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“ADHS behandeln ist einfach. ADHS gut zu behandeln, ist sehr schwierig.”
Die Wahl des individuell am besten wirksamen Medikaments bei ADHS und dessen optimale Eindosierung ist eine Herausforderung. Es gibt zwar etliche Anhaltspunkte für eine Orientierung. Oft genug stellen jedoch die individuellen Besonderheiten jedes einzelnen Betroffenen alle Erfahrungswerte auf die Probe. Da ADHS ein Syndrom ist und es daher “das eine ADHS” nicht gibt, kann die ADHS-Symptomatik aus einer großen Anzahl verschiedener Ursachen entstehe. Folglich gibt es keine einheitliche Behandlung. Erforderlichenfalls muss für einen Betroffenen eine Vielzahl verschiedener Optionen ausprobiert werden.
ADHS-Medikamente können in zwei Kategorien eingeteilt werden: Stimulanzien und Nichtstimulanzien. Stimulanzien wie Methylphenidat (MPH) und Amphetaminmedikamente (AMP) haben den Vorteil, dass sie eine hohe Effektstärke bei geringen Nebenwirkungen haben. Es gibt keine andere Medikamentenklasse in der Psychiatrie mit derart hoher Effektstärke.12 Sie wirken ab dem ersten Tag der Einnahme und können jederzeit ohne Absetzerscheinungen abgesetzt werden. Allerdings können Stimulanzien bei einigen besonders empfindlichen Betroffenen oder bei Überdosierung das emotionale Empfinden beeinträchtigen und sind BtM. Nichtstimulanzien wie Atomoxetin und Guanfacin haben dagegen eine längere Wirkdauer, haben Vorteile in Bezug auf emotionale Dysregulation und keine dämpfende Wirkung auf das emotionale Empfinden.Dafür ist ihre Effektstärke geringer und die Nebenwirkungen sind deutlich höher. Zudem sind sie aufgrund der langen Dauer bis zum Eintreten der Wirkung und der langen Halbwertszeit schwieriger einzudosieren als Stimulanzien.
Weiter müssen spezifische Problemfällen und Komorbiditäten bei der Medikamentenwahl berücksichtigt werden. Zum Beispiel können bei Patienten, die nicht auf verschiedene MPH-Präparate ansprechen, AMP, Atomoxetin oder Guanfacin eingesetzt werden. Falls Stimulanzien trotz Vermeidung einer zu hohen Dosierung eine Beeinträchtigung des emotionalen Empfindens verursachen, können sie durch Atomoxetin oder Guanfacin ersetzt werden oder niedriger dosiert und mit diesen kombiniert werden. Eine Kombinationsmedikation aus Stimulanzien und Atomoxetin kann den Antrieb verbessern und gleichzeitig die emotionale Dysregulation reduzieren. Bestimmte Medikamente haben bei Tic-Störungen, Angststörungen, Substanzmissbrauch und andere Komorbiditäten besondere Vorteile.
Die Wirkungsweisen der verschiedenen Medikamente unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Bindungsaffinität an Transporter und ihrer Auswirkungen auf Dopamin und Noradrenalin in verschiedenen Gehirnregionen. Es ist wichtig, die richtige Medikation individuell anzupassen, um die bestmögliche Wirkung bei geringfügigen Nebenwirkungen zu erzielen.
Bei der Eindosierung ist eine häufig erhöhte Empfindlichkeit von ADHS-Betroffenen auf schon geringe Dosisunterschiede oder auf unterschiedliche Wirkung verschiedener Präparate desselben Wirkstoffs zu berücksichtigen. Dies geht so weit, dass bereits der Austausch eines Generikums gegen ein vermeintlich bioäquivalentes Präparat eines anderen Herstellers erhebliche Unterschiede bis hin zum Verlust der Wirksamkeit führen kann. Dies betrifft retardierte wie unretardierte Stimulanzien und ebenso Nichtstimulanzien. Es ist nicht die Regel, aber, wie wir aus dem ADHS-Forum von ADxS.org wissen, weitaus häufiger, als bislang angenommen. Mehr hierzu unter Eindosierung von Medikamenten bei ADHS.
Stimulanzien für ADHS haben eine Sonderstellung in der gesamten psychiatrischen Medikation: keine andere Medikamentenklasse hat eine derart hohe Effektstärke bei zugleich derart niedrigen Nebenwirkungen.1
Es empfiehlt sich, einmal die Beipackzettel von Aspirin oder Antidepressiva und Methylphenidat zu vergleichen
Stimulanzien werden seit vielen Jahrzehnten als ADHS-Medikamente eingesetzt, so lang wie kaum eine andere Medikamentenklasse
Stimulanzien wirken ab dem ersten Tag der Einnahme
Stimulanzien können jederzeit abgesetzt werden, ohne Gefahr von Absetzerscheinungen (im Gegensatz zu Antidepressiva, die z.T. Abhängigkeit und massive Ausdosierungenebenwirkungen verursachen können)
Nachteile (gemeinsame Nachteile von Stimulanzien
Beeinträchtigung des emotionalen Empfindens bei ca. 20 % der Betroffenen aufgrund der dämpfenden Wirkung von Stimulanzien auf das limbische System
Ursachen: Überempfindlichkeit oder Überdosierung
in diesem Fall Kombinationsmedikation aus Atomoxetin und MPH oder AMP in Betracht ziehen (bei jeweils niedrigerer Dosierung im Vergleich zur Monotherapie)
BtM-Pflichtig, weil theoretische Missbrauchsmöglichkeit
keinerlei Missbrauchsrisiko bei ordnungsgemäßer Einnahme (oral in Medikamentendosis)
an jedem Bahnhof und auf jedem Discoklo gibt es besser “drehende” Sachen für weniger Geld
dennoch möglicher Reiz zur Drogeneinnahme bei Betroffenen mit akuter oder früherer Amphetaminsucht; dann eher Atomoxetin und Guanfacin testen
Stimulanzien verringern die Wahrscheinlichkeit einer Suchtentwicklung,34 erhöhen sie jedenfalls nicht.56
Eine möglichst frühzeitige Behandlung von ADHS mit Stimulanzien verringerte das Risiko einer Suchtentwicklung im Erwachsenenalter. Jedes Jahr, um das Stimulanzienbehandlung später begann, erhöhte sich das Risiko einer Suchtentwicklung im Erwachsenenalter um das 1,46-fache.7
Methylphenidat (MPH)
Vorteile:
besonders gute Antriebssteigerung
unretardiert kurze Wirkdauer (2,5 - 3 Stunden)
Nachteile:
Nonresponderquote ca. 30 %
MPH-Nonresponding nicht deckungsgleich mit AMP-Nonresponding
Amphetaminmedikamente (AMP)
Vorteile
Stimmungsausgleichender als MPH
etwas bessere Effektstärke und etwas niedrigere Nebenwirkungen als MPH, insbesondere bei Erwachsenen
Nachteile:
Nonresponderquote ca. 20 %
AMP-Nonresponding nicht deckungsgleich mit MPH-Nonresponding
Legende:
Quellen, soweit nicht anders angegeben89 — ungeeignet (—) eingeschränkt geeignet, unter enger Überwachung
o eingeschränkt geeignet
+ besonders geeignet
kein Eintrag: keine Eignungsbeschränkung bekannt
** Unsere Ansicht nach oder noch einzuarbeitende Quellenangaben
Allgemeine körperliche Gegenanzeigen
Allgemeine körperliche Gegenanzeigen
LDX /D-AMP
ATX
MPH
Guanfacin
Bupropion
Kommentare
Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile
—
—
—
—
—
Glaukom
—
— (Engwinkelglaukom)
—
Hyperthyreose oder Thyreotoxikose
—
—
Phäochromozytom
—
—
Magen nicht sauer genug / zu basisch, pH-Wert über 5,5
—
Tumor im zentralen Nervensystem
—
schwere Leberzirrhose
—
Histaminunverträglichkeit
—
—
—
—
—
Viloxazin scheint das einzige ADHS-Medikament, das Histamin nicht erhöht
Herz-Kreislaufprobleme
Herz-/Kreislaufprobleme:
LDX /D-AMP
ATX
MPH
Guanfacin
Bupropion
Kommentare
Symptomatische Herz-Kreislauferkrankung
—
—
Fortgeschrittene Arteriosklerose
—
Mittelschwere bis schwere Hypertonie
—
—**
+**
Schwerwiegende kardiovaskuläre oder zerebrovaskuläre Erkrankungen, bei denen ein klinisch bedeutsamer Blutdruck- oder Herzfrequenzanstiegs den Zustand verschlechtern könnte, z.B.: schwere Hypertonie, Herzinsuffizienz, arterielle Verschlusskrankheit, Angina pectoris, hämodynamisch relevanter angeborener Herzfehler, Kardiomyopathien, Myokardinfarkt, möglicherweise lebensbedrohliche Arrhythmien, Erkrankungen die durch eine veränderte Funktion von Ionenkanälen verursacht werden
(—)**
—
(—)**
+**
Zerebrovaskuläre Erkrankungen (z.B. zerebrale Aneurysmen, Gefäßabnormalitäten, Vaskulitis oder Schlaganfall)
—
Mittlere bis schwere Hypotonie
geeignet
geeignet
geeignet
o
Suchtprobleme
Suchtprobleme:
LDX /D-AMP
ATX
MPH
Guanfacin
Bupropion
Kommentare
Alkoholsucht, akut
o**
o**
o**
o**
o**
Amphetaminsucht, akut
—**
—**
Amphetaminsucht, lange her
(—)**
(—)**
THC-Sucht
o**
o**
einem geplanten Entzug, der mit erhöhter Krampfneigung einhergehen kann
Einnahme von Monoaminooxidase-Hemmern binnen der letzen 14 Tage
—
—
—
—
Einnahme sedierender Arzneimittel
—
Einnahme blutdrucksenkender Arzneimittel
(—)**
(—)**
(—)**
+ (ggf. Dosisanpassung)
Einnahme anderer Bupropion-haltiger Arzneimittel
—
H2-Rezeptorenblocker- oder Antazida
—
Mutterschaft
Mutterschaft
LDX /D-AMP
ATX
MPH
Guanfacin
Bupropion
Kommentare
Frauen im gebärfähigen Alter, die keine Verhütungsmittel verwenden
—
Schwangerschaft
— (insbesondere erstes Trimester)
—
(—)
—
—
Stillzeit
—
—
(—)
—
—
Fahrtüchtigkeit
Fahrtüchtigkeit
LDX /D-AMP
ATX
MPH
Guanfacin
Bupropion
Kommentare
Fahrtüchtigkeit / führen gewährlicher Maschinen
o Patienten vor möglicher Beeinträchtigung durch Müdigkeit und Sehstörungen warnen, bis feststeht, dass beim Betroffenen diese Nebenwirkungen nicht auftreten oder bei Dauereinnahme weggehen
o Patienten vor möglicher Beeinträchtigung durch Müdigkeit, Somnolenz und Schwindelgefühl warnen, bis feststeht, dass beim Betroffenen diese Nebenwirkungen nicht auftreten oder bei Dauereinnahme weggehen
o Patienten vor möglicher Beeinträchtigung durch Müdigkeit, Schwindel, Sehproblenen warnen, bis feststeht, dass beim Betroffenen diese Nebenwirkungen nicht auftreten oder bei Dauereinnahme weggegehen
o Moderat bis stark variierender Einfluss auf die Verkenhrstüchtigkeit oder die Fähigkeit Maschinen zu bedienen, durch Schwindel und Müdigkeit (vornehmlich bei Einnahmebeginn) sowie Ohnmachtsanfälle
o Fahrtüchtigkeit gegeben, sofern keine schwerwiegenden Nebenwirkungen wie Schwindel auftreten
Einnahme anderer Medikamente
Einnahme anderer Medikamente mit Wirkung auf:
LDX /D-AMP
ATX
MPH
Guanfacin
Bupropion
Kommentare
CYP3A4/5
—
OCT-1
—
MATE1
—
Arzneimittel, die QT-Intervall verlängern können
—
—
CES1
—
CYP2D6
—
—
—
Legende:
Quellen, soweit nicht anders angegeben89 — ungeeignet (—) eingeschränkt geeignet, unter enger Überwachung
o eingeschränkt geeignet
+ besonders geeignet
kein Eintrag: keine Eignungsbeschränkung bekannt
** Unsere Ansicht nach oder noch einzuarbeitende Quellenangaben.
Alle Angaben ohne Gewähr. Sprechen Sie mit Ihrem Arzt.
2. Medikamentenwahl ohne spezifische Problemfälle¶
Von den Betroffenen, denen eine Medikamentierung helfen würde, erhalten lediglich rund 20 bis 25 % Medikamente. Von Nichtbetroffenen erhalten weniger als 1 % Medikamente, die sie nicht benötigen.11
Vor einer Behandlung mit Stimulanzien empfiehlt sich
eine kardiovaskuläre Untersuchung.12 zur Suche nach kardiovaskulären Anomalien wie:13
erhöhtem Blutdruck
Herzgeräusche
Synkopen bei körperlicher Anstrengung
EKG ist fakultativ
Kontraindikationen bei Stimulanzien (die meisten davon ungewöhnlich in der Kindheit):13
Die nachfolgenden Nennungen richten sich alleine nach unserer Auffassung aus wissenschaftlicher Sicht. Zulassungseinschränkungen sind nicht berücksichtigt.
2.1.1. Mittel der Wahl bei Kindern und Jugendlichen¶
Bei Erwachsenen ist die aus wissenschaftlicher Sicht hilfreichste* Priorisierung der Medikamente:
* Kassenzulassungen können hiervon abweichen
Dritte Wahl ist Atomoxetin. Bei komorbidem SCT oder starkem ADHS-I kann es erste Wahl sein.
Bei Kindern mit ADHS wechselten 8,4 % von einer MPH-Erstmedikation zu Atomoxetin, 31,3 % von einer ATX-Erstmedikation zu MPH17
Etwa 50 % der MPH-Nonresponder sprechen auf Atomoxetin an, und etwa 75 % der MPH-Responder sprechen auch auf Atomoxetin an. Atomoxetin kann während der Umstellungsphase zusammen mit MPH verabreicht werden, ohne dass übermäßige Bedenken hinsichtlich unerwünschter Ereignisse, wie z. B. kardiovaskulärer Wirkungen, bestehen (obwohl eine Überwachung von Blutdruck und Herzfrequenz erforderlich ist).18
Vierte Wahl ist unserer Auffassung nach Guanfacin (insbesondere bei generischem oder durch MPH oder AMP verursachtem Bluthochdruck oder bei komorbiden Tics), das statistisch betrachtet eine deutlich bessere Effektstärke bei geringeren Nebenwirkungen hat als Atomoxetin
Weitere mögliche Medikamente siehe Beiträge hierzu
Bei der Wahl des Wirkstoffs sollte weiter berücksichtigt werden:
Komorbiditäten
Metabolisierungsenzym-Genvarianten, die den Abbau beschleunigen oder verlangsamen
weitere eingenommene Medikamente
Magensäure
mögliche prämenstruelle Verschlechterung der ADHS-Symptome
betroffene Frauen sollten vorrangig Stimulanzien verwenden, da diese in den betreffenden Tagen auch kurzfristig höher dosiert werden können. Siehe hierzu unten unter Nebenwirkungen bei der Eindosierung.
2.3. Trial and Error: Finden des passenden Wirkstoffs braucht Geduld¶
Psychiatrische Störungen und andere Erkrankungen des ZNS stellen besondere Herausforderungen dar, um ein passendes Medikament zu finden. ADHS hat dabei innerhalb der psychiatrischen Störungen noch eine Sonderstellung2, da die Responderquoten mit 70 % (MPH) bis 80 % (AMP) weitaus höher sind als bei anderen Störungsbildern. Ebenso ist die Effektstärke von ADHS-Medikamenten im Vergleich zu anderen Störungsbildern enorm hoch.
Dennoch ist nicht vorhersagbar, welcher Wirkstoff bei einem bestimmten ADHS-Betroffenen wirkt. Selbst innerhalb einer Wirkstoffklasse (MPH) kann beim einen Betroffenen das eine Präparat untragbare Nebenwirkungen haben, während das andere hervorragend funktioniert - während der nächste Betroffene auf die beiden Präparate genau umgekehrt reagiert. Die unterschiedlichen Reaktionen beruhen vermutlich auf den verschiedenen Anflutungs- und Abbauprofilen des Wirkstoffs, die sich bei den einzelnen Präparaten erheblich unterscheiden können.
Deshalb ist auch bei ADHS eine geduldige und kleinstufige Medikamentenanpassung der entscheidende Faktor für die Verbesserung von Symptomatik und Lebensqualität. Wir möchten alle Betroffenen ermutigen, bei nicht zufriedenstellenden Ergebnissen “dran” zu bleiben, und zusammen mit Ihrem Arzt immer neue Präparate und Wirkstoffe auszuprobieren.
“In kontrollierten Studien wird das Medikament ausgewählt, bevor die Probanden rekrutiert werden, und die Dosierung wird durch ein Protokoll festgelegt. In der klinischen Praxis wird die Dosierung durch das individuelle Ansprechen der Probanden bestimmt. Tatsächlich gibt es keinen identifizierten Parameter, der das Molekül, die Dosis, den Zeitpunkt der Einnahme und die Häufigkeit der Einnahme vorhersagt, bei der eine einzelne Person einen optimalen Nutzen aus der Medikation ziehen wird. … In der klinischen Praxis werden die Medikamente der Stimulanzienklasse auf mindestens fünf Arten an die Bedürfnisse und Reaktionen des einzelnen Patienten angepasst: Wirkstoff, Verabreichungssystem, Dosis, Dauer und Häufigkeit.”20
3. Medikamentenwahl nach spezifischen Problemfällen¶
Das ADHS-Symptom der mangelnden Inhibition der exekutiven Funktionen wird dopaminerg durch die Basalganglien (Striatum, Putamen) verursacht.22 Eine mangelnde Inhibition der Emotionsregulierung wird noradrenerg durch den Hippocampus verursacht.22
Daher dürfte ersteres einer dopaminergen Behandlung besser zugänglich sein, während Emotionsregulierung und Affektkontrolle besser noradrenerg zu behandeln sein dürften.
Impulsivität wird zudem serotonerg vermittelt
Ist starke Impulsivität ein herausragendes Symptom des Betroffenen, wäre es fahrlässig, Stimulanzien unbesehen so hoch zu dosieren, dass dieses adäquat beseitigt wird, da damit hinsichtlich der übrigen Symptome überdosiert würde. Bei hervorstechend hoher Impulsivität kann für diese eine Behandlung mit niedrig dosierten SSRI hilfreich sein.
Serotoninwiederaufnahmehemmer
deutlich geringer dosiert als bei Verwendung als Antidepressiva
Emotionale Dysregulation bei ADHS kann mit Stimulanzien oder Atomoxetin behandelt werden.24
Unserer Erfahrung nach sind Atomoxetin und Guanfacin bei der Behandlung emotionaler Dysregulation gegenüber Stimulanzien im Vorteil. Atomoxetin und Guanfacin wirken über den ganzen Tag. Gerade das sozial sehr beeinträchtigende Symptom der Rejection Sensitivity, die vor allem ´soziale Beziehungen und Partnerschaften sehr belasten kann, was vor allem außerhalb der Wirkzeit von Stimulanzien zum Tragen kommt, kann durch ganztägig wirkende Nichtstimulanzien deutlich verbessert werden.
Dafür haben diese Medikamente die Nachteile einer schwierigeren Eindosierung (Pegelmedikamente), die Wochen dauern kann sowie eine deutlich niedrigere Effektstärke auf die übrigen ADHS-Symptome bei zugleich höheren Nebenwirkungen. Insbesondere die durch Stimulanzien erreichbare Steuerung des Antriebs und der Motivation ist durch Nichtstimulanzien nicht erzielbar. Daher empfiehlt sich hier eine Kombination von (jeweils niedriger dosierten) Nichtstimulanzien und Stimulanzien. Bei Betroffenen, die zu einer fein abgestuften Dosierung in der Lage sind, wird dies häufig der optimale Weg sein.
3.3. Vermeidung spezifischer Nebenwirkungen von ADHS-Medikamenten¶
Atomoxetin kann helfen, komorbide Angstsymptome bei Kindern und Jugendlichen zu verringern.25262728
Es wurde von positiven Effekten von Atomoxetin auf komorbide Angststörungen berichtet.29
Eine Studie untersuchte die Kombinationsbehandlung von Atomoxetin mit SNRI und SSRI bei Erwachsenen mit ADHS und komorbider generalisierter Angststörung. Bei allen Probanden versagten SNRI oder SRI allein in Bezug auf die Verbesserung der Angstsymptome. Eine Kombinationsbehandlung von SNRI oder SSRI mit Atomoxetin zeigte deutliche Verbesserungen der Angstsymptomatik gegenüber der vorhergehenden Monotherapie mit SNRI/SSRI.30
Auch MPH kann bei Angstsymptomatik helfen, wobei die Verbesserung der Angstsymptomatik durch Atomoxetin etwas größer war.31 Ein Einzelfallbericht notierte bei einer 15-jährigen ADHS-Betroffenen, die auf Atomoxetin nicht ansprach, auf MPH mit Dysphorie reagierte und augmentierendes Clonidin nicht vertrug, langfristig eine gute Wirkung einer Kombinationsmedikation von Vortioxetin (10 mg / Tag) und MPH auf die stimulanzbedingte Angst und die ADHS-Symptomatik. Diese wurde mit hoher Verträglichkeit erreicht.32
Eine Analyse der durch Elvanse adressierten Proteine zeigte Hinweise, dass Elvanse auch bei der Behandlung von Angstzuständen positiv mitwirken könnte.33
3.4.2.1. Stimulanzien-Monotherapie als erster Schritt bei komorbider Depression und ADHS¶
Bei ADHS mit milder komorbider Depression sollte zunächst eine Monotherapie mit Stimulanzien vorgenommen werden. Stimulanzien wirken sehr viel schneller und haben vor allem keinerlei Absetznebenwirkungen, die bei Antidepressiva massiv sein können. In Anbetracht der schnellen Wirksamkeit von Stimulanzien kann dann beobachtet werden, ob durch die Beseitigung der ADHS-Problematik der die Depression treibende Stressor entfällt. Dies ist recht häufig der Fall.
Bei rund einem Drittel aller behandlungsresistenten Depressionen findet sich ein zuvor nicht diagnostiziertes ADHS.
Bei ADHS-Betroffenen mit komorbider Depression fand sich während der Zeit einer ADHS-Medikation ein um 20 % niedrigeres Depressions-Risiko als in der unmedikamentierten Zeit. Das 3-Jahres-Langzeitrisiko einer Depression verringerte sich um 43 %.34
Eine Analyse der durch Elvanse adressierten Proteine zeigte Hinweise, dass Elvanse auch bei der Behandlung von Depression positiv mitwirken könnte.33
Unsere Erfahrung ist, dass Elvanse im Rahmen einer ADHS-Behandlung größere Verbesserung depressiver Symptome zeigt als Methylphenidat.
3.4.2.2. Atomoxetin bei komorbider Depression und ADHS¶
Ob Atomoxetin eine Wirkung auf Depression hat, ist umstritten. Es gibt Stimmen dagegen133536 wie dafür. Die Verbesserung der Depressionssymptome entsprach in einer Studie der von Paroxetin und Venlaflaxin.37
Eine doppelblinde placebokontrollierte Studie untersuchte die Kombinationsbehandlung mit Atomoxetin und Fluoxetin (einem SSRI) im Vergleich zur Monotherapie mit Atomoxetin bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS und komorbiden Symptomen von Depression oder Angst. Die Studie fand keine relevanten Verbesserungen der ADHS-Symptomatik bei der Kombinationsbehandlung. Es fanden sich kleine Verbesserungen im Bereich der Symptomatik komorbider Depression durch Kombinationstherapie im Vergleich zur Monotherapie mit Atomoxetin, wobei letztere neben den ADHS Symptomen bereits die Depressions- und Angstsymptome verbesserte. Die Kombinationsbehandlung zeigte keine erhöhten Nebenwirkungen. Der Blutdruck bei der Kombinationstherapie war etwas stärker erhöht als bei der Monotherapie.28
Eine Studie fand Hinweise auf eine Wirkung von Atomoxetin zusammen mit Sertralin beim HTTLPR- (SERT) Genotyp s/s im Vergleich zu einer Sertralin-Monotherapie.38
3.4.2.3. SSRI und MPH bei komorbider Depression zu ADHS¶
Eine Studie problematisiert, dass SSRI (wie z.B. Fluoxetin) eine mäßige suchtbedingte Genregulation von MPH im Striatum von Ratten verstärken, und damit eine Abhängigkeit von Methylphenidat verstärken könnten. Bei Vilazodon sei dies schwächer ausgeprägt.39
3.4.2.4. Escitalopram und MPH bei komorbider Depression zu ADHS¶
Eine Studie fand kein erhöhtes Risiko einer augmentierten Gabe von Escitalopram zu MPH bei ADHS, mit Ausnahme bei zusätzlicher komorbider TIC-Störungen.40
3.4.2.5. Fluoxetin und MPH bei komorbider Depression und ADHS¶
Eine Studie an ADHS-Betroffenen mit komorbider Depression, die durch MPH allein keine ausreichende Verbesserung der ADHS-Symptome zeigten, fand durch augmentierend gegebenes Fluoxetin bei fast allen Probanden deutliche Verbesserungen der ADHS-Symptomatik. Bei 40 % der Probanden genügte dazu bereits eine zusätzliche Gabe von unter 20 mg Fluoxetin. Erhöhte Nebenwirkungen zeigten sich nicht.41 Eine weitere Studie fand für Fluoxetin keine erhöhten Nebenwirkungen bei einer MPH-Medikation bei ADHS und eine deutlich geringeres Risiko im Vergleich zu Escitalopram bei komorbiden TIC-Störungen.40
Eine kombinierte Gabe von MPH und Fluoxetin verringerte bei Ratten Angstzustände und depressionsähnlichen Verhaltensweisen deutlich stärker als eines der beiden Medikamente allein.42
Fluoxetin soll das einzige SSRI mit einer antriebssteigernden Wirkung sein. Als Monotherapie scheint es zur Behandlung von ADHS nicht geeignet. ⇒ Fluoxetin bei ADHS
Eine gemeinsame Gabe von MPH und Fluoxetin an jugendliche Ratten bewirkte eine erhöhte Sensitivität auf Belohnungsreize (was bei ADHS positiv sein dürfte) und eine erhöhte Ängstlichkeit und Stressempfindlichkeit (was bei ADHS nachteilig wäre) bei erwachsenen Tieren.43 Es wurden jedoch gesunde Tiere und keine ADHS-Modelltiere getestet.
3.4.2.6. Selegilin und Lisdexamfetamin bei komorbider Depression¶
Eine Studie berichtet von einer erfolgreichen Komedikation von Selegilin und Lisdexamfetamin (Elvanse) bei ADHS und komorbider Depression.44 Eine weitere Studie zur Komedikation von Stimulanzien und MAO-Hemmern bei Depression fand keine dabei entstehenden Probleme.45
Somit kann auch eine Kombinationsmedikation von Selegilin mit Stimulanzien bei ADHS in Betracht gezogen werden.
2.4.2.7. MAO-Hemmer und Stimulanzien bei komorbider Depression¶
Eine Studie zur Komedikation von Stimulanzien und MAO-Hemmern bei Depression fand keine dabei entstehenden Probleme,45 entgegen der häufig angenommenen Problematik von Blutdruckkrisen.
MPH zusammen mit einem Stimmungsstabilisator erhöht das Risiko eines manischen Wechsels oder psychotischer Symptome nicht. Sind Stimulanzien unwirksam oder werden diese schlecht vertragen, scheint Atomoxetin eine Option zu sein.26
Eine Analyse der durch Elvanse adressierten Proteine zeigte Hinweise, dass Elvanse auch bei der Behandlung von bipolarer Störung positiv mitwirken könnte.33
Mehrere atypische Antipsychotika, insbesondere Risperidon, verbesserten Aggressionen wirksam. Einige Studien zeigten - entgegen der Warnungen der FDA, dass Stimulanzien Aggressionen verschlimmern könnten, dass Stimulanzien ebenso wie Antipsychotika Aggressionen, speziell bei hyperaktiven Kindern, wirksam verbesserten.46
Eine Kombinationsbehandlung mit (niedrig dosierten) Antipsychotika und Psychostimulanzien kann insbesondere bei komorbider Aggressivität hilfreich sein, wenn eine Monotherapie mit Stimulanzien und eine Kombination von Stimulanzien mit verhaltenstherapeutischen Interventionen zur Behandlung von Aggressionen nicht ausreichend waren.47 Verschiedene Expertengremien kamen zu dem Ergebnis, dass wenn komorbid zum ADHS bestehende Aggression (nicht: aus Stimulanzien folgende Aggression) durch die Verschreibung von Stimulanzien nicht ausreichend verbessert werden, die gleichzeitige Einnahme von atypischen Antipsychotika angezeigt ist, bei vorsichtiger Eindosierung.4849
Zur Komedikation von Antipsychotika und Psychostimulanzien siehe auch oben unter Gewichtsverlust.
3.4.5. Oppositionelles Trotzverhalten komorbid zu ADHS¶
Bei komorbidem oppositionellem Trotzverhalten ist Atomoxetin hilfreich.26
3.4.6. Verhaltensstörung / Conduct disorder (CD) komorbid zu ADHS¶
Bei komorbider Conduct disorder ist Atomoxetin hilfreich.2650
Verhaltensstörung (Conduct disorder) wird daneben häufig behandelt mit:50
Antipsychotika
Antidepressiva wie Imipramin, Desipramin, SSRI
Lithium
Eine Studie fand bei Kindern und Jugendlichen, die in den Jahren 2005 bis 2013 eine Medikation mit Methylphenidat begannen, 67.595 Kinder, die eine Kombinationstherapie von MPH und Antipsychotika erhielten. Darunter war eine Kombination mit
Risperidon (72 %)
Pipamperon (15 %)
Tiaprid (8 %)
Ein Viertel der Nutzer einer Kombinationstherapie von MPH und Antipsychotika bekam diese nur einmalig verschrieben.
Die Anwendung der Kombinationen von MPH mit Risperidon und Tiaprid war häufig geeignet (> 72 %), die Anwendung der Kombination MPH-Pipamperon dagegen nur selten geeignet (< 15 %).51
Bei komorbidem ODD und ADHS erwies sich eine Kombinationsbehandlung mit Risperidon und MPH als hilfreich52, ebenso bei komorbider Verhaltensstörung (CD).53
3.4.7. Disruptive Mood Dysregulation Disorder (DMDD) komorbid zu ADHS¶
DMDD ist durch eine dauerhafte starke Reizbarkeit und hohe Impulsivität gekennzeichnet. ADHS tritt häufig komorbid auf.
Eine Studie fand eine positive Wirkung einer Kombinationstherapie von Aripiprazol und Methylphenidat Kindern mit komorbider DMDD und ADHS. Erhöhte Nebenwirkungen fanden sich nicht.54
Eine vergleichende Wirksamkeitsstudie an N = 22.601 Betroffenen von Emotional-Instabiler Persönlichkeitsstörung mit komorbidem ADHS zeigte, dass ADHS-Medikamente die einzige Medikamentengruppe waren, die das Suizidalitätsrisiko signifikant verringerten.55
Medikation bei Autismus-Spektrums-Störung und komorbidem ADHS:
Es wird häufig von einer erhöhten Empfindlichkeit auf ADHS-Medikamente bzw. einem verringerten Dosisbedarf berichtet.
MPH:
schlechtere Wirkung auf Hyperaktivität bei intellektueller Beeinträchtigung56
schlechtere Wirkung und schlechteres Nebenwirkungsniveau als bei ADHS ohne ASS57
Atomoxetin:
schlechtere Wirkung auf ADHS-Symptome bei gleichem Verträglichkeitsniveau5657
Guanfacin:
gleiche Wirkung auf Hyperaktivität bei intellektueller Beeinträchtigung, bei schlechterer Verträglichkeit56
gleiche Wirkung auf Hyperaktivität bei ASD wie bei TD57
Amitriptylin:
in einer Dosierung von etwa 1 mg/kg/Tag bei vorsichtiger Anwendung Wirksamkeit bei57
Schlaf, Angst, Impulsivität und ADHS, repetitivem Verhalten und Enuresis
Reine ASS-Medikation:
In den USA sind nur Risperidon und Aripiprazol von der FDA zur ASS-Behandlung zugelassen57
Risperidon
Hyperaktivität/Impulsivität bei Autismus oder mentaler Retardierung kann durch Stimulanzien wie durch Risperidon verbessert werden. Risperidon ist nicht allgemein für die Behandlung von ADHS zugelassen, könnte jedoch bei komorbidem Autismus in Betracht gezogen werden. Aufgrund des Potenzials für verstärkte Nebenwirkungen ist eine vorsichtige Dosierung für diese Symptomkombinationen erforderlich.13
Citalopram und Fluoxetin (SSRI):
schlechte Verträglichkeit und mangelnde Wirksamkeit bei repetitiven Verhaltensweisen57
wirkte bei Kindern mit ADHS und komorbiden Ticstörungen besser als Methylphenidat mit Halperidol.60
Eine Analyse der durch Elvanse adressierten Proteine zeigte Hinweise, dass Elvanse auch bei der Behandlung von Tic-Störungen positiv mitwirken könnte.33
Barkley berichtet in einem Vortrag von Vorteilen einer Kombination von Stimulanzien und Guanfacin (welches bei komorbiden Tics hilfreich sei), um der durch Stimulanzien verursachte Dämpfung des limbischen Systems und der damit einhergehenden verringerten Emotionswahrnehmung zu begegnen.61
Eine Studie fand eine gute Verbesserung der ADHS-Symptomatik durch Selegilin bei Kindern mit ADHS und komorbider Ticstörung über einen Testzeitraum von mehr als 6 Monaten. Nur 2 der 29 Probanden berichteten eine Verschlimmerung der Tics. Die Nebenwirkungen waren gering.59 Eine andere Studie an 24 Kindern mit ADHS und komorbidem Tourette fand nur geringe Verbesserungen der ADHS-Symptomatik bei zugleich hoher Abbruchquote der Teilnehmer.62
Atomoxetin zeigte positive Effekte auf zwanghafte Verhaltensweisen.63
Ein Bericht über 2 Kinder mit Zwang und AD(H)D (9 und 10 Jahre) deutete eine positive Wirkung einer Kombination aus Verhaltenstherapie, Sertralin und Guanfacin an.64
3.4.12. Substanzmissbrauch / Sucht komorbid zu ADHS¶
Dass Stimulanzien bei ADHS das Suchtrisiko nicht erhöhen, sondern während der Einnahme deutlich verringern, ist laut dem aktualisierten europäischen Konsensus zur Diagnose und Behandlung von ADHS bei Erwachsenen von 201835 und anderen Quellen (Rückgang um rund 35 % in der mit Stimulanzien medikamentierten ggüber der unmedikamentierten Zeit65 Ein Case-Report berichtet beispielhaft die Wirkung von Lisdexamfetamin bei einem ehemals Süchtigen.66
Ein früherer Substanzmissbrauch ist daher normalerweise keine Kontraindikation für Stimulanzien.67
Bei akutem komorbidem Amphetamin-Substanzmissbrauch ist Atomoxetin aufgrund der geringeren Missbrauchsgefahr vorteilhaft.26
Lisdexamfetamin (Elvanse) bewirkt auch bei verordnungswidriger intranasler (schnupfen)68 oder intravenöser (spritzen)69 Einnahme gleichartige D-Amp-Spiegel wie bei oraler Einnahme. Die Wirkung war ungefähr gleich, bei leicht erhöhten Nebenwirkungen. Es ergab sich keine Rauschwirkung. Dies zeigt, dass das Missbrauchsrisiko von Lisdexamfetamin sehr niedrig ist.
Eine Studie verglich das Missbrauchspotenzial von oralen Einzeldosen von Lisdexamfetamin (LDX) 50, 100 (entspricht 40 mg d-Amp) und 150 mg, 40 mg d-Amphetamin und 200 mg Diethylpropion bei 36 Personen mit früherem Stimulanzienmissbrauch. Bei der Messung der Missbrauchsanfälligkeit mittels der Drug Rating Questionnaire-Subject Liking Scale zeigte Lisdexamfetamin bei 50 mg und 100 mg keine signifikante Erhöhung im Vergleich zu Placebo (2,1), bei 150 mg jedoch eine signifikante Erhöhung (6,1). D-Amphetamin und Diethylpropion zeigten mit 4,0 bzw. 4,5 signifikant erhöhte Werte zeigten. Die Probanden bevorzugten 40 mg D-Amp gegenüber 100 mg LDX, während 150 mg LDX und 40 mg D-Amp gleichauf lagen.70
Bei akutem THC oder Alkohol-Substanzmissbrauch ohne akute Amphetamin-Sucht halten wir das Risiko, dass ein Betroffener versucht, verschriebene Stimulanzien als Droge zu missbrauchen, für sehr gering.
Eine Analyse der durch Elvanse adressierten Proteine zeigte Hinweise, dass Elvanse auch bei der Behandlung von Binge Eating positiv mitwirken könnte.33
Chronische Schmerzen sind eine bei ADHS überhäufige Komorbidität
Stimulanzien wie auch Atomoxetin71 können bei ADHS-Betroffenen auch die chronischen Schmerzen verringern.
Duloxetin lindert komorbide Enuresis (Bettnässen) und stimulanzieninduzierte Dysphorie bei ADHS.
Ein Einzelfallbericht notierte eine Linderung einer komorbiden Enuresis (Einnässen), einer durch Stimulanzien verursachten Dysphorie und eine Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten bei einem Jugendlichen mit ADHS.72
ADHS-Betroffene leiden häufig an Schlafproblemen. Stimulanzien können Schlafprobleme verbessern (viele Betroffene berichten, dass sie seit der Einnahme von Stimulanzien einen deutlich verbesserten Schlaf haben). Bei manchen Betroffenen (wir schätzen ca. 5 bis 10 %) können geringe Dosen (14/ bis 1/3 einer Tageseinzeldosis) unretardiertes MPH auch das Einschlafen verbessern.
Stimulanzien können aber auch Schlafprobleme verursachen. Meist handelt es sich um Eindosierungsnebenwirkungen, die innerhalb der ersten Wochen wieder verschwinden. Manchmal handelt es sich um eine Folge einer zu späten Einnahme oder einer zu langen Wirkdauer der Medikamente aufgrund eines verlangsamten Abbaus. Zu letzterem siehe unter Wirkung und Wirkdauer von ADHS-Medikamenten
Eine schwedische Kohortenstudie fand, dass zwei Drittel der Jungen und die Hälfte der Mädchen, die Melatonin erhielten, auch ADHS-Medikamente erhielten73, was auf eine hohe Wirksamkeit von Melatonin bei ADHS-bezogenen Schlafproblemen hindeutet.
Mehr zu Melatonin als Medikament zur Behandlung von Schlafproblemen bei ADHS unter Melatonin bei ADHS
Eine Betroffene berichtete uns gute Erfahrungen mit einer Einnahme von Guanfacin ca. 5 Stunden vor dem Schlafengehen. Müdigkeit ist eine häufige Nebenwirkung von Guanfacin, Guanfacin ist ein Pegelmedikament und wirkt fast den ganzen Tag, sodass auch am nächsten Tag noch eine positive Wirkung auf die ADHS-Symptome vorliegen sollte.
Amitryptilin in einer Dosierung von etwa 1 mg/kg/Tag bei vorsichtiger Anwendung zeigte Verbesserung von Schlaf, Angst, Impulsivität und ADHS, repetitivem Verhalten und Enuresis.57
Wie bei allen serotonergen Antidepressiva sind Absetznebenwirkungen zu beachten und ein Ausschleichen zu empfehlen.
In einer Untersuchung verbesserte Atomoxetin bei SCT 7 von 9 Symptomen des Kiddie-Sluggish Cognitive Tempo Interview (K-SCT) signifikant. Die Symptomverbesserung bei SCT war völlig unabhängig von den ADHS-Symptomen.75
SCT-Betroffene sind zudem besonders häufig MPH-Nonresponder. Die Subtypen ADHS-HI und ADHS-I unterscheiden sich dagegen in der MPH-Respondingrate nicht.76
Eine ADHS-Betroffene mit Histaminintoleranz berichtete, dass sie AMP und retardiertes MPH gar nicht vertrug, unretardiertes MPH in geringen Dosen jedoch tolerieren konnte.
3.4.22. Schizophrenie und Psychosen komorbid zu ADHS¶
Eine Einnahme von Stimulanzien oder Atomoxetin verringerte das Risiko einer psychose-bedingten Krankenhauseinweisung in den 12 Monaten nach Einführung dieser Medikamente um 2/3 (HR = 0,36), wenn diese in Kombination mit Antipsychotika eingenommen wurden.84
Downsyndrom geht mit einer deutlich erhöhten ADHS-Prävalenz einher.
Eine Studie an n = 21 Down-Betroffenen mit ADHS berichtete bei Guanfacin eine Responderquote von 48 %. 43 % berichteten Nebenwirkungen, meist Tagesmüdigkeit (33 %) und Verstopfung (10 %).85
Bei emotionaler Instabilität ist Atomoxetin besonders geeignet.67 Dies deckt sich mit unserem Eindruck, sofern Stimulanzien alleine nicht ausreichend wirksam sind. Dies betrifft auch eine Kombinationsmedikation von Atomoxetin mit Stimulanzien (jeweils entsprechend niedriger dosiert).
Guanfacin kann hier ebenfalls hilfreich wirken.
4. Unterschiedliche Wirkungsweisen von ADHS-Medikamenten¶
4.1. Bindungsaffinität von MPH, AMP, ATX an DAT / NET / SERT¶
Die Wirkstoffe Methylphenidat (MPH), d-Amphetamin (d-AMP), l-Amphetamin (l-AMP) und Atomoxetin (ATX) binden mit unterschiedlicher Affinität an Dopamintransporter (DAT), Noradrenalintransporter (NET) und Serotonintransporter (SERT). Die Bindung bewirkt eine Hemmung der Aktivität der jeweiligen Transporter.86
Bindungsaffinität: stärker bei kleinerer Zahl (KD = Ki)
DAT
NET
SERT
MPH
34 - 200
339
> 10.000
d-AMP (Elvanse, Attentin)
34 - 41
23,3 - 38,9
3.830 - 11.000
l-AMP
138
30,1
57.000
ATX
1451 - 1600
2,6 - 5
48 - 77
4.2. Wirkung von MPH, AMP, ATX auf Dopamin / Noradrenalin je Gehirnregion¶
Die Wirkstoffe Methylphenidat (MPH), d-Amphetamin (AMP) und Atomoxetin (ATX) verändern extrazelluläres Dopamin (DA) und Noradrenalin (NE) in verschiedenen Gehirnregionen unterschiedlich stark. Tabelle basierend auf Madras,86 modifiziert.
PFC
Striatum
Nucleus accumbens
Cortex okzipital
Hypothalamus lateral
Hippocampus dorsal
Cerebellum
MPH
DA + NE (+)
DA + NE +/- 0
DA + NE +/- 0
AMP
DA + NE +
DA + NE +/- 0
DA + NE +/- 0
ATX
DA + NE +
DA +/- 0 NE +/- 0
DA +/- 0 NE +/- 0
DA +/- 0 NE + (Ratte)
DA +/- 0 NE + (Ratte)
DA +/- 0 NE + (Ratte)
DA +/- 0 NE + (Ratte)
Hinweis: der NET bindet Dopamin im PFC etwas besser als Noradrenalin, der DAT bindet Dopamin sehr viel besser als Noradrenalin.
Gleichwohl erhöht Atomoxetin Dopamin nur im PFC und nicht überall, wo es an den NET bindet, sodass hier eine spezieller Wirkmechanismus vorzuliegen scheint.
Lisdexamphetamin (d-Amp in verzögerter Wirkstofffreisetzung)
Elvanse
Elvanse adult
D-Amphetamin unretardiert
Attentin
nur off label
Atomoxetin
Strattera, Agakalin
Strattera, Agakalin
Guanfacin
Intuniv
nur off label
6.2, Zulassungsstatus ADHS-Medikamente in Frankreich¶
In Frankreich ist Methylphenidat für Kinder zugelassen und darf an Erwachsene verschrieben werden, wenn diese bereits als Kind Methylphenidat erhielten. In Anbetracht der Erkenntnis zwischenzeitlich jahrzehntelangen Erkenntnis, dass ADHS bei rund 2/3 der Betroffenen im Erwachsenenalter fortbesteht, ist dies äußerst verwunderlich und für diejenigen Betroffenen, die das Pech hatten, als Kind nicht diagnostiziert und behandelt zu werden, sehr bedauerlich.
Eine Erstverschreibung an Erwachsene scheint im Rahmen eines off-label-use möglich zu sein.88
Insgesamt scheint die Diagnose und Behandlung von ADHS in Frankreich auf einem um Jahrzehnte veralteten Stand.
6.3. Zulassungsstatus ADHS-Medikamente in den USA¶
In den USA sind Stand Januar 2023 folgende ADHS-Medikamente zugelassen:89
Wirkstoff
Zulassung
Dexmepthylhenidat unretardiert
Focalin®
Dexmepthylhenidat retardiert
Focalin® XR
Methylphenidat unretardiert
Methylin®, Ritalin®, Metadate CD®
Methylphenidat Halbtagesretard
Metadate® ER, Methylin® ER, QuilliChew ER™, Quillivant XR®, Ritalin LA®
6.3.3. Noradrenalinwiederaufnahmehemmer für ADHS, Zulassung in den USA¶
Strattera®
Atomoxetin (Hydrochlorid)
Kapsel
24 Stunden
10 mg, 18 mg, 25 mg, 40 mg, 60 mg, 80 mg, 100 mg
Qelbree™
Viloxazine
verlängerte Freisetzung
Kapsel
24 Stunden
100 mg, 150 mg, 200 mg
6.3.4. Alpharezeptoragonisten für ADHS, Zulassung in den USA¶
Kapvay®
Clonidin (Hydrochlorid)
Verlängerte Freisetzung
Tablette
12 bis 24 Stunden
0,1 mg, 0,2 mg
Intuniv®
Guanfacin (Hydrochlorid)
Verlängerte Freisetzung
Tablette
12 bis 24 Stunden
1 mg, 2 mg, 3 mg, 4 mg
7. Einschränkungen der Behandlungs- und Medikamentenwahl in Deutschland¶
Die Wahl der Behandlung und des Medikaments ist leider nicht alleine von der Eignung zur optimalen Behandlung von Betroffenen abhängig.
Ärzte können für ärztliche Leistungen oder für Verordnungen in Regress genommen werden. Allerdings ist die „gefühlte Bedrohung“ viel höher als die tatsächliche Zahl der verhängten Regresse. In 2018 gab es weniger als 100 Regressverfahren.90 Da die Grundsätze der Marktwirtschaft zur Ermittlung fairer Preise nur in Bereichen funktionieren, in denen die Marktteilnehmer eine freie Wahl haben, und gesundheitliche Nöte etwas so essentielles sind, das die freie Wahl erheblich beeinträchtigt, haben Pharmaunternehmen Gewinnmargen erreicht, die weit oberhalb dessen liegen, was Großunternehmen ansonsten erreichen können. Eine Umsatzrendite von über 20 % erreichen ansonsten allenfalls noch IT-Unternehmen, die ihren Produkte in monopolartige Strukturen eingebunden haben (Apple & Co.). Verarbeitendes Gewerbe hat typischerweise eine Umsatzrendite von ca. 6 %.
Deutschland hat mit die höchsten Gesundheitsausgaben pro Kopf weltweit.
Wie immer, wenn die Marktmechanismen versagen, sind gesetzgeberische Eingriffe notwendig, um unfaire Zustände zu vermeiden.
Im deutschen Gesundheitssystem existieren daher verschiedene Regelungen, die Ärzte in der freien Wahl der Verschreibung von Medikamenten beeinträchtigen.
Dies betrifft auch die Verschreibung von Medikamenten für ADHS.
Die nachfolgenden Beschränkungen betreffen gesetzliche Versicherte.
Die gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) schließt mit Ärzten und den Apothekern eine Vereinbarungen darüber, welcher Einsatz von Arzneimitteln zulässig und wirtschaftlich ist.
Bei Verstößen gegen diese Vereinbarungen kann die KGV gegenüber einem Arzt oder Apotheker die Kosten zurückgefordert werden. Ein solcher Arzneimittelregress ist ein Verwaltungsakt.
Der Prüfungsausschuss setzt in der Richtgrößenprüfung den Betrag fest, den der Arzt zu erstatten hat.
In der Folge wird die Gesamtvergütung der Kassenärztlichen Vereinigung um den Erstattungsbetrag des Arztes verringert.
Der Prüfungsausschuss wirkt dabei auf eine Vergleichsvereinbarung mit dem Vertragsarzt hin, § 106 Abs. 5 a SGB V. Eine solche Einigung kann den Erstattungsbetrag um bis zu einem Fünftel verringern, schließt jedoch zugleich den Rechtsweg aus:
Es gibt verschiedene Gründe, warum ein Arzneimittelregress verhängt werden kann. Dazu gehören unter anderem eine zu hohe Verordnung von teuren Arzneimitteln, die Verordnung von nicht zugelassenen Arzneimitteln oder die Verordnung von Arzneimitteln, die nicht notwendig sind.
Ärzte können einem Arzneimittelregress ausgesetzt sein, wenn gegenüber gesetzliche Versicherten:67
Medikamente verschrieben werden, die nicht zugelassen sind
zum Zulassungsstatus siehe oben
der Zulassungsstatus hängt von der gestellten Diagnose ab
die Diagnose F90.0G (kodiert nach ICD-10) für ADHS im Erwachsenenalter eröffnet einen weiteren und anderen Medikamentenspielraum als die im Kinder-Jugendbereich häufig noch verwendete ICD-10 F98.8G bei ADHS-I
Medikamente verschrieben werden, die nicht notwendig sind
das Wirtschaftlichkeitsverbot verletzt wird
Wirtschaftlichkeitsgebot = Grundprinzip der GKV gem. § 12 SGB V
Die Therapie muss notwendig, zweckmäßig, ausreichend und wirtschaftlich sein.
Preisgünstigere Therapiealternativen, die nach AMNOG gleichwertig bewertet sind, müssen zuerst verschrieben werden.
Teurere gleichwertig bewertete Alternativen dürfen nur verwendet werden, wenn die günstigeren eine fehlende oder unzureichende Wirkung oder unangemessene Nebenwirkungen aufweisen
Unerwünschte Nebenwirkung können als ICD-10 Y57.9G dokumentiert werden
Überschreitung der rechtlichen Dosierungshöchstmengen ist unwirtschaftlich, wenn sie im Einzelfall weder:91
gemäß § 2 Abs. 2 Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMVV) gerechtfertigt noch
aufgrund einer Erfüllung der Voraussetzungen eines „Off Label-Use“ ausnahmsweise zulässig ist
eine zu hohe Verordnung von teuren Arzneimitteln
Konkrete Anwendung auf Stimulanzien bei gesetzlich Versicherten:67
Prüfung: zeigt die Verordnungshistorie unzureichende oder fehlende Wirksamkeit oder Nebenwirkungen von MPH?
Indikation (gesicherte Diagnose), Dauer und Menge prüfen und dokumentieren
Aut idem, Generika
spätestens seit 2023 werden den Ärzten Verordnungen grundsätzlich nur noch mit dem günstigsten Satz nach den Rabattverträgen der GKV angerechnet und bei einer Aut-idem-Substitution in Apotheken nicht mehr mit einem höheren Apothekenabgabepreis belastet.92
Zahlreiche Kassenärztliche Vereinigungen haben Verordnungsmindestquoten für Stimulanzien festgesetzt, die als Rahmenvorgaben zwischen dem GKV-Spitzenverband und der KBV nach § 84 Abs. 6 SGB V – Arzneimittel – vereinbart wurden.67
In diesen wird ein Anteil von MPH-haltigen Arzneimitteln an der Gesamtgruppe der Arzneimittel mit den Wirkstoffen MPH und Atomoxetin vereinbart.
Beispiele:
Saarland 2022: MPH musste mindestens 95,2 % der Gesamtmenge der MPH+ATX-Verschreibungen umfassen
Rheinland-Pfalz: MPH musste mindestens 70,4 % der Gesamtmenge der MPH+ATX+Lisdexamfetamin-Verschreibungen umfassen
Bei ADHS-Praxisschwerpunktpraxen ist ein höherer Anteil an Lisdexamfetamin- und Atomoxetin-Verordnungen zu erwarten.67
Ein ADHS-Praxisschwerpunkt liegt sozialrechtlich vor, wenn eine Praxis mindestens 50 % über dem Fachgruppenschnitt der ICD-Frequenz von F90.0G liegt.
Diese ergeben sich aus den ICD-Häufigkeitsstatistiken der Kassenärztlichen Vereinigungen
Patienten haben bei entsprechendem Krankheitsbild einen gesetzlichen Anspruch auf notwendige Verordnungen durch den Arzt.93
Ein Arzt kann und muss notwendige Verordnungen unter Berücksichtigung des Wirtschaftlichkeitsgebots ausstellen.
Die Versagung der Verschreibung notwendiger Arzneimittel unter Berufung auf die Überschreitung des Richtgrößenbudgets ist unzulässig.
Hierauf beruhende Überschreitungen des Richtgrößenbudgets begründen keinen Regressanspruch. Dem Arzt obliegt die Darlegung der Notwendigkeit der Verordnung gegenüber der KV.
In Deutschland dürfen nur Ärzte Medikamente verschreiben. Psychologen dürfen keine Medikamente verschreiben.
Theoretisch darf jeder Arzt alles verschreiben.
Es bestehen jedoch unterschiedliche Budgets und demzufolge unterschiedliche Regresssrisiken.
Hausärzte dürfen also alles verschreiben, müssen sich jedoch aus Budgetgründen meist sehr zurückhalten.
Fachärzte haben meist größere Arzneimittelbudgets als Hausärzte.
Nervenärztliche und psychiatrische Fachärzte dürften die größten Möglichkeiten haben, ADHS-Medikamente zu verschreiben.
Nicht jeder Arzt verfügt über BtM-Rezepte. Diese verursachen einen erhöhten Aufwand.
Sie sind durchnummeriert, müssen bei der Bundesopiumstelle bestellt und in einem Safe aufbewahrt werden.