13. Schlafprobleme bei ADHS
Etwa 70 bis 80 % aller ADHS-betroffenen Kinder1 und 11,3 %2 bis 29 % der ADHS-Betroffenen Erwachsenen (gegenüber 2,3 % der Nichtbetroffenen2 = das 5-fache bis 12-fache Risiko) haben Schlafprobleme. Wir schätzen das Auftreten von Schlafproblemen bei Erwachsenen ADHS-Betroffenen ungefähr gleich.
75 % aller ADHS-Betroffenen sollen Probleme des circadianen Schlafrhythmus haben.3 Der Schlussfolgerung, dass ADHS eine bloße Folge von Schlafproblemen sei, können wir gleichwohl nicht folgen. Wir gehen davon aus, dass ADHS Schlafprobleme verursacht und Schlafprobleme ADHS-Symptome verstärken. Schlafprobleme allein können jedoch kein ADHS verursachen.
Eine große Studie (n = 4.109) an Kindern von 0 bis 7 Jahren stellte fest, dass ADHS-Betroffene mehr Schlafprobleme und in der Folge mehr Probleme mit emotionaler Dysregulation und Aufmerksamkeit haben als Nichtbetroffene. Zugleich wurde festgestellt, dass Schlafprobleme auch bei Nichtbetroffenen zu emotionaler Dysregulation und Aufmerksamkeitsproblemen führen. Schlafprobleme sind jedoch nicht der Auslöser späterer Aufmerksamkeitsprobleme.4
Bei Depressionen sind Durchschlafprobleme ein typisches Symptom der internalisierenden Depressions-Subtypen (melancholische oder psychotische Depression) während Tagesmüdigkeit stark mit dem externalisierenden Subtyp der atypischen Depression korreliert. Bei ADHS scheinen die die verschiedenen Schlafprobleme nicht so deutlich mit bestimmten ADHS-Subtypen zu korrelieren. Die Daten des ADxS-Symptomtests (Stand Juni 2020, n = 1.889) zeigen, dass Tagesmüdigkeit bei Erwachsenen mit ADHS das häufigste Schlafproblem ist (ungefähr doppelt so häufig wie Einschlafprobleme oder Durchschlafprobleme) und etwas häufiger bei ADHS-I als bei ADHS-HI und ADHS-C auftritt. Einschlafprobleme treten häufiger auf als Durchschlafprobleme. Einschlaf- wie Durchschlafprobleme sind zudem häufiger bei ADHS-HI und ADHS-C als beim ADHS-I anzutreffen.
Schlafprobleme sollten bei ADHS mit besonderer Aufmerksamkeit und Priorität behandelt werden. Treten Schlafprobleme zusammen mit (oder verursacht durch) ADHS auf, entsteht ein sich gegenseitig verstärkender Teufelskreis.
Näheres unter ⇒ ADHS – Behandlung und Therapie.
13.1. Einschlafprobleme
Einschlafprobleme bei ADHS sind häufig eine Folge eines stetigen Gedankenkreisens (Rumination), eines nicht abreißenden Gedankenstroms. Dies dürfte mit Innerer Unruhe korrelieren.
Etliche Betroffene berichten, dass sie mit Hörbüchern besser einschlafen können. Weiter kann eine geringe unretardierte Stimulanziendosis (1/4 bis 1/2 einer Tages-Einzeldosis) kann einem kleinen, aber nicht unerheblichen Teil der Betroffenen beim einschlafen helfen.
Zuweilen treten auch Gliedmassenzuckungen (ruhelose Beine) auf, die an restless legs erinnern.
13.2. Durchschlafprobleme
Durchschlafprobleme sollen mit die häufigsten Schlafprobleme bei ADHS sein.5 Nach unserem persönlichen Eindruck sowie nach den Daten des ADxS.org-Symptomtests sind jedoch Einschlafprobleme etwas häufiger und Tagesmüdigkeit tritt (zumindest bei Erwachsenen) ungefähr doppelt so häufig auf.
Durchschlafprobleme bei Kleinkindern von 1 bis 3 Jahren waren ein stärkerer Prädiktor für eine spätere ADHS-Diagnose als die Schlafdauer.6
Durchschlafprobleme können von erhöhtem Alkoholkonsum hervorgerufen werden, der bei ADHS häufiger ist, unter anderem um das Einschlafen zu fördern. Im Übrigen scheinen Durchschlafprobleme wie Kreuzschmerzen oder Zähneknirschen von einer übergroßen inneren Anspannung beeinflusst zu werden.
13.3. Schlafprobleme als Stresssymptome
Schlafstörungen sind sehr häufige Symptome bei schwerem Stress.7891011
Erhöhte Wachheit und verringerter Tiefschlaf ist eine unmittelbare Wirkung des Stresshormons CRH.128
Als Stresssymptom werden auch häufige Albträume genannt.1011
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