHS Patienten retardierte Stimulanzien einnehmen, die typischerweise 8 bis 10 Stunden lang wirken, weshalb die meisten von ihnen zusätzlich unretardierte Medikamente zur Ergänzung benötigen, um den Tag zu bewältigen.
Vereinzeln berichten (erfahrene) Betroffene, dass sie mit 2 unterschiedlichen Halbtages-MPH-Retardpräparaten am Morgen und am frühen Nachmittag besser zurechtkommen als mit einer nochmaligen Einnahme desselben Retardpräparates. Diese Betroffenen verwenden oft zudem unretardiertes MPH zur Verlängerung der Tagesabdeckung.
Es muss erwähnt werden, dass die Feinabstimmung derartiger Kombinationen meist maßgeblich durch den Betroffenen selbst erfolgt, und voraussetzt, dass der betreuende Arzt bei diesem das erforderliche Verantwortungsbewusstsein erkennt, um diesen bei der adäquaten Medikationsanpassung zu begleiten. Bei Kindern dürfte dies nur schwer möglich sein, insbesondere wenn bereits eine verteilte Medikamenteneinnahme über den Tag Schwierigkeiten bereitet.
2. Amphetamin-Medikamente untereinander¶
Die Kombination verschiedener Amphetaminmedikamente dient meist nicht der Verbesserung der Symptomatik oder der Verringerung der Nebenwirkungen, sondern der besseren Tagesabdeckung.
Einige Betroffene berichten von guten Erfahrungen mit einer Kombination von Attentin (unretardiertes D-Amphetamin) und retardiertem Amphetamin (Elvanse). Während Elvanse das an Lysin gebundene Amphetamin nur sehr langsam über Darm und Blut freisetzt, was bis zum vollen Wirkeintritt bis zu 2 Stunden dauern kann, wird von Attentin ein spürbares Einsetzen der Wirkung bereits nach rund 15 Minuten berichtet, was unretardiertem MPH entspricht.
Während Elvanse bei den meisten Betroffenen ab der Einnahme 10 bis 11 Stunden lang wirkt (einige wenige Betroffene berichten eine Verstoffwechselung binnen 6 Stunden, Einzelfälle sogar noch deutlich schneller), hat Attentin eine Wirkzeit von rund 5 Stunden.
Manche Betroffene machen gute Erfahrungen mit einer morgendlichen Einnahme einer geringen Dosis Attentin und einer zeitgleichen oder um einige Stunden versetzten Einnahme von Elvanse. Andere berichten, dass ihnen eine Attentin-Einnahme am Nachmittag oder frühen Abend hilft, einen langen Tag durchzustehen. In aller Regel wird die Elvanse-Dosis nach einer vorhergegangenen Attentin-Gabe etwas verringert.
Daneben berichten etliche Betroffene, dass sie mit zwei geringeren, zeitversetzt eingenommenen Dosen Elvanse am besten klarkommen.
Während etliche Betroffene von Elvanse eine verbesserte Abendmüdigkeit und damit verbessertes Einschlafverhalten berichten, sollte bei einer Verschlechterung des Einschlafens, das sich auch nach einigen Wochen nicht legt, über eine Veränderung der Einnahmezeiten nachgedacht werden, um ein früheres Ende der Wirkzeit zu erreichen.
3. Amphetaminmedikamente und Methylphenidat¶
Viele Betroffene berichten, in Abstimmung mit ihrem Arzt Amphetaminmedikamente und (insbesondere unretardiertes) MPH zeitversetzt am selben Tag zu nehmen. Es sind keine negativen Erfahrungen bekannt.
Auch hier liegt die größte Bedeutung von (unretardiertem) MPH in der zeitversetzten Ergänzung der Wirkdauer des retardierten Amphetaminmedikaments (Elvanse) frühmorgens oder am Abend.
In den (eher seltenen) Fällen, bei denen MPH oder AMP allein bis zu den jeweils üblicherweise vertretbaren Tagesdosen keine ausreichende Wirkung hat, ist auch eine parallele Gabe von MPH und AMP möglich.
Daneben gibt es etliche Medikamente, die die Wirkung anderer Medikamente bei ADHS unterstützen können.
4. Guanfacin/Clonidin und Stimulanzien¶
Guanfacin, das ebenso wie Clonidin ein α₂-Adrenozeptor-Agonist ist, scheint in manchen Ländern für eine Kombinationsmedikation mit Stimulanzien bei ADHS zugelassen zu sein, und bei Kindern mit ADHS, die schlecht auf Stimulanzien allein ansprechen, zusammen mit Stimulanzien die Symptome deutlich mehr zu verbessern als Stimulanzien allein.
Metastudien
Eine Metastudie ermittelte für eine zusätzliche Einnahme von Alpha-2-Agonisten (Guanfacin, Clonidin) neben Stimulanzien bei Kindern und Jugendlichen als Effektstärke auf ADHS-Symptome insgesamt:
- 0,36 als Zusatzeffektstärke der Alpha-2-Agonisten im Vergleich zu Stimulanzien alleine (k = 5, n = 724)
- 0,64 und 0,34 ermittelten die beiden Studien für Guanfacin XR (beide statistisch signifikant)
- 0,34, 0,30 und 0,16 ermittelten die drei Studien für Clonidin (nur eine davon statistisch signifikant).
Eine Metastudie an k = 16 Studien fand durchgängig eine stärkere Verbesserung der ADHS-Symptome durch eine Kombination von Alpha-2-Agonisten mit Stimulanzien im Vergleich zur Monotherapie mit Alpha-2-Agonisten, aber keine stärkere Verbesserung als bei einer Monotherapie mit Stimulanzien.
Studien
Eine größere randomisierte doppelblinde placebokontrollierte Studie über 9 Wochen an Kindern mit unzureichender ADHS-Symptomverbesserung durch Stimulanzien zeigte erhebliche Verbesserungen durch zusätzlich gegebenes Guanfacin ohne zusätzliche Nebenwirkungen. Offenbar behandeln mehrere Veröffentlichungen dieselbe Studie.
Mehrere weitere Studien kamen ebenfalls zu positiven Ergebnissen einer augmentierenden Gabe von Guanfacin bei Betroffenen mit ADHS, die mit Stimulanzien allein nicht optimal eingestellt waren, in Bezug auf Kindern sowie in Bezug auf Kinder und Jugendliche.
Eine weitere doppelblinde placebokontrollierte Studie an 50 Kindern von 6 bis 12 Jahren mit ADHS fand eine Verbesserung von Exekutivfunktionen durch eine individuell optimierte Guanfacin-Gabe, die zusätzlich zu den bisherigen Stimulanzien erfolgte, ohne dass zusätzliche Nebenwirkungen auftraten. Eine Studie zu Auswirkungen einer kombinierten Gabe von Guanfacin und MPH auf das EEG bei Kindern mit ADHS bestätigt die Ergebnisse.
Eine randomisierte doppelblinde Vergleichsstudie zwischen Monotherapie mit MPH oder Guanfacin und einer Kombinationsmedikation mit MPH und Guanfacin fand einen zwar kleinen, aber konsistenten Vorteil der Kombinationstherapie in Bezug auf die Reduzierung der unaufmerksamen Subskalenwerte von ADHS-RS-IV sowie eine größere Ansprechrate (Responding) als Monotherapie. Die Kombinationstherapie zeigte keine schwerwiegenden kardiovaskuläre Ereignisse. Sedierung, Somnolenz, Lethargie und Müdigkeit waren bei Monotherapie mit Guanfacin wie bei Kombinationstherapie stärker. Alle Behandlungen wurden gut vertragen.
- Guanfacin allein (bei 68 % der Betroffenen eine Symptomreduzierung um mindestens 50 %)
- Methylphenidat allein (bei 81 % der Betroffenen eine Symptomreduzierung um mindestens 50 %)
- Kombinationsmedikation aus MPH und Guanfacin (bei 91 % der Betroffenen eine Symptomreduzierung um mindestens 50 %).(
Kombinierte Behandlung mit MPH und Guanfacin zeigte größere Verbesserungen des Arbeitsgedächtnisses als Placebo oder Guanfacin allein, war jedoch einer Monotherapie mit MPH nicht überlegen, auch nicht in anderen kognitiven Bereichen.
Eine Kombinationstherapie von MPH und Guanfacin zeigte geringere kardiovaskuläre Einflüsse als eine Monotherapie von MPH oder Guanfacin.
Eine randomisierte doppelblinde placebokontrollierte Studie an Erwachsenen mit ADHS, die durch Stimulanzien unbefriedigende Verbesserungen ihrer ADHS-Symptomatik hatten, und die zusätzlich individuell mit 1 bis 6 mg Guanfacin augmentiert wurden, zeigte eine deutliche Verbesserung in der Guanfacin-Gruppe und, überraschenderweise, ebenso in der Placebogruppe. Erhöhte Nebenwirkungen fanden sich nicht. Zwei Studien an gesunden Erwachsenen fanden ebenfalls keine Komplikationen bei der Kombinationsmedikation von Guanfacin mit Lisdexamfetamin (Elvanse) und MPH. In einem Einzelfall wurde berichtet, dass augmentierend gegebenes Clonidin ein durch MPH induziertes nächtliches Zähneknirschen beseitigen konnte.
Es wäre interessant, ob Guanfacin/Clonidin in der Lage sein könnte, auch andere bei Stimulanzien zuweilen als Nebenwirkungen auftretende Spannungsabbauhandlungen (Nägel kauen, Lippen kauen) zu verringern. Ein Einzelfallbericht ist hierfür kein ausreichendes Indiz.
Eine Untersuchung kam zu einem positiven Ergebnis einer augmentierenden Gabe von Clonidin zu Stimulanzien bei ADHS. Gleichwohl dürfte heute Guanfacin aufgrund des geringeren Nebenwirkungsprofils zu bevorzugen sein.
Die Kombination von Methylphenidat oder Atomoxetin kann das Risiko des Absetzens von Guanfacin aufgrund Somnolenz verringern.
5. Atomoxetin in Kombination mit anderen ADHS-Medikamenten¶
5.1. Atomoxetin und Stimulanzien¶
Obwohl es keine offizielle Zulassung einer Kombinationsmedikation von Atomoxetin und anderen ADHS-indizierten Medikamenten gibt, fand eine Studie die Verwendung einer solchen Kombinationsmedikation bei
- 22,2 % der krankenversicherten Betroffenen von 6 bis 17 Jahren
- 9,8 % der krankenversicherten Betroffenen ab 18 Jahren
- 36,1 % der Medicaid-ADHS-Betroffenen
Reviews und neuere Studien berichten, dass eine kombinierte Gabe von Atomoxetin und Stimulanzien sicher und wirksam ist, auch in einer Medikamentenwechselphase. Eine Studie berichtet von 824 Betroffenen, die eine Kombinationstherapie von Atomoxetin und Methylphenidat erhielten. Eine Metastudie fand gemischte Ergebnisse.
Ryffel-Rawak zitiert eine persönliche Mitteilung von J. Krause, wonach Atomoxetin vor allem in Kombination mit Stimulanzien wirksam sei. Brown berichtet von 4 Fällen, in denen erst eine Kombinationstherapie von Atomoxetin mit Stimulanzien eine angemessene Verbesserung der ADHS-Symptomatik bewirkte. Mason berichtet, dass er 2003, als Atomoxetin auf den Markt kam, 35 Kinder mit ADHS von Stimulanzien auf Atomoxetin umstellte. Um eine möglichst reibungslose Umstellung zu bewirken, wurden dabei die bisherige Stimulanziendosis zunächst in einem ersten Schritt halbiert und mit der halben Zieldosis von Atomoxetin ergänzt. Nach 14 Tagen erfolgte im zweiten Schritt die vollständige Umstellung auf die Atomoxetin-Zieldosis. Überraschend bat etwa die Hälfte der Betroffenen, die Kombination aus verringerten Stimulanzien und halber Atomoxetindosis fortzusetzen. Diese Kombinationstherapie erwies sich als sehr erfolgreich. Die meisten Betroffenen verringerten ihre vorherige Stimulanzien Dosis erheblich. Nebenwirkungen waren geringer als bei den Patienten, die allein Stimulanzien erhielten. Die Betroffenen der Kombinationstherapie berichteten insbesondere, dass das Familienleben sich verbessert habe, weil die Zusammenbrüche, die viele Familien außerhalb der Stimulanzien-Wirkzeit schon als normal betrachteten, abgenommen hatten. Dies erscheint uns eine plausible Folge davon, dass Atomoxetin als Pegelmedikament fast den ganzen Tag wirksam bleibt, während Stimulanzien nur eine begrenzte Zeit tagsüber haben.
Mason berichtet von einer Untersuchung von Wilens in 2006 in Harvard, bei der Atomoxetin und retardiertes MPH (Concerta) jeweils hochdosiert kombiniert wurde, um die maximal mögliche Symptomreduzierung zu testen. Dabei hätten die Patienten, die die Studie abschlossen, Symptomrückgänge von mehr als 90 % gezeigt. Ihre ADHS-Symptome waren verschwunden und die Aufmerksamkeit war normal.
Problematisch war allerdings, dass die hier eingesetzte hohe Medikamentendosierung bei vielen Patienten nicht tolerierbare Nebenwirkungen auslöste, was dem Studiendesign geschuldet war, das allein auf die maximale Symptomverbesserung abgezielt hatte.
Ein Review von 16 Studien zeigte, dass eine Kombinationsmedikation von Atomoxetin und Stimulanzien meist aufgrund eines unbefriedigenden Ansprechens auf eine Monomedikation erfolgte. Meist handelte es sich um männliche Kinder und Jugendliche mit ADHS-C. Am häufigsten wurde über eine Kombination von Atomoxetin mit Methylphenidat berichtet. Bei einigen, aber nicht bei allen Betroffenen verbesserte die Kombinationsmedikation die Symptome. Es wurden keine schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse berichtet.
Eine weitere Studie berichtet von einer Symptomverbesserung durch eine zusätzliche Gabe von retardiertem MPH bei ADHS-betroffenen Kindern, die auf Atomoxetin keine ausreichende Symptomverbesserung zeigten. Dass innerhalb der ersten 4 Wochen der Kombinationstherapie (also in der Eindosierungsphase des zusätzlich gegebenen MPHs) erhöhte Nebenwirkungen auftraten, ist nicht sonderlich verwunderlich. Relevanter ist das Nebenwirkungsprofil nach der Eindosierungsphase.
Eine weitere Studie berichtet ebenfalls von deutlichen Symptomverbesserungen durch eine Kombinationstherapie von Atomoxetin und Methylphenidat im Vergleich zu einer Monotherapie.
Mason berichtet aus seiner eigenen ärztlichen Praxis, dass die meisten seiner erwachsenen ADHS Patienten retardierte Stimulanzien einnehmen, die typischerweise 8 bis 10 Stunden lang wirken, weshalb die meisten von ihnen zusätzlich unretardierte Medikamente zur Ergänzung benötigen um den tag zu bewältigen.
Diejenigen Patienten seiner Praxis, die eine Kombination von Atomoxetin mit Stimulanzien nehmen, verwenden dagegen niedrige bis moderate Dosierungen von Stimulanzien und berichten eine Wirkungsdauer von mehr als 12 Stunden.
Mason berichtet von Einzelfällen:
- In einem Fall wurde die bisherige Gabe von 72 mg MPH am Tag (bei einer unbefriedigenden Symptomreduktion von 25 %) auf 27 mg MPH und 60 mg Atomoxetin pro Tag verändert. Damit konnte eine Symptomreduzierung um 80 % erreicht werden, die über viele Jahre ohne Anpassungseffekte fortbestanden.
- In einem anderen Einzelfall führte eine Verringerung von Amphetaminmedikamenten (Adderall) von 50 auf 30 mg / Tag bei gleichzeitiger Gabe von 40 mg Atomoxetin / Tag zu einer Verbesserung der Symptomreduzierung auf 67 %.
Eine weitere Verbesserung auf nun 74 % Symptomverringerung ergab sich durch Umstellung von 50 mg Adderall auf 50 mg Vyvanse (in EU: Elvanse), was 20 mg Adderall entspricht, unter Fortsetzung der 40 mg Atomoxetin.
Mason weist selbst darauf hin, dass nicht jeder Betroffene durch eine Umstellung auf eine Kombinationstherapie von Atomoxetin und Stimulanzien (solche) Verbesserungen erlebte. Weiter verweist Mason auf die Erfahrungen anderer Ärzte, die mit einer Ergänzung von Stimulanzien mit Guanfacin, Bupropion oder Antidepressiva vergleichbar positive Effekte erzielten. Ein uns bekannter Neurologe arbeitete häufig mit einer Kombination von Stimulanzien und Bupropion (aufgrund der aktivierenden Wirkung von Bupropion meist bei ADHS-I, nicht bei ADHS-HI oder ADHS-C).
Eine Studie berichtet von einem verringerten Abbruch der Medikamenteneinnahme bei einer Kombination von Stimulanzien und Atomoxetin im Vergleich zur jeweils alleinigen Einnahme. Dies dürfte auf eine verringerte Nebenwirkungsquote hinweisen.
Barkley berichtet in einem Vortrag von Vorteilen einer Kombination von Stimulanzien und Atomoxetin, um der durch Stimulanzien verursachten Dämpfung des limbischen Systems und der damit einhergehenden verringerten Emotionswahrnehmung zu begegnen.
Eine (allerdings vom Atomoxetin-Hersteller Lilly finanzierte) Studie fand bei einer Kombinationstherapie von Atomoxetin mit anderen ADHS-Medikamenten keinen Vorteil der Symptomverbesserung im Vergleich zu einer Monotherapie (möglicherweise, weil die Verschreibung nach individuellem Bedarf der Betroffenen durch die behandelnden Ärzte erfolgte und nicht bei allen Probanden einer Gruppe gleich erfolgte), aber auch keine höheren Nebenwirkungen als bei einer Monotherapie mit Atomoxetin (die Zahlen zeigen indes verringerte Nebenwirkungen bei der Kombinationstherapie). Dazu ist anzumerken, dass Atomoxetin allein allgemein deutlich höhere Nebenwirkungen hat als Stimulanzien allein.
Methylphenidat wie Atomoxetin steigern die Effizienz der präfrontalen pyramidalen Neuronen, allerdings über unterschiedliche Mechanismen:
- Methylphenidat verringerte unspezifische Signale, d. h. neuronales Rauschen, über D1-Rezeptoren
- Atomoxetin erhöhte die Stärke der spezifischen Signale über die Aktivierung von Alpha-2-Rezeptoren.
Dies erklärt, warum eine Kombinationen dieser Wirkstoffe bei Patienten mit ADHS, die auf eine Monotherapie nicht optimal ansprechen, sinnvoll sein kann.
Nach unserer Beobachtung ist eine Kombination von Atomoxetin und Stimulanzien eine geeignete Methode zur Behandlung von ADHS. Es verbindet die Vorteile von Atomoxetin (ganztägige Wirkung, insbesondere auf die Symptome der emotionalen Dysregulation) und von Stimulanzien (erhöhter Antrieb tagsüber). Bei einer Kombination von ATX und Amphetaminmedikamenten sollte beachtet werden, dass beide über CYP2D6 verstoffwechselt werden, was entsprechend geringere Dosierungen erforderlich macht. Da die Kombination auf dieselben Symptome ausgerichtet ist, sind hier jedoch kaum Probleme durch die gegenseitige Metabolisierungsbeeinflussung zu erwarten.
5.2. Atomoxetin und Hopanteninsäure¶
Ein russischer Artikel beschreibt Vorteile einer augmentierenden Gabe von Hopanteninsäure (Phenibut, Pantogam) bei Kindern mit ADHS. Ein Einzelfallbericht derselben Hauptautorin deutet ähnliche Ergebnisse an.
Hopanteninsäure verringerte bei Mäusen den D2-Rezeptor noch etwas stärker als Atomoxetin und erhöhte zusätzlich den GABAB-Rezeptor.
Hopanteninsäure (N-Pantoyl-GABA) wird in Russland häufiger zur Behandlung von ADHS eingesetzt. Es ist in den USA und der EU nicht zugelassen.
Die Erkenntnisse über Hopanteninsäure sind zu ungenau, als dass eine Behandlung damit empfohlen werden könnte.
6. Viloxazin und Stimulanzien¶
Eine Kombination von Viloxazin ist möglich mit:
- Methylphenidat
- Lisdexamphetamin
7. Bupropion und Stimulanzien¶
Ein uns bekannter Neurologe arbeitete häufig mit einer Kombination von Stimulanzien und Bupropion (aufgrund der aktivierenden Wirkung von Bupropion meist bei ADHS-I, nicht bei ADHS-HI oder ADHS-C).
Bei einer Kombination von Bupropion mit Amphetaminmedikamenten sollte beachtet werden, dass beide über CYP2D6 verstoffwechselt werden, was entsprechend geringere Dosierungen erforderlich macht. Da die Kombination auf dieselben Symptome ausgerichtet ist, sind hier jedoch kaum Probleme durch die gegenseitige Metabolisierungsbeeinflussung zu erwarten.
Mehrere Betroffene berichteten uns einen positiven Effekt einer Komedikation von Bupropion, um eine zuvor bestehende zu schnelle Verstoffwechselung von Amphetaminmedikamenten auf ein passendes Maß zu verlangsamen.
8. MAO-Hemmer und Stimulanzien¶
Ein Review zur Komedikation von Stimulanzien und MAO-Hemmern bei Depression fand keine dabei entstehenden Probleme. Eine Studie berichtet von einer erfolgreichen Komedikation von Selegilin und Lisdexamfetamin (Elvanse) bei ADHS und komorbider Depression.
Bei MAO-Hemmern sind stets mögliche Metebolisierungs-Kreuzeffekte zu beachten.
9. MPH und Tipepidin¶
Tipepidin (3-[di-2-thienylmethylene]-1-methylpiperidine) ist ein synthetischer, nicht-opioider Hustenblocker (Antitussivum). Tipepidin erhöht mittels Hemmung der GIRK-Kanäle den Dopaminspiegel im Nucleus accumbens, ohne jedoch die motorische Aktivität zu erhöhen oder eine Methamphetamin-ähnliche Verhaltenssensibilisierung zu erzeugen.
Es wird seit 1959 in Japan eingesetzt und könnte aufgrund seiner fehlenden stimulierenden Eigenschaft eine interessante Alternative zu MPH und AMP sein.
Tipepidin allein zeigt signifikante Verbesserungen der ADHS-Symptomatik.
Eine placebogestützte doppelblinde Untersuchung fand eine positive Wirkung von Tipepidin, das zusätzlich zu MPH gegeben wurde.
10. Desipramin und Stimulanzien¶
Eine Studie fand keine negativen Wechselwirkungen einer Kombinationstherapie mit Desipramin und Stimulanzien.
Desipramin ist der wirksame Metabolit von Imipramin. Desipraminmedikamente sind heute weitestgehend außer Vertrieb. Zwischen Imipramin und MPH ist eine gegenseitige Verstärkung als Wechselwirkung bekannt.
11. Antipsychotika neben Stimulanzien¶
Eine Metastudie fand Hinweise für einen Nutzen einer augmentierenden Gabe von Risperidon oder Divalproex bei komorbider Aggression.
Entgegen der Grundlagenforschung zeigten Studien, dass eine Komedikation von Stimulanzien und Antipsychotika bei der Behandlung von ADHS wirksamer sein könne als die alleinige Einnahme von Stimulanzien. Gleichwohl ist diese Komedikation in der klinischen Praxis unüblich. Die Verbesserung durch eine Kombination von Thioridazin und MPH gegenüber MPH allein hielt jedoch nur wenige Wochen an und blieb dann auf dem Niveau von MPH allein. Während MPH häufig mit Appetitmangel einherging, zeigte Thioridazin als Nebenwirkung eine Appetitsteigerung. Atypische Antipsychotika sollen eine noch stärkere Wirkung in Richtung Gewichtszunahme und metabolisches Syndrom zeigen. Eine Verbesserung fand der ADHS-Symptomatik sich bereits bei einer niedrigdosierten Neuroleptika-Augmentation von MPH.
Laut einer Registerstudie werden 3,9 % der ADHS-betroffenen Kinder und Jugendlichen, die Stimulanzien erhielten, mit atypischen Antipsychotika augmentiert.
Die Vorstellung, dass Stimulanzien die metabolische Wirkung von Antipsychotika signifikant verringern, ist widerlegt. Eine durchgängige Verbesserung durch eine Kombinationsbehandlung mit Antipsychotika und Stimulanzien gegenüber eine Stimulanzien-Monotherapie ist jedoch bislang nicht belegt. Eine Komedikation kann insbesondere bei komorbider Aggressivität hilfreich sein, wenn eine Monotherapie mit Stimulanzien und eine Kombination von Stimulanzien mit verhaltenstherapeutischen Interventionen zur Behandlung von Aggressionen nicht ausreichend waren. Eine Studie berichtet, dass eine Komedikation von MPH und Risperidon insbesondere bei komorbider Verhaltensstörung (CD) erfolgversprechend ist.
Während Stimulanzien den Dopaminspiegel / die Dopaminwirkung erhöhen, also agonistisch wirken. wirken Antipsychotika als Dopamin-Antagonisten. Das lässt eine Komedikation zunächst widersprüchlich und unlogisch erscheinen. Sie wirken jedoch auf unterschiedliche Rezeptor-Subtypen und Hirnregionen. Die Hauptwirkung der Antipsychotika ist eine Blockade der mesolimbischen D2-Rezeptoren, während Stimulanzien synaptisches DA im mesokortikalen System erhöhen. Vermutlich ist die synergistischen Interaktion zwischen Antipsychotika und Stimulanzien noch weitaus komplizierter, da beide Mittel auch außerhalb der genannten Gehirnregionen Wirkungen entfalten.
12. Kombinationsmedikation mit sonstigen Stoffen¶
Die nachfolgend genannten Wirkstoffe sind keine verschreibungspflichtigen Medikamente. Sie können, wie die zusätzliche Gabe von Vitaminen, Mineralstoffen oder mehrfach gesättigten Fettsäuren, die Behandlung von ADHS unterstützen,
Nachfolgend werden Studien dargestellt, die explizit zur Kombinationstherapie mit Stimulanzien erstellt wurden. Die Gabe von Vitaminen, Mineralstoffen oder mehrfach gesättigten Fettsäuren neben Stimulanzien unterliegt indes keinen besonderen Bedenken, sollte jedoch nur nach vorheriger Prüfung der Blutwerte erfolgen, da eine Überdosierung von Vitaminen oder Mineralstoffen erhebliche schädliche Wirkungen zeigen kann.
⇒ Vitamine, Mineralstoffe, Nahrungsergänzungsmittel bei ADHS
12.1. Resveratrol neben MPH¶
Resveratrol ist ein Antioxidans.
Eine doppelblinde placebokontrollierte Studie fand bei 500 mg Resveratrol zusätzlich zum ohnehin gegebenen MPH bei Kindern mit ADHS positive Effekte in der Elternbewertung, nicht aber in der Lehrerbewertung.
12.2. L-Carnosin neben MPH¶
L-Carnosin ist ein bioaktives Dipeptid, bestehend aus den Aminosäuren ß-Alanin und Histidin.
Eine doppelblinde placebokontrollierte Studie fand bei 800 mg L-Carnosin zusätzlich zum ohnehin gegebenen MPH bei Kindern mit ADHS positive Effekte in der Elternbewertung, nicht aber in der Lehrerbewertung.
12.3. Zinksulfat neben MPH¶
Eine doppelblinde placebokontrollierte Studie an Kindern mit ADHS fand positive Effekte von Zinksulfat, das zusätzlich zum ohnehin gegebenen MPH medikamentiert wurde.
12.4. L-Methylfolat neben MPH¶
Eine Untersuchung einer Augmentation von optimal eingestelltem MPH mit 15 mg L-Methylfolat an 44 Erwachsenen mit ADHS zeigte keine Verbesserung, sondern erhöhte eher den MPH-Bedarf.
13. Kombinationstherapie mit ADHS-Medikamente bei komorbiden Störungsbildern¶
Zur Vermeidung einer doppelten Darstellung siehe hierzu unter Medikamentenwahl bei ADHS oder ADHS mit Komorbidität