Die Effektstärke einer Behandlung ist der Wert, um den sich die Symptomatik verbessert.
Die Größenordnung der gefundenen Effektstärken wird anhand von Standardkriterien beschrieben.
Ein Maß, in dem Effektstärke gemessen wird, ist SMD (standardisierte mittlere Differenz, Cohen’s d): klein = 0,20, mittel = 0,50, groß = 0,80.
Ein “kleiner” Effekt ist in der Regel bei einem Individuum schwer zu beobachten, kann aber für die öffentliche Gesundheit sehr wichtig sein, wenn es sich um eine allgemeine Exposition handelt, die viele Individuen betrifft.
Ein “mittlerer” / “mäßiger” Effekt sollte für einen aufmerksamen Beobachter wahrnehmbar sein. Ab 0,5 klinischer Nutzen.
Ein “großer” / “starker” Effekt.
Die höchste Wirkung bei der Behandlung von ADHS zeigen Medikamente (vor allem Stimulanzien).
ADHS-Medikamente haben innerhalb der psychiatrischen Medikamente eine Sonderstellung. Im Vergleich zur üblichen Effektstärke von psychiatrischen Medikamenten ist die Effektstärke von Stimulanzien bei ADHS außergewöhnlich hoch (AMP (SMD ca. 1,0 bis 1,5) und MPH (ca. 0,8 bis 1,1)).. Es sind die höchsten Effektstärken, die für psychiatrische Medikamente gefunden wurden. Die durchschnittliche Effektstärke von Psychopharmaka beträgt 0,49 (SMD).
Verhaltenstherapie allein ist bei Weitem nicht so wirksam wie Medikamente allein, mit einer Effektstärke von 0,3 bis 0,34
Eine Kombination von Medikamenten und intensiver Verhaltenstherapie schnitt in der MTA-Studie an n = 579 Kindern zwischen 7 und 9 Jahren nicht signifikant besser ab als Medikamente allein. Bei impulsiv-aggressiver Symptomatik und emotionalen Störungen waren Medikamente und Verhaltenstherapie gleich wirkungsvoll. Eine jüngere umfangreiche Metastudie von 190 Untersuchungen mit 26.114 Teilnehmern mit ADHS-HI kam zu vergleichbaren Ergebnissen.
Es wird berichtet, dass Medikamente während einer Psychotherapie die Lernwirksamkeit der Psychotherapie erhöhen. Nach unserem Verständnis stellen sie in vielen Fällen überhaupt erst die Therapiefähigkeit her, da Stimulanzien das Dopamindefizit beseitigen und damit die zur Lernfähigkeit erforderliche neurotrophe Wirkung des Dopamins, die Plastizität des Gehirns zu unterstützen, wiederherstellen. ⇒ Neurophysiologische Korrelate von Lernproblemen bei ADHS
Medikamente wirken bei ADHS nur so lange, wie sie gegeben werden. Psychotherapie, Umfeldintervention und Psychoedukation haben dagegen langfristige Wirkung und wirken über ihre konkrete Anwendung hinaus.
Die in diesem Beitrag genannten Effektstärken und SMD-Werte (Standard mean difference) sind nicht unmittelbar miteinander vergleichbar, zumal sie meist nach unterschiedlichen Methoden ermittelt wurden. Gleichwohl geben die Daten ein ungefähres Bild zum Vergleich der Wirksamkeit.
-
1. Wirksamkeitsstärke der Behandlungsmethoden
-
1.1. Wirksamkeit von Medikamenten bei ADHS
-
1.1.1. Vergleich nach Effektstärke SMD
-
1.1.1.1. Stimulanzien: 1 bis 1,5
-
1.1.1.2. Nichtstimulanzien gesamt (Metaanalyse) 0,71
-
1.1.1.2.1. Guanfacin: 0,67 bis 0,8 (Monotherapie; bei Kombination mit MPH besser als MPH allein)
-
1.1.1.2.2. Atomoxetin: 0,66
-
1.1.1.2.3. Centanafadin: 0,6
-
1.1.1.2.4. Dasotralin: 0,48
-
1.1.1.2.5. Viloxazin: 0,46 bis 0,63
-
1.1.1.2.6. Bupropion: 0,22 bis 0,96
-
1.1.1.2.7. Modafinil: 0,08 bis 0,65
-
1.1.1.2.8. Clonidin: 0,03 bis 0,71
-
1.1.2. Vergleich nach Risikoverringerung
-
1.2. Wirksamkeit von nichtmedikamentösen Therapieformen bei ADHS (Effektstärke)
-
1.2.1. Sport (Ausdauertraining): ca. 0,8 (0,77 bis 0,93)
-
1.2.2. Verhaltenstherapie: 0,4 (0,3 bis 1,0)
-
1.2.3. Neurofeedback: 0,8 (0,39 bis 1,2)
-
1.2.4. Elterntraining 0,59 (0,31 bis 0,86)
-
1.2.5. Kognitives Selbstregulationstraining 0,54
-
1.2.6. Verhaltenstraining 0,54
-
1.2.7. Eliminationsdiät: 0,51
-
1.2.8. Kognitives Training 0,216 bis 0,45
-
1.2.9. Social Skills Training 0,31
-
1.2.10. Elimination von Nahrungsergänzungsmitteln / Farbstoffen: 0,2 (0,08 bis 0,44)
-
1.2.11. PUFA-Supplementierung: 0,16
-
1.2.12. Achtsamkeitsbasierte Verhaltenstherapie (MBCT)
-
1.3. Multimodale Therapie 1,7
-
2. Wirksamkeitslatenz der Behandlungsformen
-
3. Wirksamkeitsgegenstand der Behandlungsformen
-
4. Wirksamkeitsdauer der Behandlungsformen
-
5. Verträglichkeit
-
6. Vergleichswerte: Effektstärke bei anderen Störungsbildern
1. Wirksamkeitsstärke der Behandlungsmethoden¶
Die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten haben unterschiedliche Wirksamkeit.
Je höher der Wert, desto effektiver verbessert die Behandlung die ADHS-Symptome.
1.1. Wirksamkeit von Medikamenten bei ADHS¶
Wirkung nur während der Medikamenteneinnahme.
1.1.1. Vergleich nach Effektstärke SMD¶
SMD (standardisierte mittlere Differenz, Cohen’s d) ist eines der Maße, in dem Effektstärke gemessen werden kann: klein = 0,20, mittel = 0,50, groß = 0,80.
SMD 0,2: NNT = 8,93
SMD 0,3: der Wert der Durchschnittsperson in der Experimentalgruppe ist größer als der Wert von 62 % der Personen der Kontrollgruppe
SMD 0,5: bei 69 % größer als in Kontrollgruppe; NNT = 3,62
SMD 0,6: bei 73 % größer
SMD 0,75: bei 77 % größer
SMD 0,8: NNT = 2,34
SMD 1,0: rund 70 % ige Wahrscheinlichkeit eines Behandlungsnutzens
SMD 2,0: knapp 90 % ige Wahrscheinlichkeit eines Behandlungsnutzens
SMD wird berechnet als Mittelwert der Wirkstoffgruppe minus Mittelwert der Placebogruppe, wobei das Ergebnis durch die gepoolte Standardabweichung der Gruppen geteilt wird. SMD ist also ein Maß der Effektgröße, das Mittelwertunterschiede zwischen zwei Gruppen mit gleichen Gruppengrößen und gleichen Gruppenvarianzen abbildet. Gemessen wird der Effekt im Vergleich zu einem Wettbewerber (in der Regel Placebo). Daher misst SMD nicht die gesamte Verbesserung, sondern um wie viel die Verbesserung größer war als beim Wettbewerber (idR Placebo).
1.1.1.1. Stimulanzien: 1 bis 1,5¶
1.1.1.1.1. Amphetaminmedikamente: 1,1 bis 1,5¶
1.1.1.1.2. Methylphenidat: 0,9 bis 1,1¶
-
Methylphenidat altersunabhängig
-
MPH insgesamt: 0,9, ca. 0,8, 0,73 bis 0,5, nach weniger belastbarer Quelle 1,3 bis 1,69
- nach Symptomen:
- Unaufmerksamkeit im Schnitt ca. 0,8
- Hyperaktivität: im Schnitt ca. 1,0
- Methylphenidat mit Sofortwirkung (unretardiert)
- 0,92, Ritalin, MPH Hexal: 1,01
- Methylphenidat retardiert: 1,08
- Concerta: 1,35
- Medikinet retard: 0,95
- Equasym: 1,09
-
Kinder und Jugendliche: 0,78 bis 0,74
- Concerta:
- Kinder und Jugendliche: 1,0
- Equasym retard:
- Kinder und Jugendliche: 0,6 bis 1,8
- Medikinet retard:
- insgesamt:
- Kinder und Jugendliche: 0,9 bis 1,0
- Ritalin LA:
-
MPH-LA 0,95
- Kinder und Jugendliche: 1,0
- Erwachsene: 0,49, 0,34
- d-MPH: 0,76
1.1.1.1.3. Mazindol: 1,09¶
Mazindol, eine wach machende Substanz mit stimulierenden Eigenschaften, zeigte eine hohe Effektstärke von 1,09 auf ADHS-Kernsymptome bei Erwachsenen mit ADHS.
Zur Bestätigung sollten weitere Studien hierzu abgewartet werden.
1.1.1.2. Nichtstimulanzien gesamt (Metaanalyse) 0,71¶
Nichtstimulanzien gesamt (Metaanalyse) 0,71
1.1.1.2.1. Guanfacin: 0,67 bis 0,8 (Monotherapie; bei Kombination mit MPH besser als MPH allein)¶
- insgesamt: 0,8
- Kinder und Jugendliche: 0,67, 0,76
Eine Studie fand eine verbesserte Wirkung von Guanfacin + MPH als Guanfacin oder MPH allein:
- Guanfacin allein (bei 68 % der Betroffenen eine Symptomreduzierung um mindestens 50 %)
- Methylphenidat allein (bei 81 % der Betroffenen eine Symptomreduzierung um mindestens 50 %)
- Kombinationsmedikation aus MPH und Guanfacin (bei 91 % der Betroffenen eine Symptomreduzierung um mindestens 50 %)
1.1.1.2.2. Atomoxetin: 0,66¶
-
Atomoxetin altersunabhängig:: 0,63
-
Kinder und Jugendliche: 0,56 bis 0,7
-
Erwachsene: 0,45, 0,24
-
Atomoxetin 0,68
-
Atomoxetin hat in Bezug auf Aufmerksamkeitsprobleme bei ADHS eine NNT von 5
1.1.1.2.3. Centanafadin: 0,6¶
Herstellerangabe 0,6.
Hier sind unabhängige Studien abzuwarten.
1.1.1.2.4. Dasotralin: 0,48¶
Eine 6-wöchige RCT mit 342 Kindern im Alter von 6–12 Jahren fand eine Effektstärke von 0,48 bei 4 mg/Tag. 2 mg/Tag waren nahezu wirkungslos.
1.1.1.2.5. Viloxazin: 0,46 bis 0,63¶
Die Effektstärke von Viloxazin wurde in verschiedenen Studien mit zwischen 0,46 bis 0,63 ermittelt.
1.1.1.2.6. Bupropion: 0,22 bis 0,96¶
- Bupropion altersunabhängig: 0,22
- Kinder und Jugendliche: 0,96
- Erwachsene: 0,46
1.1.1.2.7. Modafinil: 0,08 bis 0,65¶
- Modafinil altersunabhängig: 0,65, 0,52, insgesamt 0,08
- Kinder und Jugendliche: 0,62
- Erwachsene: - 0,16 (Verschlechterung)
1.1.1.2.8. Clonidin: 0,03 bis 0,71¶
- insgesamt: 0,03
- Kinder und Jugendliche: 0,71
1.1.2. Vergleich nach Risikoverringerung¶
Bei einem Vergleich nach Risikoverringerung repräsentiert ein niedrigeres Hazard Risiko eine Verbesserung.
1.1.2.1. Risikoverringerung psychiatrischer Hospitalisierung¶
Einfluss auf das Risiko einer psychiatrischen Hospitalisierung:
- Amphetamin (bereinigtes Hazard Ratio, aHR: 0,74 = Reduzierung um 26 %)
- Lisdexamfetamin (aHR: 0.80 = Reduzierung um 20 %)
-
ADHS-Medikamentenpolytherapie (aHR: 0,85 = Reduzierung um 15 %)
- Dexamphetamin (aHR:0,88 = Reduzierung um 12 %)
- Methylphenidat (aHR: 0,93 = Reduzierung um 7 %)
- Modafinil: unverändert
- Atomoxetin: unverändert
- Clonidin: unverändert
- Guanfacin: unverändert
1.1.2.2. Risikoverringerung nichtpsychiatrischer Hospitalisierung¶
Einfluss auf das Risiko einer nichtpsychiatrischen Hospitalisierung:
Amphetamin, Lisdexamfetamin, Polytherapie (Kombinationsmedikation), Dexamphetamin, Methylphenidat und Atomoxetin verringerten das Risiko für nichtpsychiatrische Krankenhausaufenthalte.
1.1.2.3. Risikoverringerung suizidalen Verhaltens¶
Einfluss auf das Risiko eines suizidalen Verhaltens:
- Dexamphetamin (aHR: 0,69)
- Lisdexamfetamin (aHR: 0,76)
- Methylphenidat (aHR: 0,92)
1.1.2.4. Risikoverringerung von Arbeitsunfähigkeit¶
Einfluss auf das Risiko der Arbeitsunfähigkeit:
- Atomoxetin (aHR: 0,89)
- insbesondere bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von 16 bis 29 Jahren (aHR: 0,82)
Alle anderen untersuchten ADHS-Medikamente: nicht signifikant.
1.2. Wirksamkeit von nichtmedikamentösen Therapieformen bei ADHS (Effektstärke)¶
Wirksamkeit angegeben in Effektstärke (SMD). Höhere Werte sind besser.
1.2.1. Sport (Ausdauertraining): ca. 0,8 (0,77 bis 0,93)¶
- 0,93 nach einer Metauntersuchung von 5 Studien mit insgesamt 144 Probanden Bedauerlicherweise erfolgte kein Vergleich zur Effektstärke von Medikation.
- Eine Aerobic-Gruppensportprogramm bewirkte bei Teilnehmern mit unterschiedlichen Störungsbildern Verbesserungen gegenüber der passiven Kontrollgruppe in Bezug auf:
- globale ADHS-Symptomschwere: 0,77
- Depression; 0,68
- Angst: 0,87
- Schlafqualität: 0,88
- Eine Übersichtsarbeit analysierte 37 Metastudien mit 106 Studien und fand als Hedges g:
- Unaufmerksamkeit: 0,92
- Impulskontrolle: 0,82
- kognitive Flexibilität: 0,52
Die Beweise für die Wirksamkeit von Bewegung auf emotionale, soziale und Arbeitsgedächtnisleistungen waren schwach, und auf Hyperaktivität und Verhaltensfunktionen nicht signifikant.
Nach SMD (niedrigere Werte sind besser):
- -0,65 SMD (Mittel). Eine Metauntersuchung fand moderate Effektstärken von Ausdauertraining bei Kindern mit ADHS. Angaben in SMD, (negativer ist stärker):
- Aufmerksamkeit (-0,84)
- Angstsymptome (-0,66)
- Exekutivfunktionen (-0,58)
- Sozialstörungen (-0,59)
- Hyperaktivität (-0,56)
-
Impulsivität (-0,56)
- -0,62 (SMD) Eine Cochrane-Metaanalyse von 35 Studien über die Wirkung von Sporttraining auf Depression fand eine SMD (negativer ist stärker) von -0,62 (35 Studien mit 1356 Teilnehmern, die Ausdauertraining gegen Kontrollen verglichen) und einer Langzeitwirkung von -0,33. Wurden jedoch lediglich die Studien mit einer hohen Verblindung ausgewertet, sank die SMD auf kaum relevante -0,18. Die vergleichenden Studien zur Effektstärke von Psychotherapie (7 Studien, n = 189) oder zu Medikamenten (4 Studien, n = 300) fanden jeweils eine identische SMD von Ausdauertraining.
1.2.2. Verhaltenstherapie: 0,4 (0,3 bis 1,0)¶
- ohne gleichzeitige Medikation:
- 0,34
- 0,69 nach einer Metauntersuchung von 3 Studien mit insgesamt 107 Probanden Bedauerlicherweise erfolgte kein Vergleich zur Effektstärke von Medikation.
- 0,3
- 1,0
- Eine umfangreiche Metastudie von 190 Untersuchungen mit 26.114 Teilnehmern mit ADHS-HI fand, dass Stimulanzien wirksamer waren als Verhaltenstherapie, kognitives Training oder Nicht-Stimulanzien. Stimulanzien in Kombination mit Verhaltenstherapie schiene am wirksamsten zu sein.
- mit gleichzeitiger Medikation: 1,7
- Wirkung bleibt nach Therapieende weitgehend bestehen
- Dauer bis Wirkungseintritt sehr lange
1.2.3. Neurofeedback: 0,8 (0,39 bis 1,2)¶
- 0,6
- 0,49 bis 0,68 nach nur 30 Sitzungen
- 0,61 nach einer Metauntersuchung von 6 Studien mit insgesamt 203 Probanden Bedauerlicherweise erfolgte kein Vergleich zur Effektstärke von Medikation.
- auf Aufmerksamkeit: 0,8 bis 1,2
- 0,8
- nach 40 Sitzungen: 1,2
- auf Impulsivität: 0,68
- nach 20 Sitzungen: 0,7
- durch höhere Sitzungsanzahl nicht weiter verbesserbar
- auf Hyperaktivität: 0,39
- durch höhere Sitzungsanzahl nicht weiter verbesserbar
- Neurofeedback ist nicht so effektiv wie MPH.
-
MPH zeigte in einer Studie eine Symptomverbesserung von 46,9 % (SMD 2,03), während Neurofeedback eine Symptomverbesserung von 26,7 % (SMD 0,89) bewirkte.
- Wirkung bleibt nach Therapieende meist vollständig bestehen
1.2.4. Elterntraining 0,59 (0,31 bis 0,86)¶
Eine einzelne Untersuchung eines bestimmten Trainings für Eltern von Kindern mit ADHS fand eine Verbesserung des problematischen Verhaltens der Kinder von
- 0,86 für Elterntraining in der Gruppe
- 0,6 bis 0,7. Da die Datenerhebung durch Elternfragebögen erfolgte, dürfte mit einem erheblichen Bias in Richtung erhöhter Werte zu rechnen sein.
- 0,42 bis 0,53
- 0,40 bei ADHS
- 0,36 bei externalisierenden Symptomen
- 0,31, n = 4 Studien wobei allerdings zugleich Antidepressiva eine Effektstärke von 0,85, Stimulanzien eine Effektstärke von 0,35 und multimodaler Behandlung eine Effektstärke von 0,28 zugeschrieben wurde, was Fragen hinsichtlich der Belastbarkeit der Daten aufwirft.
1.2.5. Kognitives Selbstregulationstraining 0,54¶
- außerschulisch 0,58, n = 5 Studien wobei allerdings zugleich Antidepressiva eine Effektstärke von 0,85, Stimulanzien eine Effektstärke von 0,35 und multimodaler Behandlung eine Effektstärke von 0,28 zugeschrieben wurde. Diese Zahlen decken sich in keiner Weise mit der klinischen Evidenz, was Fragen hinsichtlich der Belastbarkeit der Daten aufwirft.
- schulisch 0,49, n = 2 Studien wobei allerdings zugleich Antidepressiva eine Effektstärke von 0,85, Stimulanzien eine Effektstärke von 0,35 und multimodaler Behandlung eine Effektstärke von 0,28 zugeschrieben wurde.Diese Zahlen decken sich in keiner Weise mit der klinischen Evidenz, was Fragen hinsichtlich der Belastbarkeit der Daten aufwirft.
1.2.6. Verhaltenstraining 0,54¶
- außerschulisch 0,29, n = 1 Studie wobei allerdings zugleich Antidepressiva eine Effektstärke von 0,85, Stimulanzien eine Effektstärke von 0,35 und multimodaler Behandlung eine Effektstärke von 0,28 zugeschrieben wurde, was Fragen hinsichtlich der Belastbarkeit der Daten aufwirft.
- schulisch 0,50, n = 3 Studien wobei allerdings zugleich Antidepressiva eine Effektstärke von 0,85, Stimulanzien eine Effektstärke von 0,35 und multimodaler Behandlung eine Effektstärke von 0,28 zugeschrieben wurde, was Fragen hinsichtlich der Belastbarkeit der Daten aufwirft.
1.2.7. Eliminationsdiät: 0,51¶
Wirkung nur während fehlerfreier Diäteinhaltung.
Hohe Werte unter Testbedingungen erreichbar, wenn Nahrungsmittelunverträglichkeit vorliegt.
Als Behandlungsform ist es ein sehr schwerer Eingriff in die Lebensführung mit hohen Fehlermöglichkeiten im täglichen Leben. Für Kinder kaum umsetzbar und mit erheblichen sozialen Folgen behaftet.
Studien:
- 0,2
- 0,2
- 0,29
- 0,6
- 0,7
- 3,58
- 5,13
Metaanalysen:
- 0,51 bis 0,8
- 0,51 (0,2 bis 1,9) bei Verwertung nur der Doppelblindstudien; 1,48 (0,2 bis 5,13) bei Einbeziehung aller Studien
- 1,9
Es gibt Hinweise, dass eine Eliminationsdiät nur bei bestimmten Betroffenen anschlägt (“Subgruppe”).
Naturgemäß kann eine Elimination von Nahrungsmitteln nur dann eine Verbesserung bewirken, wenn eine Nahrungsmittelunverträglichkeit besteht.
1.2.8. Kognitives Training 0,216 bis 0,45¶
- 0,45 nach einer Metauntersuchung von 4 Studien mit insgesamt 159 Probanden. Bedauerlicherweise erfolgte kein Vergleich zur Effektstärke von Medikation.
- 0,216
- Ein Review fand nur eine begrenzte bis geringe Symptomverbesserung durch Computergestützes Kognitives Training.
1.2.9. Social Skills Training 0,31¶
- Social Skills Training 0,31, n = 3 Studien wobei allerdings zugleich Antidepressiva eine Effektstärke von 0,85, Stimulanzien eine Effektstärke von 0,35 und multimodaler Behandlung eine Effektstärke von 0,28 zugeschrieben wurde, was Fragen hinsichtlich der Belastbarkeit der Daten aufwirft.
1.2.10. Elimination von Nahrungsergänzungsmitteln / Farbstoffen: 0,2 (0,08 bis 0,44)¶
- 0,08 bis 0,11 (Lehrer und Beobachterrating)
- 0,12 bis 0,25
- 0,21 bis 0,283 (bei Hinzunahme auch kleiner, weniger hochwertiger Studien)
- 0,21 bis 0,44 im Elternrating
- 0,42 bei Verwertung nur verblindeter Studien; von 8 Studien zeigten 6 keine statistisch signifikanten Ergebnisse; 0,32 bei Einbeziehung aller Studien
- Wirkung nur während fehlerfreier Diäteinhaltung
1.2.11. PUFA-Supplementierung: 0,16¶
- 0,16 bis 0,17 im Eltern- und Lehrerrating
1.2.12. Achtsamkeitsbasierte Verhaltenstherapie (MBCT)¶
ADHS-Betroffene, die zusätzlich mit MBCT (Mindfullness based cognitive therapy, eine achtsamkeitsbasierte Verhaltenstherapie) behandelt wurden, wiesen eine signifikant größere Verringerung der ADHS-Symptome auf [M-Differenz = -3,44 (-5,75, -1,11), p = 0,004, d = 0,41]. Dieser Effekt wurde bis zum 6-Monats-Follow-up beibehalten. Von den zusätzlich mit MBCT Behandelten zeigten 27 % eine Verringerung der ADHS-HI-Symptome um 30 % (p = 0,001), gegenüber lediglich 4 % der nicht zusätzlich mit MBCT behandelten ADHS-Betroffenen.
Die Wirkung blieb weitgehend auch nach Therapieende bestehen.
1.3. Multimodale Therapie 1,7¶
In der “Multimodal Treatment Study of Children with ADHS” (MTA-Studie) Ende der 90er-Jahre wurden 579 Kinder von 7 bis 10 Jahren 14 Monate lang mit Medikamenten, kognitiver Verhaltenstherapie oder beidem behandelt.
Lehrer und Eltern beurteilten den Symptomrückgang hinsichtlich der Kernsymptome von ADHS bei den nur medikamentös behandelten Kindern besser als bei nur mit Verhaltenstherapie behandelten Kindern. Die Kinder, die Medikamente und Verhaltenstherapie erhielten, schnitten noch ein klein wenig besser ab als die nur mit Medikamenten behandelten Kinder. Wenn nicht nur die Kernsymptome, sondern sämtliche Symptome betrachtet wurden, schnitten die mit Medikamenten und kognitiver Verhaltenstherapie behandelten Kinder deutlich am Besten ab. Die Wirkung von Verhaltenstherapie allein war dagegen geringer als die alleinige Behandlung mit Medikamenten.
- 1,7 bei Verhaltenstherapie mit gleichzeitiger Medikation: 1,7
2. Wirksamkeitslatenz der Behandlungsformen¶
Mit Wirksamkeitslatenz meinen wir, wie lange es dauert, bis eine Behandlung eine Wirkung erbringt.
- Medikamente
- Stimulanzien: sofort wirkend, bei optimaler Einstellung sofort voll wirksam
- Noradrenalinwiederaufnahmehemmer: 2-3 Wochen Anflutungsphase
- Atomoxetin: mehrere Wochen bis 6 Monate Anflutungsphase
- Therapie
- Verhaltenstherapie: mehrere Monate für erste Schritte, 3 Jahre für adäquate Behandlungswirkung
- Neurofeedback: mehrere Monate für erste Schritte, 6 bis 15 Monate für adäquate Behandlungswirkung
3. Wirksamkeitsgegenstand der Behandlungsformen¶
Mit Wirksamkeitsgegenstand meinen wir, welche Symptome die einzelnen Behandlungsformen verändern.
3.1. Medikamente¶
- Stimulanzien:
- Aufmerksamkeit
- Hyperaktivität
-
Impulsivität (MPH mehr als Amphetaminmedikamente)
- innerer Druck
- emotionale Dysregulation
- Stimmungsschwankungen / Affektstabilität
- Aggression/Ängstlichkeit
-
Dysphorie (vorwiegend Amphetaminmedikamente, MPH dagegen weniger)
- Nichtstimulanzien:
-
Impulsivität
z.B. geringe Dosen an SSRI
- emotionale Regulation
- Aufmerksamkeit
- Noradrenalinwiederaufnahmehemmer:
-
Impulsivität
- Depression
- Stimmungsschwankungen / Affektstabilität
- Hyperaktivität
3.2. Psychotherapie¶
- Verhaltenstherapie:
- kognitive VT:
Selbstwert, Sozialverhalten, Stressreduktion
In gewissem Maße auch Veränderung der Stressverarbeitung samt hormoneller und immunologischer körperlicher Veränderung
- achtsamkeitsbasierte VT:
Aufmerksamkeit, Empathie, Stressreduktion
- Achtsamkeitstraining:
Veränderung der Stresswahrnehmung; Veränderung der Stressverarbeitung im ZNS, Impulsivität
Eine verbesserte Wahrnehmung angenehmer Aspekte bewirkt unmittelbare Veränderungen am dopaminergen Fokussierungs- und Verstärkungssystem. Gleiches bewirken Wahrnehmungen zur Beschaffenheit der räumlichen Umgebung eines Individuums und (dauerhaft) ein hoher sozialer Rang.
Ob diese Veränderungen jedoch (mit Ausnahme des sozialen Rangs) dauerhaften Einfluss haben, was für einen therapeutischen Einsatz Voraussetzung ist, oder jeweils nur eine Aktivierung während der Wahrnehmung erfolgt, ist ungeklärt.
- Neurofeedback:
Aufmerksamkeit; Impulsivität; Hyperaktivität, Entspannung, Schlaf
- Umfeldinterventionen:
Wegfall von Stressoren durch Eliminierung von Stressoren und größeres Verständnis des Umfelds
- Psychoedukation:
Wegfall von Stressoren und bessere Regulationsfähigkeit durch größeres Verständnis des Betroffenen
Selbstwertsteigerung durch das Gefühl, nach Hause zu kommen, bei Begegnung und Austausch mit anderen Betroffenen
4. Wirksamkeitsdauer der Behandlungsformen¶
4.1. Frühzeitige Medikation¶
Es gibt einen Hinweis, dass eine Methylphenidatbehandlung mit 2 mg / kg / Tag bei sehr jungen Ratten eine dauerhafte Verringerung der Dopamintransporter im Striatum verursachte (was einer dauerhafte Heilungswirkung entspräche), während eine Methylphenidatgabe bei etwas älteren Tieren (“nach der Pubertät”) dies nicht mehr bewirkte. Diese Ergebnisse konnten bislang nicht reproduziert werden.
Bei der Behandlung von Menschen ist auch bei Kindern vor der Pubertät mit MPH keine dauerhafte Verringerung der DAT im Striatum bekannt.
Trotz der immensen Bedeutung dieser Frage sind keine weiteren Untersuchungen hierzu bekannt, die die Ergebnisse bestätigen. Bei einer Dosierung von zweimal 5 mg / kg / Tag bei Ratten ab dem 7. Tag bis zum 35. Tag nach der Geburt wurden zwar kurzfristige Verringerungen der DAT-Anzahl festgestellt, die sich jedoch am 135. Lebenstag nicht mehr fanden.
Strukturelle Änderungen der Hirnstrukturen fanden sich weder unmittelbar nach Behandlungsende am 35. Tag, noch am 135. Tag. In Anbetracht der extremen Dosierung belegt dies zudem eine geringe Gefährlichkeit von MPH.
4.2. Kurzfristige Medikation¶
Die Verbesserungen bei medikamentöser Behandlung endet (jedenfalls bei Stimulanzien) unmittelbar mit Beendigung der Medikamentengabe, bei anderen Medikamenten mit Spiegelwirkung spätestens nach ca. 14 Tagen.
Die Lerneffekte bei Neurofeedback und Verhaltenstherapie sind unter Medikamentengabe besser.
Die Wirksamkeit von nichtmedikamentöser Therapie ist lang anhaltend; erforderlich ist jedoch eine ausreichend lange und intensive Therapie (6 Monate bis 3 Jahre).
Bei Neurofeedback wurde noch 6 Monate nach Behandlungsende ein Fortbestehen der Behandlungserfolge festgestellt Kühle beobachtete, dass Behandlungserfolge in manchen Fällen noch Jahre später fortbestehen, in anderen nicht.
4.3. Langfristige Medikation¶
Es gibt Hinweise, dass eine längerfristige Medikation eine Nachreifung derjenigen Gehirnstrukturen bewirken könnte, die bei ADHS von einer Entwicklungsverzögerung betroffen sind.
Bei ADHS sind die dysfunktionalen exekutiven Funktionen mit einer verringerten Menge an Hirnsubstanz im Cortex assoziiert. Bei Kindern mit ADHS ist das Wachstum der Hirnsubstanz im Cortex signifikant verringert, wobei die größten Verzögerungen im PFC und im ACC bestehen.
Erwachsene ADHS-Betroffene, die mit Stimulanzien behandelt werden, haben eine deutlich größere Gehirnmasse in den relevanten Hirnregionen als Erwachsene ADHS-Betroffene, die nicht mit Stimulanzien behandelt wurden. Dies könnte darauf hindeuten, dass eine Behandlung mit Stimulanzien die Entwicklungsverzögerung aufholen bzw. ausgleichen kann.
Bei ADHS-Betroffenen, die auch als Erwachsene noch die vollen ADHS-Symptome zeigten, war keine Nachreifung (i.S.v. Anwachsen) der Hirnmasse in den relevanten Hirnregionen erkennbar.
4.4. Multimodale Behandlung: nichtmedikamentöse Therapie und Medikation¶
Es gibt Hinweise darauf, dass dopaminerge ADHS-Medikamente – in der Untersuchung insbesondere D-Amphetamin-Medikamente (das ebenfalls genannte Levodopa ist als ADHS-Medikament nicht geeignet) – die Neuroplastizität erhöhen und damit die Erfolge einer Psychotherapie erhöhen können.
Nach unserer Überzeugung sind psychotherapeutische Maßnahmen bei ADHS-Betroffenen, die nicht medikamentiert sind, deutlich weniger wirksam, da die Lern- und Aufnahmefähigkeit durch ADHS selbst massiv herabgesetzt ist. Da ADHS-Medikamente die beeinträchtigte Neuroplastizität bei ADHS verbessern und damit oft genug überhaupt erst eine Lernfähigkeit herstellen, ist unseres Erachtens eine vorausgehende medikamentöse Einstellung für eine erfolgreiche Psychotherapie klar zu empfehlen.
Abgesehen davon macht eine Psychotherapie unseres Erachtens wenig Sinn, wenn der Patient gar nicht weiß, wie sich der Zustand anfühlt, den er durch die Therapie erreichen soll. Dieses Gefühl kann dem Betroffenen erst eine längere Zeit (ab 1 Jahr) einer sauber eingestellten Medikation vermitteln.
Dies gilt bei ADHS-Betroffenen ganz besonders, da bei ADHS die Motivation in Richtung einer deutlich erhöhten intrinsischen Steuerung verändert ist. ADHS beinhaltet ja gerade, dass eine Befolgung extrinsischer Aufforderungen massiv erschwert ist.
5. Verträglichkeit¶
Ein höheres Odds Ratio (OR) bedeutet eine schlechtere Verträglichkeit als Placebo.
- Amphetaminmedikamente
- bei Kindern (OR: 2,30)
- bei Erwachsenen (OR: 3,26)
- Atomoxetin (OR: 2,33)
- Methylphenidat (OR: 2,39)
- Guanfacin bei Kindern und Erwachsenen (OR: 2,64)
- Modafinil (OR: 4,01)
6. Vergleichswerte: Effektstärke bei anderen Störungsbildern¶
6.1. Effektstärke von Medikamenten bei Depression¶
Effektstärke von Antidepressiva:
Amitriptylin: 0,48
Duloxetin: 0,37
Mirtazapin: 0,37
Venlafaxin: 0,33
Clomipramin: 0,33
Paroxetin: 0,32
Milnacipran: 0,30
Escitalopram: 0,29
Sertralin: 0,27
Vortioxetin: 0,28
Agomelatin: 0,26
Bupropion: 0,25
Citalopram: 0,24
Fluoxetin: 0,23
6.2. Effektstärke von Psychotherapie bei Depression¶
NNT: Number needed to treat. 100 %-iger Behandlungserfolge = 1. Je höher, desto schlechter.
Effektstärke von Psychotherapie bei Depression:
- Verhaltensaktivierung: 0,82 (NNT = 2; 11 Studien)
- Achtsamkeitsbasierter kognitive Verhaltenstherapie (MBCT): 0,73 (NNT = 3; 6 Studien)
- Kognitive Verhaltenstherapie: 0,71 (NNT = 3; 159 Studien) bis 0,79 (409 Studien)
- Interpersonelle Psychotherapie: 0,67 (NNT = 3; 22 Studien)
- Problem-Solving-Therapie: 0,48 (NNT = 4; 21 Studien)
- Supportive Therapie: 0,52 (NNT = 4; 17 Studien)
- Psychodynamische Therapie: 0,44 (NNT = 4; 8 Studien)
Die Studien unterliegen einem starken Bias. Am Beispiel kognitive Verhaltenstherapie:
Bei Berücksichtigung nur der qualitativ hochwertigeren Studien sank die Effektstärke um 0,2.
Bei Ausschluss aller Studien, die mit Warteliste verglichen, sank die Effektstärke um 0,17.
Bei Ausschluss aller Studien mit hohem Bias-Risiko sank die Effektstärke um 0,32 auf 0,39 (NNT = 5; 34 Studien)
Wurde auch der Publication Bias berücksichtigt, sank die Effektstärke auf 0,34 (NNT = 5; 38 Studien)
Werden nur die Studien berücksichtigt, die alle grundlegenden Qualitätskriterien erfüllen, verbleibt eine Effektgröße von lediglich 0,22 (anstatt 0,74).
6.3. NNT bei anderen Störungsbildern¶
Number needed to treat bei verschiedenen Störungsbildern:
- Schizophrenie Response
- Schizophrenie Relapse Prävention
- Depression – Response
- Depression – Relapse Prävention
- Depression - Remission
- Kognitive Verhaltenstherapie vs. Medikamente: NNT = 34
- Alkohol – Rückfall
- Acamprosat: NNT = 10
- Naltrexon: NNT = 50